Streitpunkt Familienpolitik Seehofers "Herzensanliegen"

BERLIN · In der Frage des Betreuungsgeldes muss sich die Koalition jetzt schnell verständigen. Ministerpräsident Seehofer hat sich das Projekt als Nummer 1 auf die politische Prioritätenliste gesetzt.

 Eine junge Frau spielt, vor einem Laptop sitzend, mit ihrem Baby: Die Koalition streitet weiter darüber, ob das Betreuungsgeld sinnvolle Unterstützung ist oder falscher Anreiz.

Eine junge Frau spielt, vor einem Laptop sitzend, mit ihrem Baby: Die Koalition streitet weiter darüber, ob das Betreuungsgeld sinnvolle Unterstützung ist oder falscher Anreiz.

Foto: dpa

Es war schon ein komischer Moment. Angela Merkel lobte in ihrem Debattenbeitrag zu den Haushaltsberatungen 2013 in der letzten Woche, dass die Koalition "super zusammenarbeitet". Überraschte und ungläubige Gesichter bei Unions- und FDP-Abgeordneten.

Merkel bekräftigte in den für einen Moment stillen Bundestag hinein, dass sie die christ-liberale Koalition in Berlin am liebsten nach den September-Bundestagswahlen 2013 fortsetzen wolle. Einer CSU-Abgeordneten kommen Zweifel: "Und das bei den Problemen, die wir noch vor uns haben?"

Zu den Problemen, die fraglos mehr als ein Stolperstein sein werden, gehört der Streit um das Betreuungsgeld. Es ist "Horsts Wille", so ein CSU-Mann. Ministerpräsident Seehofer hat sich das Projekt als Nummer 1 auf die politische Prioritätenliste gesetzt. Er blickt vor allem auf die bayerischen Wählerinnen, deren Interessen er vertreten will.

Das Ganze sei doch keine CSU-Erfindung, wird betont. Schließlich haben die Unionsparteien und die FDP ihre Zielvorstellungen im Koalitionsvertrag festgehalten.

Demzufolge sollen die Eltern, die für ihr Kind im zweiten oder dritten Lebensjahr keinen Kita-Platz oder keine staatlich geförderte Tagesmutter in Anspruch nehmen, ab 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 100 Euro monatlich erhalten. Ab 2014 würde sich die Summe auf 150 Euro im Monat belaufen.

Wichtig zu wissen: Ab dem 1. August 2013 haben Kinder unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot. Vertreter der Länder und Kommunen warnen seit Wochen in diesem Zusammenhang vor einer Klagewelle, weil das Angebot an Kita-Plätzen nicht annähernd die Nachfrage befriedigen könne.

Wie unsicher die Situation ist, wird an Details deutlich. Ursprünglich sollte der Bundestag schon am 28. September die Gesetze verabschieden. Jetzt ist der 18. Oktober im Gespräch. Angeblich sei die Verzögerung mit Fristfragen zwischen Bundestag und Bundesrat zu erklären.

Das ist eine ziemlich verwegene Begründung. Denn der neue Termin liegt 24 Stunden vor dem CSU-Bundesparteitag, der in München stattfinden wird. Kalkül der CSU-Frauen: Seehofer werde nicht mit leeren Händen vor die Delegierten treten können.

Das sehen nicht alle in der Union so. So soll in der vergangenen Woche bei einer Begegnung eines familienpolitischen Arbeitskreis der Unionsfraktion die einzig anwesende CSU-Frau auf das geballte Unverständnis der CDU getroffen sein.

Auch die Berufung auf die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende bringt wenig Sinn: Merkel hat der CSU das Betreuungsgeld zugesagt, "weil es so im Koalitionsvertrag" steht. Das ist eine formale Sichtweise, die keine Hinweise auf die endgültige Positionierung von Angela Merkel zulässt.

Also müssen sich die familienpolitischen Experten aus den Unionsparteien selbst auf die Suche nach einer tragfähigen Gesetzesgrundlage machen. Zwei Hinweise sind für die Debatte interessant. Ausgerechnet der bayerische CSU-Ministerpräsident meldete sich während einer Israel-Reise zu Wort.

Er könne sich eine Lösung vorstellen, die die Gewährung des staatlichen Betreuungsgeldes von der Teilnahme an den regelmäßigen Vorsorge-Untersuchungen des Nachwuchses abhängig macht. So können leichter Kindesmisshandlung und Verwahrlosung von Kindern erkannt werden. Damit könnte sich die CSU einverstanden zeigen.

Dass die Christsozialen sich neu in der Betreuungsfrage aufstellen müssen, zeigt eine andere Episode. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hatte noch vor wenigen Tagen Neuverhandlungen des Betreuungsgeldes eine kategorische Absage erteilt. Sie werde die Ergebnisse der Fachbefragung durch den Bundestags-Familienausschusses auswerten und versuchen, die "unterschiedlichen Enden" zusammen zu bringen.

Das "Herzensanliegen" (Seehofer) der Koalition soll vor einem Scheitern bewahrt werden. Das muss relativ zügig geschehen. Denn zunächst müssen die Unionisten Einigung erzielen. Der Koalitionspartner FDP ist zunehmend kategorisch gegen das Projekt. Zu den grundsätzlichen Bedenken über staatliche Subventionen in Milliardenhöhe tritt die Kritik, eine solche Geld-Regelung führe zu falschen Anreizen.

Bildungsfernere Eltern würden nur die Geldkomponente beachten und Kindern den Weg in die Krippe verbauen, obwohl diese erkennbar positive Impulse auf die frühkindliche Entwicklung vor allem im Bereich der Sprachförderung hat.

Der baden-württembergische Abgeordnete Patrick Meinhardt (FDP) brachte als Alternative eine Gutschein-Lösung ins Spiel. Sie war als Option auch im Koalitionsvertrag enthalten. Selbst wenn sich die Koalition auf eine Lösung verständigt, bleibt immer noch der Bundesrat. Die Koalition hält das Gesetzesvorhaben für nicht zustimmungspflichtig. Das sieht die Opposition, die in der Länderkammer eine Mehrheit bildet, anders.

Ein anderes Problem: Juristen streiten inzwischen darüber (siehe unten), ob nach der Föderalismusreform der Bund überhaupt so einschneidende Gesetze beschließen kann.

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