Steuerentlastung für die Mehrheit „Verzicht auf Belastung“

Berlin · Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat ein Gesetz zum „Ausgleich der Inflation“ vorgelegt. Menschen mit niedrigen Einkommen profitieren prozentual am meisten, Gutverdiener erhalten höhere Euro-Beträge.

 Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht zu den Eckpunkten des Inflationsausgleichsgesetzes.

Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht zu den Eckpunkten des Inflationsausgleichsgesetzes.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Mehrheit der Bevölkerung in den kommenden zwei Jahren steuerlich etwas entlasten. Am Mittwoch legte er deshalb Eckpunkte für ein Gesetz zum „Ausgleich der Inflation“ vor. In der Koalition abgestimmt ist das noch nicht, SPD und Grüne äußerten Kritik.

Was will Lindner erreichen? Sein Vorschlag sei eigentlich „keine Entlastung, sondern ein Verzicht auf Belastung“, sagte Lindner. Das ist so zu verstehen: Wegen der hohen Inflation erhalten viele Beschäftigte deutliche Lohnsteigerungen. Dadurch rutschen manche in eine höhere Einstufung im Steuertarif und zahlen mehr Abgaben, wodurch die Gehaltsaufbesserung teilweise oder ganz aufgefressen wird. Dieser Effekt heißt „kalte Progression“ – ihn will Lindner neutralisieren, ein übliches Verfahren seit 2016.

Was bedeutet das grundsätzlich? „48 Millionen steuerpflichtige Bürgerinnen und Bürger“ würden profitieren, erklärte das Finanzministerium. Durchschnittlich betrüge die Entlastung 193 Euro pro Jahr. Alle Einkommensgruppen hätten Vorteile. Prozentual wäre die Entlastung für Geringverdiener mit gut zehn Prozent im Vergleich zu ihren Einkommen am größten, absolut in Euro jedoch für Leute mit hohen Verdiensten. Die Reform soll den Bürgerinnen und Bürgern insgesamt rund zehn Milliarden Euro pro Jahr belassen, die sie sonst an die Finanzämter zahlen müssten.

Die Wirkung für sehr geringe Einkommen: Der Bereich der Steuerfreiheit wird ausgedehnt, indem der Grundfreibetrag steigt. Ab „1. Januar 2023 ist eine Anhebung um 285 Euro auf 10 632 Euro vorgesehen“, teilte das Finanzministerium mit. Wer bis zu dieser Grenze jährlich verdient, muss keine Steuer zahlen. 2024 soll der Grundfreibetrag dann um weitere 300 Euro auf 10 932 Euro wachsen. Dieser Schritt ist nicht freiwillig – die Regierung muss das Existenzminimum steuerfrei stellen.

Bei niedrigen Verdiensten: Heute gilt der Eingangssteuersatz von 14 Prozent bis zu einem Jahreseinkommen von knapp 15 000 Euro. Künftig soll er bis 15 786 Euro greifen. Auch für Gehälter, die leicht darüber liegen, werden dann weniger Steuern fällig. Ein allein lebender Arbeitnehmer mit 20 000 Euro brutto würde um 115 Euro jährlich entlastet, heißt es in den Tabellen des Finanzministeriums.

Mittlere Gehälter: Bei 30 000 Euro Jahresgehalt in 2023 betrüge der Vorteil 172 Euro für Singles, bei 40 000 Verdienst 250 Euro, bei 50 000 brutto 352 Euro, bei 60.000 Euro Lohn schlügen 471 Euro Entlastung pro Jahr zu Buche.

Profitieren auch Wohlhabende und Reiche? Ja, auch Gutverdiener profitieren. So soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent 2023 erst für Gehaltsbestandteile ab 61 972 Euro (heute 58 597) und 2024 ab 63 515 Euro gelten. Die höchste absolute Entlastung betrüge 479 Euro jährlich für Singles, die ab 70 000 Euro brutto aufwärts zur Verfügung haben. Darüber steigt der absolute Entlastungsbetrag für Singles nicht mehr an. Doch auch Menschen, die 200 000, 300 000 oder 500 000 Euro verdienen, erhalten die 479 Euro. Für sie spielt das im Vergleich zu ihrem Einkommen freilich kaum eine Rolle. Die maximale Entlastung bei gemeinsamer Veranlagung eines gut verdienenden und eines schlecht verdienenden Ehepartners (Splitting) soll 958 Euro betragen und ab 130 000 Euro nicht mehr steigen. Der Tarif der Reichensteuer ab rund 280 000 Euro bei Singles bleibt da, wo er heute ist.

Sind weitere Steuerschritte geplant? Auf die Entlastung im kommenden Jahr soll 2024 eine weitere folgen. Die höchste Reduzierung läge dann bei 730 Euro jährlich für Singles ab 70 000 Euro aufwärts und für Splitting-Paare bei 1460 Euro ab 130 000 Euro Jahresverdienst.

Wie sieht es mit dem Kindergeld aus? Dieses soll nächstes Jahr maximal um acht Euro pro Kind zunehmen, 2024 um weitere sechs Euro. Die steuerlichen Kinderfreibeträge, die hohe Einkommen begünstigen, steigen ebenfalls.

Die Kritik an Lindners Vorschlag: „Ein weiterer kräftiger Entlastungsimpuls bis in die Mitte der Gesellschaft ist richtig und notwendig“, sagte SPD-Fraktionsvize Achim Post. Andererseits kritisierte er: „Die vorgeschlagenen Maßnahmen würden aber hohe Einkommen besonders stark entlasten und sind damit sozial noch nicht ganz ausgewogen.“ Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch bemängelte, Wohlhabende erhielten „mehr als dreimal so viel wie Menschen mit kleinen Einkommen, welche die Entlastungen jetzt eigentlich am dringendsten brauchen“. Christian Görke, finanzpolitischer Sprecher der Linken, sagte: „Die unteren 70 Prozent der Bevölkerung gehen fast komplett leer aus, da sie kaum Einkommensteuer zahlen.“ Jens Spahn von der Union begrüßte die Initiative Lindners grundsätzlich.

Ist das finanzierbar? Ja, zumindest für den Bund. Er müsste etwa auf vier Milliarden Euro jährlich verzichten, Bundesländern und Kommunen zusammen fehlten ungefähr sechs Milliarden Euro. Für die Mindereinnahme im Bundeshaushalt hat Lindner bereits Vorsorge getroffen.

Sind weitere Entlastungen angesichts der Inflation möglich? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine Wohngeldreform mit Heizkostenzuschüssen ab 2023 angekündigt. Davon würden besonders Privathaushalte profitieren, die wenig Geld haben. Das Gleiche gilt für das Bürgergeld, das Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorantreibt. Der Spielraum für diese zusätzlichen Maßnahmen ist allerdings nicht groß, denn Finanzminister Lindner will die Schuldenbremse wieder in Kraft setzen.

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