Analyse zur SPD Sozialdemokraten zwischen Frust und Kampfeslust

Berlin · Die SPD findet bislang kein Mittel gegen das Umfragetief. Bei den vier anstehenden Wahlen steht sie unter Druck. Die Parteiführung sucht nach Profilierungsthemen.

 Zwischen den Stühlen: SPD-Parteichefin Nahles.

Zwischen den Stühlen: SPD-Parteichefin Nahles.

Foto: dpa

Wenn von der SPD ein Hauch Volkspartei übrig bleiben soll, muss etwas passieren in diesem Jahr. Vier Wahlen stehen bevor, die Europawahl und drei Abstimmungen in zumeist ostdeutschen Ländern, wo die SPD überall unter Druck ist. Es braucht ein Momentum, einen Einschlag, einen Knall. Damit auch wirklich alle hören und begreifen, dass sich bei den Genossen etwas dreht. Das wissen sie und darauf hoffen sie im Willy-Brandt-Haus. Die richtigen Mittelchen für einen solchen Knall haben die Spitzengenossen dort aber noch nicht zusammengemischt, das ist offenkundig.

Die SPD verharrt in Umfragen in einem Allzeit-Tief. Nie zuvor mussten die Sozialdemokraten im Fall von Neuwahlen ein Ergebnis um 15 Prozent fürchten. Danach sähe es aber aus, sollte es zum Bruch der Koalition kommen. Genau deswegen ist die SPD in ein Dilemma geraten: Aus Angst vor einer Wahlklatsche setzt Parteichefin Andrea Nahles alles daran, das Bündnis mit der Union zu halten.

Nach außen wirkt das wie ein „Weiter so“, dessen Ende Nahles und die anderen Befürworter der großen Koalition eigentlich verkündet hatten. Die SPD regiert eher geschmeidig denn rau, hielt sogar den großen Unionskrach um das Asylrecht aus, arbeitet gewissenhaft und durchaus erfolgreich den Koalitionsvertrag ab, stets um einen Kompromisse bemüht – selbst in der emotional aufgeladenen Debatte zur Abschaffung des Paragrafen 219a, der das Werbeverbot für Abtreibungen regelt.

Viele haben genug von kleinteiligen Kompromissen

Nahles und die SPD-Minister setzten auf Konsens mit der Union. In Partei und Fraktion verlangen viele hingegen die Abschaffung des Regelwerks. „Stets bemüht“ reicht ihnen nicht mehr, sie haben genug von kleinteiligen Lösungen. Gleichzeitig gehören Kompromisse zum Kern demokratischer Regierungsarbeit. Und nun? Raus aus der Regierung? Für die SPD-Spitze keine echte Option.

Stattdessen betonen Nahles und Finanzminister Olaf Scholz bei jedem Beschluss der Koalition, was die reine SPD-Lehre gewesen wäre – um aufzuzeigen, welche Unterschiede zur Union bestehen. Beispiel Rente: Da stand im Sommer die Einigung zur Stabilisierung der Rente bis 2025 kurz bevor, als Scholz verkündete, das Rentenniveau bis 2040 halten zu wollen. Die unfreiwillige Botschaft: Die SPD konnte sich mal wieder nicht durchsetzen.

Nun suchen Nahles, Scholz und Generalsekretär Lars Klingbeil weiter nach Profilierungsthemen: „Gute Arbeit“ gehört ebenso dazu wie Sozialstaatsreformen. Mutige Ideen sind dabei, wie ein von Klingbeil vorgeschlagenes Auszeitkonto für Arbeitnehmer. Dann flammt Kampfeslust auf. Richtig gezündet haben die Vorstöße bisher aber nicht. So werden die Rufe nach echter Veränderung lauter: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wird als möglicher neuer SPD-Chef genannt, andere favorisieren Manuela Schwesig, Weils Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern. Offiziell rüttelt aber niemand an Nahles’ Stuhl, wohl auch aus Angst vor einer Kettenreaktion, die einen Koalitionsbruch mit sich bringen könnte.

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