Nachtflug am Flughafen Köln/Bonn Rund 1000 Betroffene demonstrieren mit Lärm gegen Lärm

KÖLN · Für nicht wenige Urlauber begannen die schönsten Wochen des Jahres am Samstagnachmittag mit einem akustischen Schock: Im Terminal 2 des Flughafens Köln/Bonn erwartete sie ein infernalischer Lärm. Jene, die an diesem Nachmittag den Krach mit Trillerpfeifen und diversen anderen Gerätschaften erzeugten, sind zwar Krach gewöhnt, aber nicht länger gewillt, ihn hinzunehmen.

 Unmissverständliche Botschaft: Demonstration gegen Nachtflüge im Terminal 2 des Flughafens Köln/Bonn.

Unmissverständliche Botschaft: Demonstration gegen Nachtflüge im Terminal 2 des Flughafens Köln/Bonn.

Foto: Holger Arndt

Vor allem nachts nicht. Nach Angaben der veranstaltenden Lärmschutzgemeinschaft Flughafen Köln/Bonn e.V. beteiligten sich allein am Airport in der Wahner Heide rund 1000 Menschen an der gut zweistündigen Demonstration gegen den Nachtfluglärm; zeitgleich wurde am Samstag an fünf weiteren deutschen Flughäfen protestiert.

"Was ist denn da los, Opa?" Der Knirps zerrt aufgeregt an der Hand seines Großvaters, der schon mit dem Rangieren des riesigen Koffers genug zu tun hat. "Keine Ahnung", sagt Opa entnervt. Dabei ist das Anliegen der Demonstranten für alle, die lesen können, unübersehbar. "Nachtfluglärm macht krank", steht auf selbst gemalten Transparenten. "Nachtruhe ist ein Grundrecht." Und: "Nächtlicher Lärm ist Terror."

Die Demonstranten, vorwiegend Menschen jenseits der 50, kommen aus Rodenkirchen, aus Bensberg, Overath, Rösrath, Rath-Heumar, Porz, aus Siegburg, Lohmar, Hennef, Sankt Augustin, Troisdorf, sogar aus Asbach. Antje Frieling ist aus dem Kölner Stadtteil Raderberg angereist. Ihrer einjährigen Tochter Annika hat sie dicke Ohrschützer aufgesetzt. Die schützen das Kind jetzt vor dem Lärm der Tröten und Trillerpfeifen. "Aber die dicken Dinger kann ich Annika doch nicht jede Nacht aufsetzen."

Beamte der Kölner Polizei bitten die Demonstranten, wenigstens auf die mitgebrachten Vuvuzelas zu verzichten. Julia Roberts und Pierce Brosnan haben aber ohnehin keine Chance mehr. Deren deutsche Synchronstimmen versorgen die wartenden Passagiere gewöhnlich per Lautsprecher mit wichtigen Informationen. Die Mitarbeiter an den Schaltern der Reisegesellschaften zeigen wenig Verständnis für die zweistündige Lärmattacke; selbst ein DRK-Sanitäter, der einen Rollstuhl zum Gate schiebt, schüttelt den Kopf. Und eine AirBerlin-Mitarbeiterin klagt: "Wie sollen wir denn hier noch unsere Kundschaft bedienen?"

Zwei Welten, scheinbar keine Schnittmenge diesseits und jenseits der Schalter D01 bis D17: Hier die Vertreter der rund 12 000, deren Job vom Flughafen abhängt, dort die Vertreter der rund 300 000, die Nacht für Nacht um ihren Schlaf gebracht werden.

Auch wenn an diesem Samstagnachmittag in Berlin etwa zehn Mal so viele Demonstranten gezählt werden: Nirgendwo in Deutschland, nirgendwo in Europa ist das Problem größer als im Rheinland: Mehr als 60 Flugbewegungen verzeichnet Eurocontrol in der Kernzeit von Mitternacht bis fünf Uhr morgens. Damit liegt Köln/Bonn vor Paris, Madrid, Brüssel und allen anderen Flughäfen Europas. Und im Gegensatz zu Köln/Bonn unterliegt der Nachtflug an den fünf anderen deutschen Flughäfen, die an diesem Samstagnachmittag Schauplatz von Demonstrationen werden, zumindest partiellen Einschränkungen.

Die Menge jubelt, als Horst Becker das Podium betritt, Grüner aus Lohmar, graue Eminenz der Fluglärmgegner und bis zur Neuwahl beurlaubter parlamentarischer Staatssekretär des Verkehrsministeriums der vorzeitig gescheiterten rot-grünen Landesregierung. Becker ist realistisch und ehrlich genug, den Demonstranten keine falschen Hoffnungen auf ein Verbot des nächtlichen Frachtflugverkehrs zu machen, und geht mit dem einstigen Koalitionspartner hart ins Gericht: "Aber die nächtlichen Passagierflüge müssen weg. Die machen im Sommer gut 30 Prozent des Nachtflugverkehrs aus. Wir dürfen uns in dieser Angelegenheit nicht länger dem politischen Druck der Kölner SPD beugen."

Auf der Bühne kommt es bereits zu einer neuen Koalition. Schulter an Schulter mit dem Grünen aus Lohmar steht da Christdemokrat Franz Huhn, Bürgermeister der Stadt Siegburg, die vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen den Nachtflug klagt. Der schont in seiner Rede auch die eigene Partei nicht und nennt die Politik seines Parteifreundes Oliver Wittke während dessen Amtszeit als Landesverkehrsminister der Rüttgers-Regierung "skandalös" und "verlogen".

Die Betroffenheit ist in der Kreisstadt bekanntermaßen besonders groß: Im Stadtteil Stallberg wurden nachts schon Schallereignisse gemessen, die das 32-fache der von der WHO als unschädlich definierten Obergrenze ausmachen.

"Erst allmählich rückt die Medizin damit heraus, welche schweren gesundheitlichen Schäden der Nachtfluglärm bewirkt", sagt Huhn in seiner emotional aufgeladenen Rede. "Zu diesem Thema muss nun auch mein Parteifreund Norbert Röttgen Farbe bekennen. Allmählich beginnen 300 000 Menschen an der Glaubwürdigkeit der politischen Akteure zu zweifeln. Lasst uns ein Beispiel an Stuttgart 21 nehmen", fordert Huhn. "Deshalb sind wir heute hier: Um die Ruhe der Verantwortlichen zu stören. Und der heutige Tag ist erst der Anfang."

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