Ein Grenzfall und viele Merkwürdigkeiten Sebastian Edathy ist möglicherweise gewarnt worden

HANNOVER · Er ist "erschüttert", sagt Jörg Fröhlich, Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover. Es sind nicht die Kinderporno-Vorwürfe gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy an sich, die den sonst eher zurückhaltenden Beamten so verärgert haben.

 Alles andere als gut gelaunt: Staatsanwalt Jörg Fröhlich am Freitag vor der Presse.

Alles andere als gut gelaunt: Staatsanwalt Jörg Fröhlich am Freitag vor der Presse.

Foto: dpa

Ihn empört, wer alles schon seit Monaten davon wusste und wohl auch darüber geredet hatte: "Ich bin fassungslos, dass breite Teile der Polizei und der Innenministerien sich mit dem Fall beschäftigt haben, bevor die Justiz überhaupt in den Besitz der Strafakte kam."

Fröhlichs Kritik zielt auf einen zentralen Vorwurf: den Geheimnisverrat. Edathy war möglicherweise vorher gewarnt worden von Leuten, die über interne Informationen verfügten. Für den Chef der Staatsanwaltschaft liegt die Verantwortung dafür in Polizeikreisen. Dass er diese jetzt öffentlich scharf kritisiert, wirkt wie eine Ohrfeige. Aber ob Fröhlich damit auch von eigenen Versäumnissen ablenken will? Der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass auch die Justiz sich fragwürdig verhalten hatte.

[kein Linktext vorhanden]Es fängt an zwischen 2005 und 2010, als Edathy nach Darstellung von Fröhlich neunmal Material bei einer kanadischen Online-Firma bestellte. Dabei handelt es sich um insgesamt 31 Videos und Fotoalben. Die ersten sieben Lieferungen ließ er an seine Rehburger Postadresse schicken, die letzten beiden beschaffte sich Edathy über Downloads, er nutzte dafür die IP-Adresse des Sicherheitsreferats aus dem Bundestag. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Edathy der Besteller", sagt der Oberstaatsanwalt. Edathy zahlte mit der Kreditkarte, für einige Bestellungen seien extra Konten eingerichtet worden. Der Politiker gab sich offenbar Mühe, sein Handeln zu vertuschen.

In Kanada waren die Behörden seit 2010 gegen die dortige Online-Firma vorgegangen, und dem Bundeskriminalamt sollen die Vorgänge schon seit 2012 bekannt gewesen sein - 800 deutsche Kunden sind betroffen. In Niedersachsen geht es neben Edathy um 16 weitere Fälle, in denen derzeit ermittelt wird. Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft erfuhr im Oktober 2012 davon, ein Jahr später wurde laut Fröhlich auch die Celler Generalstaatsanwaltschaft informiert - über die niedersächsischen Verdächtigen, insbesondere den politisch heiklen Fall Edathy.

Schon zuvor, meint Fröhlich, müssen die Landeskriminalämter und die Polizeibehörden intensiv damit befasst gewesen sein, die verschlüsselten Daten aus Kanada zu identifizieren. Bei dieser Überprüfung muss die Polizei schon auf Edathy gestoßen sein. So erfuhr wohl auch der für Edathys Wohnort Nienburg zuständige Göttinger Polizeipräsident Robert Kruse davon, der Ende Oktober 2013 den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius unterrichtete. Der aber, betont sein Sprecher, redete "mit niemandem darüber". Dies war wohl auch die Zeit, in der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den SPD-Chef Sigmar Gabriel informierte. Anschließend hatten mehrere SPD-Politiker davon erfahren.

[kein Linktext vorhanden]Ob aus diesem Kreis Edathy informiert, also gewarnt worden war? Wer das tat, hat womöglich eine Strafvereitelung begangen. Oberstaatsanwalt Fröhlich bekam die Akte Edathy als "Verschlusssache" Anfang November in einem verschlossenen Umschlag. Er weihte nur wenige Mitarbeiter ein, wie er sagt. Die Informationslage sei im November noch "zu dünn" gewesen, um Ermittlungen zu starten.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Der Anwalt von Edathy meldete sich Ende November bei der Staatsanwaltschaft und bat um ein vertrauliches Gespräch. Edathy musste damals also schon etwas von dem Verdacht gegen ihn geahnt haben. Hatten ihn politische Freunde informiert? Gab es ein Leck in der Staatsanwaltschaft? Oder war er einfach durch Presseveröffentlichungen am 14. November über das Verfahren in Kanada hellhörig geworden?

Die Anklagebehörde hätte jetzt wohl alarmiert sein müssen. Doch sie handelte nicht. "Wir wollten nicht vorschnell die Karriere eines Politikers beenden", sagt Fröhlich. Man habe an ihm "kein Exempel statuieren wollen". Außerdem sei nach wie vor fraglich, ob das von Edathy bestellte Material tatsächlich verboten ist. Solange es sich um Bilder von nackten Kindern handelt, die sich nicht in aufreizender Form darstellen, muss der Besitz noch nicht unter Strafe stehen. Deshalb habe man erst gründlich prüfen und abwägen wollen. Schließlich sei das alles ein "Grenzfall". Aber haben die Ermittler Edathy mit ihrem Zögern vielleicht Zeit gegeben, Spuren zu verwischen und anderes, weit belastenderes Material beiseite zu schaffen? Bei der Durchsuchung von Wohnung und Büros zu Wochenbeginn fehlten Computer, offenbar war eine Festplatte zertrümmert.

Erst Ende Januar entschied die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen zu starten. Als der Brief an den Bundestagspräsidenten wegen der Aufhebung der Immunität gerade in den Briefkasten gesteckt war, legte Edathy sein Mandat nieder. Offenbar wusste er genau, dass die Ermittlungen starten und es jetzt keinen Sinn mehr machte, an dem Mandat festzuhalten. Hatte ihn jemand über den Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten? Der Brief an den Bundestag brauchte übrigens fünf Tage, bis er in der Bundestagsverwaltung angekommen war. Das sind Merkwürdigkeiten über Merkwürdigkeiten.

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