Ostdeutschland im Visier So wollen die Grünen im Wahljahr 2019 punkten

FRANKFURT/ODER · Die Grünen stimmen sich in Frankfurt an der Oder nach dem Twitter-Fehltritt ihres Vorsitzenden Robert Habeck auf die kommenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern ein. Am Ende steht ein siebenseitiger Klausurbeschluss. Ein Ziel: Ostdeutsche Stimmen hörbar machen.

 Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, bei der Jahresauftakt-Klausur des Bundesvorstands.

Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, bei der Jahresauftakt-Klausur des Bundesvorstands.

Foto: dpa

Robert Habeck ist gerade nicht in allergrößter Plauderlaune. Der Twitter-Patzer vom Vortag wirkt nach. Aber bitte, hier „im Herzen von Europa“, wie Grünen-Chefin Annalena Baerbock die deutsch-polnische Grenzregion beschreibt, stört immer wieder ein Funkloch den Kontakt zur Außenwelt. In der Welt der ganz schnellen Nachrichten kann das auch mal eine Atempause schaffen. „Immer dieses Zack-Zack-Zack, alles wissen schon die Lösung – das ist vielleicht die falsche Strategie“, sagte Baerbock kritisch – auch zu Reaktionen auf den jüngsten Anschlag auf einen AfD-Politiker in Bremen. Dann eben auf nach Europa!

Nur einige hundert Meter. Schon wären Baerbock und Habeck in Polen. Am Vortag noch waren die Grünen mit Schildern mit der Aufschrift „Europa“, „Freiheit“, „Demokratie“ auf die Stadtbrücke in Frankfurt/Oder gezogen. Zwei Tage hat der Grünen-Bundesvorstand in der Stadt an der deutsch-polnischen Grenze in Klausur über das Wahljahr 2019 beraten. Hier Frankfurt an der Oder, dort das polnische Slubice. „Ohne Grenzen. Bez granic“, werben beide Städte in Deutsch und Polnisch für ein offenes Europa. Baerbock sagt, „hier im Herzen Europas“ könne man zeigen, „dass die Zukunft im europäischen Projekt liegt“.

Das neue Jahr mit der Europawahl im Mai sowie Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September und Oktober sehen die Grünen auch als eine Gelegenheit, endlich echte gesamtdeutsche Verhältnisse zu schaffen – 30 Jahre nach dem Fall der Mauer. „Das Jahr 2019 ist eine Chance – eine Chance Deutschland und für uns alle, die wir hier leben“, beginnt ein siebenseitiger Klausurbeschluss des Grünen-Bundesvorstandes. Ein Ziel der Grünen in diesem Jahr: Sie wollen „ostdeutsche Stimmen hörbar machen“, wie sie in ihrem Papier betonen, und werben dafür, künftig „Bundesbehörden bevorzugt im Osten anzusiedeln“.

Jahr der Chancen beginnt nicht gut

Doch dieses neue Jahr der Chancen hat zumindest für Parteichef Habeck nicht gut begonnen. Erst recht, wenn man das aktuell besondere Interesse der Grünen am deutschen Osten berücksichtigt. Die Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge sind vielfach noch Diaspora für die Partei mit der Sonnenblume im Logo. Wahlen in Ostdeutschland bedeuten für die Grünen, die im Bund zuletzt mit Umfragen von über 20 Prozent einen regelrechten Hype erfahren haben, regelmäßig den Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde.

Und dann kommt Parteichef Habeck ausgerechnet zum Auftakt eines Wahljahres mit einem Satz, verbreitet über den Kurznachrichtendienst Twitter, mit dem er sich im Osten nicht nur keine Freunde macht, sondern gleich ein ganzes Sonnenblumenfeld abbrennt. „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land“, so Habeck über das Bundesland, in dem 2014 mit Bodo Ramelow der erste Politiker der Partei Die Linke Ministerpräsident werden konnte.

Ein Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien war dem Grünen-Chef sicher. Keine gute Visitenkarte für die Grünen, die es in Ostdeutschland ohnehin schwer haben. Die Grünen seien eben die Partei besser verdienender und besser gebildeter westdeutscher Großstädter, „Besser-Wessi-Partei“ eben, so ein Vorwurf. Habeck zog gleich Konsequenzen: Er ist jetzt raus bei Twitter. Zu schnell, zu aggressiv, zu heftig löse man dort Emotionen aus. Sein Facebook-Konto hat Habeck auch gleich gekündigt. Auf dem Onlinedienst Instagram aber will er bleiben. Außerdem: „Die Partei twittert ja lustig weiter.“

Jetzt also auf in den Wahlkampf mit Sonnenblumen auch für Ostdeutschland. Die Klausur der offenen Grenzen in Frankfurt/Oder in Brandenburg, Wahlheimatland der Grünen-Co-Vorsitzenden Baerbock, soll die Basis für spätere Wahlerfolge bilden. In einer Phase, in der Populisten von Links und Rechts die Spaltung betrieben, so die Grünen, werben sie „für eine neue Gemeinsamkeit in Deutschland“. Sie wollen im Wahlkampf „reden über Lebensleistungen, die in der DDR genauso wie in der alten BRD erbracht wurden“. Aber eben auch „reden über Nationalisten, Rechtsextreme und Neonazis“.

Ihren „Arbeitsauftrag“ der neuen deutschen Gemeinsamkeit wollen die Grünen „bis in den letzten Winkel der Republik, egal ob West oder Ost“, tragen. Und dabei den bestehenden Soli „komplett“ durch einen neuen „Soli für gleichwertige Lebensverhältnisse“ im Osten wie im Westen ablösen. 2019 wolle man 30 Jahre nach der friedlichen Revolution im Osten „endlich eine Einheit auf Augenhöhe schaffen“.

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