Fall Edathy Suche nach einem Leck

BERLIN · Wo steckt Sebastian Edathy? Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, gegen den die Staatsanwaltschaft Hannover wegen des Besitzes von Nacktfotos und -filmen kleiner Jungs ermittelt, ist abgetaucht. Der letzte Eintrag auf seiner persönlichen Facebook-Seite datiert vom Dienstag dieser Woche.

 Abgetaucht: Von Sebastian Edathy ist derzeit keine persönliche Stellungnahme zu den Vorwürfen zu erhalten.

Abgetaucht: Von Sebastian Edathy ist derzeit keine persönliche Stellungnahme zu den Vorwürfen zu erhalten.

Foto: dpa

"Ich gehe davon aus, dass die Unschuldsvermutung auch für mich gilt. Ein strafbares Verhalten liegt nicht vor", schreibt Edathy. Von der derzeit meistgesuchten Person in Deutschland ist zu den Vorwürfen gegen ihn persönlich kein Wort mehr zu hören. Er soll ins Ausland gereist sein, von Dänemark ist die Rede.

Auch in seiner Partei herrschst ohrenbetäubendes Schweigen zum Fall Edathy. Kaum einer, der öffentlich die Hand hebt und wenigstens mahnt, den Parteifreund nicht öffentlich vorzuverurteilen. Dafür melden sich auf seiner Facebook-Seite die Unterstützer zu Wort. "Ich finde, es ist eine Schweinerei, was sie Dir antun", schreibt Maria Angeles Heinz. Und Nafiz Özbek mutmaßt, dass es sich "durchaus auch um ein Komplott des Verfassungsschutzes handeln" könne.

Diese Vermutung führen diejenigen, die Edathy den Rücken stärken, immer wieder ins Feld: Der Abgeordnete, der den Wahlkreis Nienburg-Schaumburg im Bundestag vertrat, sei als Leiter des NSU-Untersuchungsausschusses und vorher als Sprecher der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus der SPD-Fraktion einigen Leuten bei den Sicherheitsbehörden auf die Füße getreten. Dies sei die Rache.

Die Ermittler glauben nicht an solche Verschwörungstheorien. Sie erheben ganz andere Vorwürfe, und zwar gegen Berliner Spitzenpersonal. Seit Montag durchsuchten die Strafverfolger zwei Mal Wohn- und Büroräume von Edathy. Doch bei den Aktionen am Montag und am Mittwoch konnten die Beamten nur einen intakten Computer sicherstellen, wie der NDR und die "Süddeutsche Zeitung" berichteten.

Alle anderen Rechner seien entfernt worden. Nur Teile einer oder mehrerer zerstörter Festplatten hätten die Fahnder noch gefunden. Diese seien durch Schläge mit einem stumpfen Gegenstand möglicherweise irreparabel beschädigt worden, so NDR und SZ unter Berufung auf die Behörden. Wurde Edathy vor den laufenden Ermittlungen gewarnt, tauchte er deshalb unter und zerstörte womöglich Beweise, die gegen ihn hätten verwendet hätten können?

"Wenn Informationen über mögliche strafrechtliche Ermittlungen durchgestochen werden, ist das stets ein Vorgang, der Ermittlungen einer Staatsanwaltschaft erheblich gefährden kann", erklärte gestern Kathrin Söfker, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover. Zuvor war bekanntgeworden, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits seit Oktober des vergangenen Jahres von Ermittlungen gegen den Parteifreund Edathy wusste - und zwar aus berufener Quelle, durch den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich.

[kein Linktext vorhanden]Der CSU-Mann habe Gabriel damals "angesprochen" und ihm von Ermittlungen im Ausland gegen Edathy berichtet, teilte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gestern mit. Zwar gehe es nicht um strafbare Inhalte, habe Friedrich mitgeteilt, aber es werde möglicherweise zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen Edathy kommen. Friedrich selbst wurde durch den damaligen Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche alarmiert, der seinerseits einen Hinweis aus dem Bundeskriminalamt (BKA) bekommen hatte.

Gabriel habe nach dem Gespräch mit Friedrich den damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und ihn selbst ins Vertrauen gezogen, teilte Oppermann weiter mit. Nach seinen Angaben wurde im Dezember 2013 außerdem Christine Lambrecht, Oppermanns Nachfolgerin als 1. parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, in die Ermittlungen gegen Edathy eingeweiht.

Der ganze Vorgang treibt die Opposition im Bundestag auf die Palme. "Es gibt keine Grundlage, die dem damaligen Bundesinnenminister das Recht gab, diese Informationen weiterzugeben", erklärt Katja Keul, rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, auf Nachfrage des GA. Keul, die Edathy auch persönlich gut kennt, weil sie im selben Wahlkreis wie der SPD-Mann antritt, spricht von einem "ungeheuerlichen Vorgang" und erhebt gegen den heutigen Agrarminister Friedrich den Vorwurf der "Strafvereitelung im Amt".

[kein Linktext vorhanden]Auch die Staatsanwaltschaft Hannover wird erklären müssen, wieso Edathy offensichtlich am 7. Februar wissen konnte, dass am 6. Februar der Bundestag um die Immunitätsaufhebung gebeten werden sollte. Dies ist umso erstaunlicher, als das betreffende Schreiben beim Bundestag erst sechs Tage später einging. Darüber hinaus berufe sich die Lokalzeitung in ihrem Wahlkreis, die ebenfalls über die Hausdurchsuchung am Montag informiert worden war, auf eine Quelle in der niedersächsischen SPD. Zumindest vier Mitglieder der SPD-Spitze seien über die Vorwürfe gegen Edathy seit Oktober informiert gewesen, so Keul: "Auch die SPD-Spitze wird sich erklären müssen."

Als wäre das nicht genug, schaltete sich auch BKA-Chef Jörg Zierke ein und widersprach Oppermanns Darstellung, er habe dem SPD-Mann den Ermittlungsvorgang gegen Edathy bestätigt.

Für die Behörden stellt sich nun die Frage, ob, wann und von wem Edathy über die gegen ihn laufenden Ermittlungen informiert wurde. Die Berliner Staatsanwaltschaft als zuständige Behörde nimmt den Verdacht jedenfalls so ernst, dass sie gestern Vorermittlungen wegen möglicher illegaler Informationsweitergabe aus der Bundesregierung einleitete. Seine Behörde prüfe, ob der Anfangsverdacht einer Straftat vorliege, teilte Sprecher Martin Steltner mit.

Spätestens damit wird aus den unappetitlichen Vorwürfen gegen einen einzelnen Abgeordneten aus dem parlamentarischen Mittelbau eine Affäre, die Kreise in höchste Regierungsämter zieht. Fortsetzung garantiert.

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