Französisches Satiremagazin Verkaufs-Coup mit Mohammed

PARIS · Alle 75.000 Exemplare innerhalb von wenigen Stunden vergriffen, die Internet-Seite lahm gelegt und der eigene Name auf sämtlichen Info-Kanälen - das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" hat mit seiner aktuellen Ausgabe einen Verkaufs-Coup gelandet.

Wenn auch zum Preis einer Provokation, die riskant ist: Auf mehreren Seiten druckt es Karikaturen des Propheten Mohammed ab, teils nackt und in gewagten Posen.

Auf der Titelseite schiebt ein orthodoxer Jude Mohammed im Rollstuhl, der sagt: "Man darf sich nicht lustig machen!" Mit der Überschrift "Intouchables 2" ("Die Unberührbaren 2") wird auf den französischen Kino-Hit "Ziemlich beste Freunde" angespielt, in dem es um die Freundschaft eines Pflegers mit Migrationshintergrund und eines Querschnittsgelähmten geht - zweier "unberührbarer" Männer am Rande der Gesellschaft.

Aufmerksamkeit ist den Zeichnungen gewiss - nicht zufällig erscheinen sie zu einem Zeitpunkt, wo in mehr als 20 Ländern weltweit erzürnte Muslime auf die Straße gehen, um gegen das Islam-Schmähvideo "Innocence of Muslims" ("Die Unschuld der Muslime") zu protestieren. Die teils gewaltsamen Kundgebungen haben bereits Dutzende Tote gefordert.

Am Wochenende hatte sich die Bewegung von der arabischen Welt aus auch auf Europa ausgeweitet, wo es nach Aufrufen über soziale Netzwerke in der belgischen Stadt Anvers und in Paris zu unerlaubten Protestaktionen kam. In der französischen Hauptstadt demonstrierten bis zu 250 Menschen vor der US-amerikanischen Botschaft, 150 von ihnen wurden vorübergehend festgenommen.

Die Stimmung ist aufgeladen, die Politik und die Vertreter der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich reagieren nervös. Das Außenministerium teilte mit, dass am morgigen Freitag französische Einrichtungen in 20 Ländern geschlossen werden, darunter Botschaften, Kultureinrichtungen und Schulen. Er sei sehr besorgt angesichts des Risikos einer Eskalation, erklärte Außenminister Laurent Fabius.

Premierminister Jean-Marc Ayrault rief zum "Verantwortungsgefühl aller" auf. Er erinnerte an die Meinungsfreiheit als "eines der fundamentalen Prinzipien unserer Republik", aber ebenso an die Werte der Toleranz und des Respektes vor religiösen Überzeugungen. Wer sich in seinem Glauben verletzt fühle, könne Anzeige erstatten.

Der Antrag für eine Demonstration gegen den Anti-Islam-Film an diesem Samstag in Paris sei abgelehnt worden, erklärte Ayrault. "Es gibt keinen Grund, in unser Land Konflikte einzulassen, die es gar nicht betreffen." In mehreren größeren Städten sind am Wochenende offenbar dennoch Protestaktionen geplant. Frankreich zählt mit rund sechs Millionen Muslimen die größte islamische Gemeinschaft in Europa.

Deren Repräsentanten äußerten sich empört und besorgt zugleich. Die Veröffentlichungen drohten die allgemeine Wut der muslimischen Welt noch anzustacheln, sagte der Rektor der Großen Moschee in Paris, Dalil Boubakeur. Er trete schon lange für ein Verbot von Aufstachelung gegen religiösen Hass ein, so wie es auch ein Verbot der Aufstachelung gegen Rassenhass gebe. "Nichts rechtfertigt Beleidung", erklärte auch Mohammed Moussaoui, Präsident des islamischen Dachverbandes CFCM. Er appellierte zugleich an die Muslime in Frankreich, sich nicht provozieren zu lassen, Ruhe zu bewahren und ihre Empörung mit "legalen Mitteln" zu äußern.

Der Karikaturist und Chefredakteur von "Charlie Hebdo" Stéphane Charbonnier, bekannt unter seinem Künstlernamen Charb, verteidigt hingegen die Veröffentlichung der Zeichnungen: Wenn man sich selbst zensiere aus Angst vor den Drohungen einer Handvoll Extremisten, dann hätten diese gewonnen, argumentiert er.

Sicherheitskräfte überwachten gestern das Redaktionsgebäude. Charb selbst steht französischen Medien zufolge ohnehin unter ständigem Polizeischutz, seit einem Brandanschlag im vergangenen November auf die damaligen Redaktionsräume der Wochenzeitschrift in Reaktion auf eine Sonderausgabe namens "Scharia Hebdo", ebenfalls mit Spott-Zeichnungen von Mohammed. Im Februar 2006 hatte "Charlie Hebdo" einige der umstrittenen Karikaturen aus der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" nachgedruckt, die weltweit heftige Proteste und Diskussionen ausgelöst hatten.

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