Abschied von britischer Premierministerin Theresa May gibt ihr Amt als Vorsitzende ab

London · Theresa May gibt an diesem Freitag ihr Amt als Parteivorsitzende zurück. Elf potenzielle Nachfolger sind im Rennen um ihre Nachfolge. Doch ein konkreter Plan, wie es nach dem Brexit weitergehen soll, ist bei niemandem in Sicht.

 Zuletzt wurde es einsam um Theresa May. Sie ist mit ihrer Brexit-Politik gescheitert.

Zuletzt wurde es einsam um Theresa May. Sie ist mit ihrer Brexit-Politik gescheitert.

Foto: AFP

Die Machtzentrale in der Downing Street Nummer zehn inmitten von London und das beschauliche Dorf Sonning in der englischen Grafschaft Berkshire mögen auf den ersten Blick wie zwei gegensätzliche Planeten wirken. Und doch, sie haben eine Sache gemeinsam, die Theresa May in den vergangenen drei Jahren äußerst gelegen kam. An beiden Orten ist es ein Leichtes, sich abzuschotten von der Welt, dem politischen Getöse, dem ständigen Ärger und es sich in einer Blase gemütlich zu machen. Hier der offizielle Sitz der Premierministerin, dort das Zuhause der Privatperson May – jenes kleine Dorf mit seinen historischen Häusern und den alten Gemäuern, das der englische Dichter James Sadler einmal als „schöner als den Rest“ beschrieb, von Kunst veredelt, von der Natur gesegnet.

Seit seinem Loblied im 19. Jahrhundert hat sich an der Idylle kaum etwas verändert. Theresa May wird in Kürze zurück in diese Reinform des Bilderbuch-Englands ziehen. Nicht ganz freiwillig. Vielmehr wurde sie, das darf man in dieser Deutlichkeit sagen, regelrecht vom Hof gejagt. An diesem Freitag tritt May als konservative Parteivorsitzende zurück, wird nur noch übergangsweise als Premierministerin fungieren, bis ein Nachfolger gefunden ist. Das könnte bereits im Juli der Fall sein.

Das Rennen ist schon eröffnet, seit die 62-Jährige vor zwei Wochen zitternd und unter Tränen vor der berühmten schwarzen Tür mit der Nummer zehn das Unvermeidliche bekanntgab: ihr politisches Ende. Ein Abgeordneter nach dem anderen hob daraufhin die Hand, 13 Bewerber für ihre Nachfolge waren es zwischenzeitlich. Der Scherz ging um in Westminster, dass es bald mehr potenzielle Premierminister als konservative Abgeordnete geben würde. Mittlerweile ist die Zahl auf elf geschrumpft – alle mehr oder minder bereit zum Start der Schlammschlacht um das höchste Amt im Land. Nichts anderes dürfte der Wettbewerb werden, der im Reise-nach-Jerusalem-Stil funktioniert. Die konservative Fraktion verkleinert den Kreis sukzessive durch Wahlrunden, bis zwei Kandidaten übrigbleiben. Dann entscheidet die Basis. Ergo: Rund 160.000 Mitglieder bestimmen die Zukunft des 66-Millionen-Einwohner-Landes.

May blieb weitgehend unbekannt

Zu den aussichtsreichen Kandidaten gehören neben Innenminister Sajid Javid, Außenminister Jeremy Hunt und dem ehemaligen Brexit-Minister Dominic Raab jene altbekannten Haudegen, die schon einmal um den Premierministerposten buhlten: Ex-Außenminister Boris Johnson, Umweltminister Michael Gove, die Ex-Unterhausvorsitzende Andrea Leadsom. Es wirkt, als wäre dieses Land nie durch die Tumulte der letzten Jahre gegangen; als hätte es Theresa May nie gegeben; als hätten die qualvollen Verhandlungen mit der EU und die noch qualvolleren Abstimmungen im Unterhaus nie stattgefunden. Vielmehr könnte man meinen, mit einer Zeitmaschine zurück in die Vergangenheit zu reisen, in den schicksalshaften Sommer 2016.

Zurück auf Los, nur dass kaum jemand wagt, eine neue Karte zu ziehen. Wie wird das Gefecht dieses Mal ausgehen? Vor drei Jahren herrschte monatelang ein schmutziger Wahlkampf. Mit fiesen Intrigen und einer Skrupellosigkeit, die selbst Shakespeare erröten hätten lassen, stießen sich die Protagonisten des Dramas, Gove, Leadsom und Johnson, auf offener Bühne die Messer in die Rücken. Am Ende stand nur noch Theresa May auf dem Feld. Die Frau, die zwar offiziell zu den EU-Befürwortern zählte, sich im Wahlkampf aber weitgehend zurückhielt, galt als „sichere Wahl“ und sollte die Rolle der Versöhnerin übernehmen zwischen den Brexit-Befürwortern und den Modernisierern in der Tory-Partei sowie im tief gespaltenen Königreich. Dieser Schritt darf getrost als gescheitert bezeichnet werden.

Sie mag als langjährige Innenministerin eine der bekanntesten Politiker gewesen sein, bevor sie ins höchste Amt aufstieg. Und doch blieb sie weitgehend unbekannt. In Westminster, wo alte Seilschaften aus Eliteschul-Zeiten viel gelten und Entscheidungen gerne abends im Pub getroffen werden, hieß es stets, sie habe keine echten Freunde. Sie wurde respektiert statt geliebt, wünschte auch nichts anderes. Ihr größter Fehler war es, 2017 Neuwahlen auszurufen. Nach einem katastrophalen Wahlkampf verlor sie nicht nur die absolute Mehrheit, sondern auch ihre Autorität. May wurde eine Gefangene sowohl der erzkonservativen nordirischen Unionistenpartei DUP, die die Regierung fortan duldete, als auch der eigenen Hinterbänkler, die rebellierten und schimpften und putschten.

Mit Brüssel ausgehandeltes Abkommen scheiterte im Parlament

Der Konservativen fehle die Fähigkeit, Koalitionen zu bilden, Unterstützer hinter sich zu versammeln, beschrieben Weggefährten einstimmig ihre größte Schwäche. Diese sollte ihr zum Verhängnis werden, denn um beim Streitthema Brexit einen Kompromiss zu erzielen, hätte es Allianzen erfordert. Nicht alleine der EU-Austritt war das Problem, sondern auch May persönlich, befand denn auch der einflussreiche konservative Kolumnist Matthew Parris. „Sie ist nicht normal, vielmehr außergewöhnlich“ – außergewöhnlich unkommunikativ und außergewöhnlich grob in der Art, wie sie Menschen ausblende, Ideen und Argumente. Wie verbissen hat sie um ihre Macht gekämpft, wie hartnäckig wollte sie den Brexit durchboxen als ihr Vermächtnis.

Der EU-Austritt wurde beinahe zu einer Obsession. Doch das von ihr mit Brüssel ausgehandelte Abkommen scheiterte im Parlament. Einmal. Zweimal. Dreimal. Am Ende gab es keinen Ausweg aus der Sackgasse, in die sich die 62-Jährige zu großem Teil selbst manövriert hatte, wenn auch mit unfreundlicher Unterstützung ihrer Partei, die traditionell schonungslos mit ihren Vorsitzenden umgeht. Doch Mays Taktik, vor allem den Brexit-Hardlinern gefallen zu wollen und deshalb einen klaren Schnitt mit Ausscheiden aus Binnenmarkt und Zollunion zu verfolgen, schlug fehl. Nun ging die innerparteiliche Machtprobe zugunsten der Meuterer aus.

Matthew Parris nannte May „den Todesstern der modernen britischen Politik“, eine Anlehnung an eine Raumstation aus den Star-Wars-Filmen, deren Feuerkraft ausreicht, einen ganzen Planeten zu vernichten. Tatsächlich liegt die Partei der Tories in Trümmern, der Opposition der Labour-Partei geht es kaum besser. Die Fronten in der Bevölkerung sind so verhärtet wie nie. Die Nation wie auch Westminster kämpfen mit dem Erbe des EU-Referendums. Nun wird jemand anderes sein Glück im Brexit-Drama versuchen. Die Chancen, dass es ihr oder ihm ähnlich ergehen wird wie Theresa May, stehen ausgesprochen hoch.

Konkreter Plan für den Brexit fehlt

Ginge es allein nach dem Großteil der Mitglieder der konservativen Partei, würde Boris Johnson, seines Zeichens Polit-Clown und Brexit-Wortführer, schon sicher in die Downing Street ziehen. Die größte Hürde? Seine Abgeordnetenkollegen. Vermutlich auch die Statistik. Im vergangenen halben Jahrhundert setzte sich nur einmal der Anfangsfavorit durch. Doch Spaßvogel Johnson macht Ernst. Offenbar hört er auf den Rat seiner neuen Freundin, selbst Kampagnenprofi, sich noch im Hintergrund zu halten. Bislang ist es auffallend ruhig um ihn. Der radikale Europaskeptiker will als Kandidat erscheinen, der die Partei wieder einen kann.

Ein konkreter Plan, wie es mit dem Brexit weitergehen soll, fehlt derweil allen Bewerbern. Johnson hält sich bekanntermaßen nicht mit Details auf. Für ihn liegt die Lösung, will man seinen Kolumnen in seinem Hausblatt „The Telegraph“ glauben, im Vertrauen an die alte Pracht des Vereinigten Königreichs. Viele Freunde dürfte er sich im Parlament nicht machen. Auch nicht damit, dass seiner Ansicht nach das Königreich ohne Vereinbarung aus der EU austreten solle, wenn Brüssel keine besseren Bedingungen als jene im bisherigen Angebot offeriert. Auf jeden Fall will er am 31. Oktober, dem aktuellen Scheidungstermin, raus.

Doch steuert der künftige Premier, ob Johnson oder ein anderer Hardliner, tatsächlich auf einen ungeordneten Brexit zu, würde mit Sicherheit das Unterhaus einschreiten, wo diese Option auf der langen Liste aller unbeliebten Optionen abgeschlagen an Nummer ein steht. Es dürfte zu einem Misstrauensvotum kommen, gefolgt von einer Wahl. Und dann?

Theresa May wird das Spektakel aus ihrem Wohnort Sonning beobachten, jener anderen Welt, in der noch alles gut zu sein scheint. Sie dürfte darüber sehr erleichtert sein.

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