Ursula von der Leyen verschreckt bei Lohndebatte

BERLIN · Sie "brüllt nie", wie Ursula von der Leyen selbst von sich behauptet. Sie sei "taktisch versiert" und habe "immenses politisches Rückgrat", bescheinigen ihr selbst Oppositionsabgeordnete. Das wird die Bundesministerin für Arbeit auch benötigen.

Denn sie hat am Wochenende in ihrer Funktion als Kabinettsmitglied Forderungen nach einem kräftigen Lohnschub erhoben: "Arbeitnehmer müssen das Plus auch spüren." Einwänden vor allem der Arbeitgeber, aber auch des Wirtschaftsflügels der Union, der Aufschwung sei doch vorbei, entgegnet sie kühl mit der Datenlage: "Auch wenn es internationale Risiken für die Konjunktur gibt, die harten Daten weisen in Deutschland auf einen weiter soliden Arbeitsmarkt und volle Auftragsbücher hin."

Von der Leyen stellt klar: "Wenn alle fleißig mitarbeiten, werden alle am Erfolg und Wohlstand beteiligt." Die Koalition gab sich verblüfft. Gerade hatte die IG-Metall mit einer 6,5-Prozent-Forderung den Startschuss für die Tarifauseinandersetzungen gegeben. Um dieselbe 6,5-Prozent-Forderung wird es auch demnächst bei den Auseinandersetzungen für zwei Millionen Angestellte des Öffentlichen Dienstes in Bund und Gemeinden geben.

Am Sonntag gab es Beifall und Buhrufe für den Vorstoß der Arbeitsministerin. SPD, Grüne und Gewerkschaften waren beglückt: Es handele sich um eine "Frage der Gerechtigkeit", assistierte beispielsweise die Grüne-Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Hohe IG-Metall-Funktionäre schlossen dem an: "Ich kann das nur begrüßen." Bei der Koalition überwog deutlich die Kritik: Die Lohnfindung sei ausschließlich Angelegenheit der Tarifparteien, hielt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Michael Fuchs, der Ministerin entgegen. Der Argumentation folgten andere Koalitionspolitiker.

Von der Leyen - zweiter Sprengsatz des Interviews - kündigte auch an, sie werde das Gespräch mit der FDP zum Thema "Mindestlohn" suchen. Das dürfte aber angesichts der eindeutig ablehnenden Haltung der Liberalen ein kurzes Vergnügen werden. Die Niedersächsin von der Leyen, die selbst kurzfristig als Nachfolgerin des ausgeschiedenen Bundespräsidenten Köhler im Gespräch war, fand kein gutes Wort über dessen Nachfolger Christian Wulff: Sie wolle sich aus "Respekt vor dem Amt" nicht äußern.

Eine persönliche Vertrauensbekundung gegenüber dem jetzigen Amtsinhaber vermied sie ostentativ. Die in Brüssel geborene 53-jährige Ministerin und Mutter von sieben Kindern war unter Wulff zwischen 2003 und 2005 niedersächsische Sozialministerin. Dann wechselte sie - auf ausdrückliche Empfehlung des damaligen Ministerpräsidenten - nach Berlin, um in der großen Koalition Familienministerin zu werden. Ende 2009 übernahm sie das Bundesarbeitsministerium.

Die ausgebildete Ärztin gilt als Tausendsassa der Koalition. Wenn sie es irgendwie einrichten kann, fährt sie nach dem ministeriellen Arbeitstag mit dem ICE in 90 Minuten nach Hannover, um auch an ihrem Wohnort Präsenz gegenüber der Familie zu zeigen.

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