Kiew spricht von einem "Terroristischen Akt" Schuld an der Katastrophe will keiner haben

KIEW/DONEZK · Im gerade von blutigen Gefechten erschütterten Kriegsgebiet im Osten der Ukraine stürzt ein Passagierflugzeug der Malaysian Airlines ab. Fast 300 Menschen sterben dabei nach Behördenangaben.

 Tödliche Waffe: Ein russisches Raketen-Flugabwehrsystem Buk-M2 wurde im vergangenen Jahr bei der Luftfahrtausstellung in Moskau vorgeführt.

Tödliche Waffe: Ein russisches Raketen-Flugabwehrsystem Buk-M2 wurde im vergangenen Jahr bei der Luftfahrtausstellung in Moskau vorgeführt.

Foto: dpa

Prompt werfen sich prorussische Kräfte und die ukrainischen Regierungstruppen gegenseitig vor, die Boeing 777-200 mit der Flugnummer MH 017 abgeschossen zu haben. Schuld an der bisher schlimmsten Katastrophe im Kriegsdrama will keiner haben. Hunderte Menschen starben schon bei den seit Mitte April dauernden Kämpfen.

Die ukrainische Seite - angeführt von Präsident Petro Poroschenko - ist rasch zur Stelle mit Schuldzuweisungen. Von einem "terroristischen Akt" spricht der Staatschef. Schon in den vergangenen Tagen seien immer wieder Flugzeuge der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen worden: Kampfjets, Transportmaschinen und Hubschrauber. Immer wieder haben das auch die Separatisten zugegeben. Diesmal aber nicht.

Keine Reaktion gibt es zunächst aus Russland. Dabei hatten ukrainische Funktionäre aus der zweiten Reihe zuletzt wiederholt direkt Moskau vorgeworfen, die Maschinen von russischem Gebiet aus abzuschießen - um den Separatisten zu helfen. Der Sprecher des nationalen Sicherheitsrates, Andrej Lyssenko, sorgte am Donnerstag erneut für Aufregung, als er den Russen den Abschuss eines Suchoi-Kampfjets vorwirft.

Beweise für den schon einen Tag zurückliegenden Fall bringt er zwar nicht. Aber es soll vor allem ein Hilfeschrei an die internationale Gemeinschaft sein, die in die EU strebenden Ukrainer vor den Russen zu schützen und mehr zu tun. Da kommt der Abschuss einer Passagiermaschine mit einer bisher im Konflikt beispiellosen Zahl an Todesopfern den antirussischen Hardlinern in Kiew mehr als gelegen.

Gerade eben sei eine Passagiermaschine auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur abgeschossen worden, berichtet Anton Geraschtschenko, Berater des Innenministers, überraschend schnell bei Facebook. Abgeschossen durch ein "liebevoll" von Kremlchef Wladimir Putin an die Separatisten übergebenes bodengestütztes Luftabwehrsystem vom Typ "Buk" (Buche), weiß der Funktionär schon zu einer Zeit, als sich viele fragen, ob die Nachricht vom Absturz stimmen kann.

Geraschtschenko berichtet: "Es flog in 10.000 Meter Höhe. Es starben 280 Passagiere und 15 Mitglieder der Besatzung." Und er präsentiert den aus seiner Sicht Schuldigen. "Der Zynismus Putins und seiner Terroristen kennt keine Grenzen! Europa, USA, Kanada, zivilisierte Welt - öffne die Augen! Hilf uns mit allem, was möglich ist! Das ist ein Krieg des Guten mit dem Bösen!", schreibt der Funktionär. Es sind wohl gesetzte Aussagen, als weder Bilder von dem Unglück noch genaue Fakten vorhanden sind.

Die Separatisten beteuern felsenfest, sie besäßen keine Flugabwehrsysteme vom Typ "Buk". Dabei haben selbst russische Medien im Juni noch stolz berichtet, die Aufständischen hätten sie erobert. "Natürlich haben wir solche Anlagen nicht. Sie sind zu schwer, eine riesige Waffe, die wir nirgendwoher bekommen", betonte nun noch einmal der Separatistenführer Andrej Purgin. Eilig löschten die Separatisten die Hinweise auf ihren Internetseiten von den "Buk"-Eroberungen.

Militärsprecher Lyssenko berichtete am Donnerstag noch einmal kurz vor dem Flugzeugabschuss im Sicherheitsrat, dass die Separatisten jetzt ein "Buk"-System hätten, mit der sie Flugzeuge auch in 10 000 Metern Höhe abschießen können. Kurz darauf passiert es. Eine Flugverbotszone über dem Konfliktgebiet Ostukraine galt nur für Höhen unter dieser Marke.

Viele in Poroschenkos Umfeld fordern schon seit Wochen ein härteres Vorgehen gegen die Separatisten und verlangen vor allem, dass er endlich das Kriegsrecht verhängt. Der Abschuss der Passagiermaschine gibt ihnen jetzt neue Argumente, vom Staatschef nun diesen bisher vermiedenen Schritt zu verlangen - um auch die internationale Gemeinschaft weiter als bisher in den Konflikt hineinzuziehen.

Bei vielen Menschen in Russland und der Ukraine werden an diesem Tag auch Erinnerungen wach an 2001, als eine russische Passagiermaschine in der Nähe von Sotschi von einer Flugabwehrrakete getroffen wurde. Untersuchungen ergaben, dass das Flugzeug bei einem Manöver auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim von einer ukrainischen Flugabwehrrakete getroffen wurde, die außer Kontrolle geraten war. Alle 78 Insassen des Flugzeugs starben.

Abschüsse von Passagierflugzeugen

In der Geschichte der zivilen Luftfahrt sind seit dem Zweiten Weltkrieg mehrere Abschüsse von Passagierflugzeugen bekannt geworden. Zu ihnen gehören:

  • Am 21. Februar 1973 wird über dem Sinai ein libyscher Passagierjet von einem israelischen Kampfflugzeug abgeschossen. Dabei kommen 108 der 113 Insassen der Boeing 727 des Flugs 114 ums Leben.
  • Am 1. September 1983 wird ein Jumbo-Jet der Korean Airlines wegen angeblicher Verletzung des damaligen sowjetischen Luftraums von einem Kampfflugzeug über internationalen Gewässern westlich der Insel Sachalin abgeschossen. Alle 269 Menschen an Bord von Flug KAL 007 kommen ums Leben.
  • Am 3. Juli 1988 wird eine iranische Linienmaschine auf einem Kurzstreckenflug nach Dubai über dem Persischen Golf vom US-Kriegsschiff USS Vincennes mit einer Rakete abgeschossen. Alle 270 Menschen an Bord der Maschine des Flugs 655 kommen ums Leben.
  • Am 4. Oktober 2001 wird eine Tupolew Tu-154 der russischen Fluggesellschaft Sibir auf dem Weg von Tel Aviv nach Nowosibirsk in der Nähe von Sotschi von einer Flugabwehrrakete getroffen. Untersuchungen ergeben, dass die Maschine von einer ukrainischen Flugabwehrrakete getroffen worden war, die sich bei einem Übungsschießen auf der Krim selbstständig gemacht hatte. Alle 78 Insassen des Flugzeugs sterben.
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