Kommentar zur Diesel-Entscheidung Skandal im Skandal

Meinung | Bonn · Es wäre ein Armutszeugnis der neuen Bundesregierung, wenn am Ende doch wieder fast nur die Steuerzahler für den Schaden aufkommen müssten, kommentiert Birgit Marschall.

Das Leipziger Urteil ist eine mutige, folgerichtige und angemessene Entscheidung. Mutig, weil Fahrverbote mehrere Millionen Verbraucher betreffen, weil sie Hemmnisse und Einbußen für die lokale Wirtschaft, den Handel und die Autoindustrie bedeuten. Dass auch die Anleger an den Börsen diese Bedeutung sehen, zeigte der massive Verlust der Autowerte an den Börsen sofort nach dem Urteil.

Folgerichtig ist die Entscheidung, weil der Schutz der Gesundheit schwerer wiegt als die Interessen von Autofahrern und Wirtschaft. Angemessen ist das Urteil, weil es zumindest für Euro-5-Fahrzeuge eine Übergangsfrist und auch Ausnahmen für das Handwerk, Lieferanten und Anwohner vorsieht.

Um zu verhindern, dass jetzt ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen in den Städten entsteht, ist der Druck auf die mögliche große Koalition, zu einer bundeseinheitlichen Regelung zu kommen, immens gewachsen. Bisher lehnen Union und SPD die „blaue Plakette“ noch ab. Diese Haltung der Verweigerung ist der Koalition ab sofort nicht mehr möglich. Zu Recht fordert der Städtetag die Einführung der „blauen Plakette“. Zwei Argumente dafür sind nicht zu entkräften: Erst durch die Plakette werden Fahrverbote für die Polizei überhaupt kontrollierbar. Und nur mit der Plakettenpflicht gäbe es bundeseinheitliche Regeln. Der Aufwand für die Verkehrsteilnehmer ließe sich auf den Erwerb der Plakette begrenzen, sie müssten im Verkehrsalltag nicht mit bösen Überraschungen rechnen.

Das Urteil trifft vor allem Dieselfahrer, von denen viele erst vor wenigen Jahren oder Monaten im guten Glauben ein Fahrzeug mit der Euro-5-Norm erworben haben. Ihr Fahrzeug verliert jetzt nicht nur an Wert, sie müssen auch mit Behinderungen rechnen. Es ist dringende Aufgabe der Bundesregierung, die Autoindustrie zu zwingen, diesen Autofahrern die kostenlose Hardware-Nachrüstung ihrer Fahrzeuge zu ermöglichen. Die Industrie hat nicht nur zu lange auf die Dieseltechnologie und zu starke Motoren gesetzt. Sie hat die Öffentlichkeit getäuscht, indem sie Schummel-Software verwendete. In die Erforschung von Dieseltechnik mit geringeren Abgaswerten investierte sie fahrlässig wenig Geld.

Die Autohersteller haben trotz des Diesel-Skandals zuletzt wieder enorme Gewinne erzielt. Sie sollten einen beträchtlichen Teil dieser Gewinne verwenden müssen, um geschädigte Dieselhalter nicht auf dem Schaden sitzen zu lassen. Die Ignoranz der Autoindustrie in diesem Skandal ist schon ein Skandal an sich. Nach diesem Urteil hätte sie eine neue Chance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Es wäre ein Armutszeugnis der neuen Bundesregierung, wenn am Ende doch wieder fast nur die Steuerzahler für den Schaden aufkommen müssten, den die Industrie aktiv und die Politik durch Nichtstun verursacht haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort