Wahlziel "Blaues Auge" Viel Nervosität vor den Landtagswahlen im Osten

Dresden/Potsdam · Die Nervosität der Volksparteien vor den Urnengängen in Sachsen und Brandenburg ist hoch. Die AfD wird in jedem Fall stärker werden. Das Rennen um die Mehrheit ist eng.

 Blick auf das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam, in dem der Brandenburger Landtag seinen Sitz hat.

Blick auf das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam, in dem der Brandenburger Landtag seinen Sitz hat.

Foto: picture alliance/dpa

Vielleicht werden sich die beiden so unterschiedlichen Ministerpräsidenten am Sonntagabend gemeinsam noch nie so sehr über ein blaues Auge gefreut haben wie nach diesen Landtagswahlen. Wenn Michael Kretschmer für die CDU in Sachsen und Dietmar Woidke für die SPD in Brandenburg doch die AfD als stärkste Kraft verhindern, werden sie als Stabilisatoren der Volksparteien gelten. Trotz hoher Verluste. Womöglich retten sie sogar die große Koalition in Berlin.

Seit Wochen bangen die Sozialdemokraten, dass ihre letzte Hochburg in Brandenburg eingenommen wird. Seit der Wende stellen sie hier den Ministerpräsidenten. In Sachsen ist es die CDU, die seit 30 Jahren das Ruder in der Hand hält. Es wären Signale des Untergangs, wenn sich die beiden Regierungsparteien nicht behaupten könnten. Die ohnehin schon angeschlagene CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer würde dafür mitverantwortlich gemacht, ihre Chancen auf eine Kanzlerkandidatur schwänden vollends. Und in der SPD bräche wohl Verzweiflung aus, warum sie trotz nachweisbarer Erfolge in der großen Koalition bei Wahlen eine Schlappe nach der anderen einfährt.

In Butter ist für Union und SPD aber auch nichts, wenn Kretschmer und Woidke Ministerpräsidenten bleiben. Denn dass die AfD in Sachsen und Brandenburg zweitstärkste Partei wird, gilt als sicher. Sie hätte sich dann im Vergleich zu den vorigen Wahlen verdoppelt und trotzdem keine Chance, in die Regierung zu kommen. Das dürfte ihre Wähler weiter frustrieren.

Steinmeier ermahnt Politiker und Bürger

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ermahnt Politiker und Bürger: „Treibt unser Land nicht auseinander!“ Auch die, die anderer Meinung seien, gehörten am Tag nach der Wahl immer noch zu diesem Land und hätten ein Wörtchen mitzureden. Fragt sich nur, wie.

Die stereotype Aggression der AfD gegen die anderen Parteien könnte bei Wählern weiter verfangen, wonach die Wende einst Demokratie versprach und dann doch eine Einheitsmeinung der als „Systemparteien“ verunglimpften Etablierten hervorgebracht habe. „Vollende die Wende!“ ist ein Slogan der AfD, die in Brandenburg mit dem Wessi Andreas Kalbitz antritt. Bei den Linken ist die Empörung groß, dass die AfD die friedliche Revolution der DDR-Bürger kapern wolle – und dann auch noch mit rechten Politikern aus dem Westen.

Kretschmer hat anders als Woidke bei seinen unzähligen Wahlkampfauftritten Fehler offen zugegeben und Verbesserungen angeschoben, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Woidke hat oft betont, dass seine rot-rote Regierung gute Arbeit geleistet habe. Das kommt nicht so gut an, wenn die Probleme etwa bei der vielfach schlechten Bahnanbindung an die Hauptstadt greifbar sind.

Dreierbündnisse drohen in beiden Ländern

Die großen Gewinner könnten die Grünen werden, die ihre Ergebnisse voraussichtlich ebenfalls verdoppeln – und als Koalitionspartner gebraucht werden. Sollten die Wahlen ausgehen wie es die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF prognostiziert, werden Kretschmer und Woidke Dreierbündnisse bilden müssen, um eine Minderheitsregierung zu vermeiden und die AfD außen vor zu lassen.

Woidke könnte sich die Farbgebung aber wohl aussuchen. In Brandenburg wäre sowohl eine rot-rot-grüne Regierung als auch ein Bündnis der SPD mit CDU und Grünen denkbar. Der 57-Jährige müsste sich entscheiden, ob er sich in einem Linksbündnis positionieren will oder ob er eine Mitte-Koalition anstrebt. In der Brandenburger SPD gibt es Bedenken, dass ein Linksbündnis gegen eine starke Opposition aus AfD, CDU sowie möglicherweise FDP und Freie Wähler das Land spalten könnte.

Sachsen-CDU hat keine Lust auf die Grünen

Kretschmer hat gar keine Lust auf die Grünen und tut das auch kund. Er weiß um „90 Prozent“ seines Landesverbandes, die die Grünen nicht als Koalitionspartner wollten. Der 44-Jährige will die konservativen und in Teilen AfD-affinen CDU-Mitglieder und Wählern vor der Wahl nicht verprellen.

Große Alternativen hat er aber gar nicht, weil er bereits drei Ausschlusskriterien für die Regierungsbildung genannt hat: Nicht mit der AfD, nicht mit den Linken und keine Minderheitsregierung. Grünen-Chef Robert Habeck zeigte sich schon offen für Gespräche mit der CDU. In der sächsischen CDU gibt es aber Stimmen, die eine Minderheitsregierung und eine punktuelle Zusammenarbeit mit der AfD durchaus befürworten.

Der Wahlsonntag wird so oder so Wellen bis Berlin schlagen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagte unserer Redaktion, es seien in erster Linie Landtagswahlen, aber man brauche nicht groß drum herum zu reden: „Sie haben große bundespolitische Bedeutung.“ Es gehe um die Bindungskraft von Volksparteien und die Frage, wie breit die politischen Ränder seien.

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