Nach Erfolg bei der Europawahl 2019 Was die Grünen nun liefern müssen

Berlin · Die Grünen haben laut Umfragen im politischen System den Platz der SPD eingenommen. So schnell werden sie ihn nicht wieder los – mit allen Konsequenzen.

Mitte dieser Woche gelang es den Grünen noch mit Mühe, den Ball flach zu halten. Da sah erst ein Umfrageinstitut den grünen Balken höher sprießen als das Schwarz der Union. Auf den Berliner Frühjahrsempfängen standen grüne Abgeordnete daher trotz SPD-Krise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Brauchen die Grünen einen Kanzlerkandidaten? Wie lange hält der Höhenflug? Wie erfüllen die Grünen die neuen Erwartungen an sie?

Manch ein Grüner wischte die Fragen mit dem Hinweis beiseite, das sei eine Momentaufnahme im Lichte der Europawahlen, der schweren Krise der SPD und der schlechten Performance der CDU. Man wolle abwarten, was die großen Meinungsforschungsinstitute im Auftrag von ARD und ZDF sagen. Dabei schwang die Hoffnung mit, dass sich mit neuen Trends zumindest die K-Frage für die Grünen vorerst erledigen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Auch Infratest Dimap sieht die Grünen vor der Union. Im Politbarometer hat die Partei der Kanzlerin mit 27 zu 26 nur noch einen Prozentpunkt Vorsprung vor den Grünen. Alle Fragen, die in dieser Woche für die Grünen als Elefant im Raum standen, stellen sich also tatsächlich.

Brauchen die Grünen einen Kanzlerkandidaten?

Ob die Grünen einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin brauchen, lässt sich nur beantworten, wenn man weiß, wie nachhaltig die Zustimmungswerte für die Grünen sind. Vieles spricht dafür, dass es den Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock nicht ergeht, wie dem früheren SPD-Chef Martin Schulz, der mit seiner Kanzlerkandidatur die SPD kurzfristig auf mehr als 30 Prozent hieven konnte und ein halbes Jahr später bei 20,5 Prozent landete.

Wie aussagekräftig sind die Umfragewerte?

Die beiden Grünen-Chefs haben eben dieses Beispiel vor Augen, wenn sie Fragen nach einer Kanzlerkandidatur als abwegig oder unernsthaft bescheiden. Zu gut wissen sie auch, dass die Grünen im Frühjahr 2017, als der Schulzzug gerade Volldampf fuhr, selbst bei sieben bis acht Prozent lagen und zwischenzeitlich um den Einzug in den Bundestag bangten. Die Grünen glauben ihren aktuellen Umfragewerten, aber sie trauen ihnen nicht.

Sie wissen zudem, dass Robert Habeck eine ähnliche Wirkung in Deutschland hat wie ehedem Emmanuel Macron in Frankreich. Die Grünen fungieren zurzeit auch als eine Sammelbewegung, die Klimaschützern und Pro-Europäern Hoffnung gibt. Wie flüchtig solche Zustimmungswerte sein können, die an Personen hängen, zeigt sich gerade in Frankreich. Dennoch sind die guten Zahlen fundierter als noch 2011 rund um die Reaktorkatastrophe von Fukushima, die Winfried Kretschmann als Ministerpräsident in die baden-württembergische Staatskanzlei spülte.

Dass man mit den Grünen als starke Partei von 20 bis 30 Prozent auch künftig rechnen kann, hat drei? Gründe. Erstens: Ihr Kernthema, der Umwelt- und Klimaschutz, ist zur Volksbewegung geworden, zum Thema einer Generation. Gäbe es die Grünen noch nicht, würden sie heute gegründet. Zweitens: Die Partei ist so gut aufgestellt, wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Die Parteichefs genießen Top-Beliebtheitswerte. Es dringt keinerlei Streit nach außen. Und sollte es zu einem vorgezogenen Wahlkampf kommen, werden sie ihre Unterlagen aus den Jamaika-Sondierungen aus den Schubladen holen, noch ehrgeizigere Ziele draufpacken und loslegen. Drittens: Die Lage der SPD ist dramatischer als alle bisherigen Tiefpunkte. Und das ist der Grund, warum die Grünen einen Kanzlerkandidaten aufstellen müssen.

Wie positionieren sich die Grünen vor der Bundestagswahl?

Bis zur nächsten Bundestagswahl – auch wenn sie erst 2021 stattfinden sollte – wird die SPD sich nicht so weit erholen können, dass sie wieder als Kanzlerpartei wahrgenommen werden könnte. Auf die Frage von Infratest Dimap, wer die besten Antworten für die Zukunft habe, liegt die SPD unter den im Bundestag vertretenen Parteien an letzter Stelle mit nur zwei Prozent Nennung.

Angeführt wird die Liste von den Grünen, gefolgt von Union, Linken, AfD und FDP. Von einem solchen Vertrauensverlust bei den Wählern kann sich eine Partei binnen zwei Jahren kaum erholen. Es wird den Grünen also nichts anderes übrig bleiben, als mit klarem Gegenentwurf und auf Augenhöhe gegen die Union anzutreten. Und auch wenn das Lagerdenken in der Politik aus der Mode gekommen ist, werden sich dann wieder zwei Parteien gegenüberstehen, die klar zu verorten sind – Mitte rechts und Mitte links. So schnell wird man zur Volkspartei, die man nie sein wollte.

Wenn es ernst wird, lauern auch für die Grünen eine Menge Gefahren, die ihre Umfragen wieder dämpfen können. Die Bereitschaft, ein Bündnis mit SPD und Linken zu schmieden, kann sie Stimmen kosten. Wer von der CDU zu den Grünen gewechselt ist, wird im Zweifel keine grün-rot-rote Republik wünschen. Eine neu aufgestellte CDU wird diese Wähler zurückgewinnen können.

Was wollen die Grünen?

In der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ist das Programm der neuen Grünen längst nicht präzise ausbuchstabiert. Sie schwanken zwischen dem Sozialstaatstraum eines Robert Habeck, der für ein bedingungsloses Grundeinkommen wirbt und der Überzeugung, dass nicht nur Umwelt- sondern auch Finanzpolitik nachhaltig sein muss.

Noch läuft die Konjunktur in Deutschland und die Beschäftigung liegt auf Rekordhoch. Wenn sich das Wirtschaftswachstum aber weiter abschwächt, dürften auch die Erwartungen an die Grünen schrumpfen, dass die die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Nicht zuletzt hilft es den Grünen, dass die Flüchtlingsfrage aus der öffentlichen Debatte verschwunden ist. Ihre Positionen zu einer großzügigen Migration nach Deutschland sind nicht mehrheitsfähig.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort