Der Fall Edward Snowden Verräter oder Patriot?

WASHINGTON · Lange fort, trotzdem allgegenwärtig. Das ist Edward Snowden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über den meistgesuchten Mann Amerikas berichtet wird, der Millionen vor Augen geführt hat, was die USA im 21. Jahrhundert unter Sicherheit und Vorbeugung verstehen: totale Überwachung.

 Facetten einer unglaublichen Geschichte: "Asyl für Snowden"-Sticker bei der Internetkonferenz re:publica im Mai in Berlin.

Facetten einer unglaublichen Geschichte: "Asyl für Snowden"-Sticker bei der Internetkonferenz re:publica im Mai in Berlin.

Foto: dpa

Seit Beginn der von ihm angestoßenen Enthüllungen über den weltweit datenhungrigsten Überwachungsapparat zeigt Snowden in regelmäßigen Abständen sein Gesicht. In der letzten Woche beehrte der ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes "National Security Agency" (NSA) eine Konferenz von Computerhackern in New York. Nicht persönlich. Per Videobotschaft wurde der 31-Jährige zur "Hope X" zugeschaltet. Wie immer aus Moskau.

Unter dem Beifall seiner Zuhörer berichtete er leidenschaftlich wie eh und je von seinem Kampf für die Privatsphäre und den Schutz der Bürgerrechte. Ein Kampf, den der Computerfachmann seit einem Jahr aus seinem russischen Asyl führt. Führen muss. Und wohl auch weiter führen wird. Edward Snowden erwartet die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die ihm auf der Flucht aus Hongkong von Russlands Präsident Wladimir Putin im vergangenen Sommer gewährt wurde. Mangels Alternativen. Und wegen des amerikanischen Fahndungsdrucks.

"Ich bin glücklicher hier in Russland, als wenn ich einen unfairen Prozess zu gewärtigen hätte, in dem ich mich nicht einmal im öffentlichen Interesse vor einer Jury verteidigen könnte", sagte Snowden letzte Woche. Wirklich glücklich sah er dabei nicht aus. Ihm ist bewusst, dass es vor dem Hintergrund der Tragödie in der Ukraine vielen Schmerzen verursacht, wenn sich ausgerechnet Putin als Schutzpatron für Bürgerrechte geriert und Snowden als Trophäe benutzt. Snowden will das nicht.

Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass eine Rückkehr nach Amerika sein sehnlichster Wunsch ist. "Es sieht einfach schlecht aus, in Russland zu sein", sagte er kürzlich in einem Interview. Aber Amerika, das regierungsamtliche jedenfalls, hält ihn für einen Verräter, der die nationale Sicherheit untergraben hat und dafür hart bestraft gehört. Hillary Clinton, die demokratische Präsidentschaftskandidatin in spe, warf ihm sogar vor, der Terrororganisation El Kaida geholfen zu haben. Beweise? Keine.

Daniel Ellsberg hält das für ausgemachte Desinformation. Der Mann, der in den 70er Jahren die "Pentagon-Papiere" veröffentlicht hat, aus denen die Amerikaner erfuhren mussten, dass ihre eigene Regierung über den Vietnam-Krieg gelogen hatte, hält die Standardfrage, ob Snowden nun ein Verräter oder ein Patriot sei, für hinreichend beantwortet. Die Wahrheit zu sagen über die Überwachungsmaschine NSA, ihre Techniken und ihren Ungeist freizulegen, könne niemals Verrat sein, sagt Ellsberg. "Edward Snowden war der einzige Mensch in der ganzen verfluchten NSA, der das Richtige getan hat."

Von den Gesprächen, die Snowdens Anwälte und Berater in Washington mit hochrangigen Regierungsvertretern führen, ist zuletzt wenig durchgedrungen. Über die Aussicht, dass sich Justizminister Eric Holder keine Amnestie, aber juristische Nachsicht inklusive Strafnachlass vorstellen könnte, scheint die Zeit hinweggegangen zu sein. Regierungssprecher befestigten in den vergangenen Tagen das ermüdende Mantra, wonach sich der mit Preisen überhäufte Whistleblower eines schweren Verbrechens schuldig gemacht habe und sich einem "ordentlichen, rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren" stellen müsse.

Dass es dazu wirklich käme, glaubt im Snowden-Lager niemand. "Sie werden ihn im schlimmsten Fall vor einem Militärgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit aburteilen und dann für den Rest des Lebens im Gefängnis verschwinden lassen", sagte der frühere NSA-Mitarbeiter Thomas Drake, selbst Whistleblower und Opfer einer juristischen Vergeltung, dieser Zeitung bereits vor Wochen.

Und erinnerte dabei an Chelsea Manning. Die Ex-Soldatin hatte, als sie noch den männlichen Vornamen Bradley trug, Zigtausende diplomatische Depeschen an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben. Im Vergleich zum NSA-Skandal fast eine Bagatelle. Trotzdem wurde Manning von einem Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt. Bei Snowden ist lebenslänglich als Strafmaß im Gespräch.

Was diese Aussicht mit dem Innenleben von Edward Snowden macht, wissen nur wenige. Das frischeste Bild konnten sich Redakteure des britischen "Guardian" machen. Sie haben den Flüchtling in Moskau ausgiebig befragen dürfen.

Seinem Gastgeberland begegnete der ehemalige Geheimdienstler dabei mit freundlicher Reserviertheit. Und dem Bewusstsein, fortwährend unter den Augen russischer Geheimdienste zu sein. Dass er beim Einkaufen erkannt wird, behagt ihm nicht. "Das ist manchmal unangenehm, weil mein Russisch noch nicht so gut ist, wie es sein sollte. Ich lerne noch." Kostproben seiner Sprachkenntnisse gibt er sicherheitshalber nicht; aus Sorge, demnächst könnten Videos davon im Internet kursieren. Snowden hält sich bedeckt. Er hat Zeit. Als nächstes Buch, hat er den Journalisten erzählt, stehen Dostojewskis "Brüder Karamasow" auf seiner Liste. Über 1000 Seiten lang. Lektüre für Monate.

Glaubt man NSA-Vizedirektor Rick Ledgett, ist es nicht der letzte dicke Wälzer. Der Geheimdienstler kann den Drang, Snowden in Amerika unbedingt vor den Kadi zu ziehen, nicht ganz teilen. Der angerichtete Schaden sei groß, ja doch, aber die Zeit werde die Wunden heilen. "Es ist nicht das Ende der Welt", sagte Ledgett jetzt auf eine Podiumsdiskussion in Aspen und meinte damit: Einen "Deal" mit strafmildernden Akzenten muss Amerika gar nicht mehr anbieten.

Ohne den aber wird Edward Snowden seiner Heimat weiter fernbleiben. Moskau forever?

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