Sturz von Mohammed Mursi Ungewisse Zukunft: Ägypten droht ein neuer Machtkampf

Kairo · Ägyptens Schicksal auf Messers Schneide: Nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär droht dem Land ein neuer Machtkampf.

 Er ist der neue Übergangspräsident von Ägypten: Adli Mansour. Foto: Ahmad Hammad

Er ist der neue Übergangspräsident von Ägypten: Adli Mansour. Foto: Ahmad Hammad

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Als Übergangspräsident wurde der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, vereidigt. Der 67-Jährige soll die Geschicke des Landes bis zu Neuwahlen lenken. Nach tagelangen teils blutigen Massenprotesten für und gegen den Islamisten Mursi hatte das Militär den ersten freigewählten Präsidenten Ägyptens am Mittwochabend gestürzt und unter Arrest gestellt. Weltweit löste die Entwicklung Sorge vor neuem Blutvergießen bis hin zu einem Bürgerkrieg aus.

Bei nächtlichen Krawallen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens zehn Menschen getötet und fast 500 weitere verletzt. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo feierten bis zum Morgengrauen Hunderttausende den Sturz Mursis nach nur einem Jahr und drei Tagen im Amt.

Mursi, der sich am Donnerstag im Verteidigungsministerium im Gewahrsam des Militärs befand, bezeichnete seine Entmachtung in einer ersten Reaktion als "klaren Militärputsch". "Ich bin der gewählte Präsident Ägyptens", erklärte er in einer Botschaft, die er über das Internet verbreitete. Der erzwungene Machtwechsel werde "von allen freien Menschen des Landes abgelehnt, die dafür gekämpft haben, dass Ägypten eine zivile Demokratie wird".

Reaktionen nach Mursis Sturz
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Das Militär begründete sein Einschreiten mit Mursis Unfähigkeit, auf die Massenproteste gegen seine autoritär-islamistische Politik angemessen zu reagieren und berief sich auf die Millionen Teilnehmer an den Protesten der vergangenen Tage. Zuvor hatte die Armee Mursi ein 48-Stunden-Ultimatum gestellt, um die Staatskrise zu beenden.

Die Bezeichnung "Putsch" lehnten die Generäle auch deshalb ab, weil sie nicht selbst die Macht übernehmen wollten. "Es wird eine starke und kompetente, aus Technokraten bestehende nationale Regierung gebildet, die die komplette Vollmacht hat, in der gegenwärtigen Periode zu regieren", erklärte Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi in einer Fernsehansprache, in der er die Entmachtung Mursis bekanntgab.

Mansur soll an der Spitze einer parteiübergreifenden Interimsregierung stehen, deren Zusammensetzung noch nicht bekannt ist. Dieses Kabinett soll Neuwahlen für die Präsidentschaft und das Parlament vorbereiten. Der Zeitrahmen dafür ist noch unklar. Die neue Regierung soll außerdem Verfassungsänderungen ausarbeiten. Das Militär hatte die Verfassung außer Kraft gesetzt.

Nach seiner Vereidigung rief Mansur die Muslimbruderschaft, aus deren Reihen Mursi stammt, auf, sich "am Aufbau der Nation zu beteiligen". Sie sei "Teil dieses Volkes", sagte er zu Journalisten.

Die Sicherheitsbehörden allerdings gingen scharf gegen die Islamisten vor. Gegen zwei führende Funktionäre der Bruderschaft, den spirituellen Führer Mohammed Badia und den Haupt-Finanzier Chairat al-Schater, wurden Haftbefehle erlassen, wie am Donnerstag offiziell bestätigt wurde. Für Hunderte Muslimbrüder gelte ein Ausreiseverbot, teilte deren Sprecher Gehad al-Haddad im Kurzmitteilungsdienst Twitter mit. Das Militär habe sechs Satellitenkanäle geschlossen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich besorgt über das Vorgehen der Armee. "Militärisches Eingreifen in die Angelegenheiten eines jeden Staates ist äußerst bedenklich und lässt sich mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien nicht vereinbaren", erklärte er nach Angaben eines Sprechers am Rande eines Besuchs in Dänemark. Das Europaparlament in Straßburg rief zu einer raschen Wiederherstellung der demokratischen Ordnung auf.

US-Präsident Barack Obama vermied das Wort "Putsch", sagte aber, dass er eine Überprüfung der Militärhilfe für Ägypten veranlasst habe. Bundesaußenminister Guido Westerwelle bezeichnete den Umsturz als schweren Rückschlag für die Demokratie in Ägypten. Der britische Außenminister William Hague kritisierte Mursis Absetzung, sicherte der neuen Führung in Kairo aber die Zusammenarbeit zu. Die islamisch-konservative Regierung der Türkei nannte die Ereignisse "extrem besorgniserregend".

Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis kamen nach Medienberichten in der nördlichen Islamistenhochburg Marsa Matruh mindestens sechs Menschen ums Leben. Drei Tote habe es in Alexandria sowie im oberägyptischen Minja gegeben. Auch in Fajum südlich von Kairo sei es zu tödlicher Gewalt gekommen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete von öffentlicher sexueller Gewalt gegen Frauen in erschreckendem Ausmaß. Allein seit Beginn der jüngsten Proteste am 30. Juni seien mindestens 91 Frauen bei Demonstrationen in Kairo Opfer teils schwerster sexueller Angriffe geworden.

Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen. Die Protestbewegung kritisierte Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage.

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