Steinbrücks Finger SPD-Kanzlerkandidat erhitzt die Gemüter

BERLIN · Nun gut, Spontaneität und Intuition sind bei diesem Spiel gefragt. Schon seit Jahren ist es geübte Praxis. Jeden Freitag bietet ein anderer Prominenter im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" seine Lesart von Improvisationstheater. Jetzt also auch Peer Steinbrück, für acht Tage noch SPD-Kanzlerkandidat.

Eine Woche vor der Bundestagswahl stellte sich Steinbrück den sieben Fragen. Und liefert dazu - als Antworten - sieben Gesten oder Gebärden, sieben Mal Körpersprache. Sieben Mal eine spontane Reaktion des Kandidaten, womöglich eine davon zu spontan. Steinbrück zeigt auf die provokante Frage: "Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi - um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?" - jawohl, dem Publikum den Stinkefinger.

Steinbrücks Pressesprecher Rolf Kleine hatte noch versucht zu retten. Der Ex-"Bild"-Journalist wollte genau das Mittelfinger-Motiv gestrichen sehen. Doch Steinbrück, der sich für die Zeit des Wahlkampfes von seiner Partei "Beinfreiheit" gewünscht hatte und gerne darauf verweist, dass niemand einen "Decoder" brauche, um ihn zu verstehen, gab sein Okay.

Jetzt ist die Aufregung groß, weil die Geste gemeinhin als obszön gilt, mindestens jedoch als nicht salontauglich. Für den früheren Fußballnationalspieler Stefan Effenberg bedeutete sie bei der WM 1994 in den USA das Ende seiner Karriere im Nationaltrikot, nachdem er unzufriedenen deutschen Fans den Mittelfinger gezeigt hatte.

Jetzt also auch Steinbrück, der als Kanzlerkandidat der Volkspartei SPD mit der Geste des ausgestreckten Mittelfingers auch vielen Peer-Kritikern im Volk zeigt, was er von dieser Art der Peersonifizierung hält.

Entrüstete oder empörte Reaktionen, und wenn sie nur dem Wahlkampfzwecke dienten, ließen nicht lange auf sich warten. FDP-Chef Philipp Rösler kritisierte: "Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat. So etwas geht nicht." Für CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach ist die Geste gar ein Hinweis dafür, dass Steinbrück aufgegeben hat. "Wer sich kurz vor der Wahl so präsentiert, will doch gar nicht Kanzler werden", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Dagegen verlautete unterdessen aus SPD-Kreisen, Steinbrück wolle nach der Wahl nicht einfach durch die Hintertür verschwinden, sondern die Verhandlungen über eine große Koalition selbst führen, sollte es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reichen. Steinbrück selbst hat im Wahlkampf stets betont, für eine große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht zur Verfügung zu stehen.

Doch auch Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin des potenziellen Grünen-Koalitionspartners, ging auf Distanz. Die Geste sei wohl Steinbrücks nonverbale Art, Klartext zu sprechen, sagte sie, und fügte hinzu: "Meine Form wäre das nicht." SPD-Chef Sigmar Gabriel nahm Steinbrück via Twitter in Schutz: "Peer Steinbrück hat in einem ironischen Foto-Interview auf ironische Art Emotionen gezeigt."

Steinbrück selbst sieht in seinem spontanen Mittelfingerimprovisationstheater kein Problem. "Da werden einem Fragen gestellt, die man übersetzt in Gebärden, in Grimassen, in Emotionen." Es werde eben geschauspielert. Außerdem: "Wir sollten Humor haben in diesem Wahlkampf. Diejenigen, die ihn nicht haben, sollen in den Keller zum Lachen gehen." Er hoffe jedenfalls, dass die Republik den Humor habe, "diese Grimassen und diese Gebärdensprache bezogen auf die Fragen richtig zu verstehen".

So stehen in diesen entscheidenden Tagen vor der Bundestagswahl zwei Gesten gewissermaßen gegeneinander: Steinbrücks Mittelfinger gegen Merkels Raute, wie sich die gegeneinander gespreizten Finger beider Hände der Bundeskanzlerin inzwischen zur Marke entwickelt haben. Die CDU wirbt mit der Merkel-Raute seit gut einer Woche sogar auf einem 2378 Quadratmeter großen Riesenplakat am Berliner Hauptbahnhof. Um die Ecke an der direkt angrenzenden Gebäudewand der Schriftzug: "Deutschlands Zukunft in guten Händen." Sehr unwahrscheinlich, dass die SPD nun auch noch Steinbrücks Mittelfinger plakatieren lässt.

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