Empfehlung der EU-Kommission Weg mit dem Meisterbrief

BRÜSSEL · Volkmar Vogel ist alarmiert. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Ostthüringen fürchtet um die Zukunft eines Kernstücks deutscher Handwerkstradition: Der Meisterbrief, meldet Vogel, stehe in Brüssel auf der Abschuss-Liste.

 Wer in Deutschland einen Friseursalon betreiben und ausbilden will, braucht einen Meistertitel.

Wer in Deutschland einen Friseursalon betreiben und ausbilden will, braucht einen Meistertitel.

Foto: dpa

In der Tat: Im wirtschaftspolitischen Pflichtenheft für die Bundesrepublik, das die EU-Kommission Ende Mai veröffentlichte, steht der Meisterbrief ausdrücklich unter den "ungerechtfertigten Beschränkungen und Marktzutrittsschranken" im Baugewerbe und anderen Branchen. Die Botschaft ist klar: Weg damit!

Die "länderspezifischen Empfehlungen", zu denen die Ermahnungen an die Berliner Adresse gehören, sind mehr als Fingerübungen marktradikaler Eurokraten. Sie gehören vielmehr in den Zusammenhang der großen Finanzkrise, beziehungsweise der Versuche, deren Wiederholung zu verhindern. Durch gegenseitige Überwachung soll die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit jedes einzelnen EU-Mitgliedstaates auf Vordermann gebracht werden. Das sind also nicht nur unverbindliche Ratschläge. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen wollen die Vorgaben auf dem EU-Gipfel Ende der Woche persönlich beraten und verabschieden.

Und das ist auch keine reine Formsache. Einzelne Länder, das ungebärdige Ungarn vorneweg, fühlen sich unfair angegangen und wollen sich die vermeintliche Gängelei nicht gefallen lassen. Deswegen wird bis zuletzt heftig darum gerungen, welche Empfehlungen im endgültigen Text stehen und welche nicht. Und Deutschland? Was ist mit dem Meisterbrief? "Die Empfehlungen sind ein wesentlicher Anstoß zu Strukturreformen", heißt es auf deutscher Seite. "Wir wollen mehr Verbindlichkeit - wir stimmen zu!" Und zwar einschließlich der Passage zum Meisterbrief.

Der Abgeordnete Vogel muss sich trotzdem keine großen Sorgen machen. Warum, erläutert der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber: "Das kann man sehr gelassen sehen. Wir sollten unser Modell offensiv verkaufen, gerade für Südeuropa. Überall wo es gilt, einen Mittelstand aufzubauen, ist das duale System mit dem Meisterbrief als Befähigungsnachweis ein Positiv-Beispiel." Der Zugang zu Dienstleistungsberufen in Deutschland sei weniger reglementiert als in vielen anderen Ländern. Dass die Kommission das Thema immer wieder auf den Tisch bringe, entspringe einer "sehr papierorientierten, formalistischen Betrachtungsweise".

Auch bei der Bundesregierung sieht man den Meisterbrief bei aller grundsätzlichen Wertschätzung der Länderempfehlungen als eine Art Beißring der Brüsseler Beamten - die eingesetzte Energie ist beträchtlich größer als das greifbare Resultat. Das liege schlicht an der Schwäche der Argumentation, heißt es. Schließlich bekomme Deutschland aus Brüssel Bestnoten für sein System der dualen Ausbildung, dem es wesentlich zu verdanken sei, dass Jugendarbeitslosigkeit bei uns nicht das gewaltige Problem sei wie bei den EU-Partnern.

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