Verfassungsreform in der Türkei So funktioniert Erdogans Präsidialsystem

Istanbul · Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will ein neues Präsidialsystem einführen. Das sind die wichtigsten Punkte der geplanten Verfassungsreform.

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will ein Präsidialsystem einführen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will ein Präsidialsystem einführen.

Foto: dpa

Glaubt man dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierungspartei AKP, dann ist es ein Wunder, dass in der Türkei derzeit überhaupt etwas funktioniert. Nur im heftigen Kampf gegen das bestehende System habe seine Regierung in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ihre Vorstellungen durchsetzen und der Türkei neuen Wohlstand bescheren können, sagt Erdogan vor dem Verfassungsreferendum am kommenden Sonntag. Er ruft die Türken dazu auf, der Umwandlung des bestehenden parlamentarischen Systems in eine Präsidialrepublik zuzustimmen. Kritiker warnen vor einer Diktatur.

Erdogan und die AKP argumentieren, es gebe eine Konkurrenz zwischen dem Staatsoberhaupt und dem Ministerpräsidenten, der dem Kabinett vorsteht: Beide Spitzenpolitiker hätten starke demokratische Mandate. Dies führe zu vielen Reibungsverlusten. Die Lösung bestehe im Präsidialsystem: Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft, die wichtigsten Befugnisse werden im Staatsoberhaupt vereinigt. Anders als bisher soll der Präsident künftig Mitglied und Vorsitzender einer politischen Partei sein dürfen – die bisher gebotene Überparteilichkeit entfällt.

Er wird für höchstens zwei jeweils fünfjährige Amtsperioden gewählt. Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode Neuwahlen beschließen, kann der Präsident aber noch einmal kandidieren. Da Erdogans aktuelle Amtszeit noch bis zum Jahr 2019 reicht, könnte er letztlich bis zum Jahr 2034 regieren. Entscheidungsprozesse würden im neuen System verschlankt, das Regieren werde effizienter, was allen Bürgern zugutekomme, verspricht Erdogan. Im Übrigen gebe es auch in westlichen Staaten wie in den USA oder in Frankreich starke Präsidialsysteme.

Vergleiche mit Systemen in Paris und Washington hinken

Allerdings zeigt ein Vergleich des Erdogan-Plans mit den Systemen in Washington und Paris eine Tendenz, bestimmte Teile aus diesen Konstruktionen zu übernehmen, die für die Machtkontrolle wichtigen Mechanismen aber zu ignorieren. So ist der Präsident in Frankreich zwar ähnlich mächtig wie der türkische Staatschef im Erdogan-Plan, doch er muss sich die Regierungsgewalt mit dem Ministerpräsidenten teilen, auch wenn dieser einer anderen Partei angehört. In der Türkei soll es das nicht geben: Der Präsident ist auch Chef der Regierung und sucht sich seine Minister eigenmächtig aus.

Beim Blick auf die USA fällt im türkischen Plan das Fehlen anderer starker Gegengewichte auf. Der US-Präsident muss sich nicht nur mit den erheblichen Rechten der Bundesstaaten herumschlagen, die es in der zentralistisch organisierten Türkei nicht gibt. Der Staatschef in Washington muss auch mit den Mitspracherechten des Parlaments zurechtkommen, etwa bei der Ernennung von Ministern oder Bundesrichtern.

Die AKP unterstreicht, im neuen System habe das Parlament mehr Befugnisse bei der Besetzung des Richter-Kontrollgremiums. Zudem werde die Zahl der Parlamentsabgeordneten von 550 auf 600 erhöht und die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängert, um Präsidenten- und Parlamentswahlen gleichzeitig abhalten zu können. Das Mindestalter für das passive Wahlrecht wird von 25 auf 18 Jahre gesenkt.

Ob all dies das Parlament stärkt, wird von Kritikern bezweifelt. Untersuchungen wie die Ermittlungen in den USA gegen Trump würde es in der Türkei nicht mehr geben. Umstritten ist auch das Recht des Präsidenten zur Auflösung des Parlaments. Kritiker sehen hier eine unzulässige Machterweiterung. Die AKP verweist dagegen darauf, dass der Präsident bei einer Auflösung auch das Ende seiner eigenen Amtszeit einleiten würde.

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