Türkei-Verhandlungen Wiedervorlage im Herbst

BRÜSSEL/ISTANBUL · Die Europäische Union (EU) verschiebt die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf den Herbst. Damit reagierten die Außenminister auf die harte Gangart, mit der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan versucht, die Demonstrationen in Istanbul und anderen Städten niederzuschlagen.

Vor allem Deutschland, Österreich und die Niederlande hatten sich deswegen für ein Warnsignal stark gemacht. Andererseits drängten die meisten anderen Regierungen auf ein Zeichen, dass die EU-Tür für Ankara offen bleibe. "Die Reaktion auf die jüngsten friedlichen Proteste in der Türkei hat uns verstört", erklärte der Vorsitzende des Ministerrats, Irlands Außenminister Eamon Gilmore, "aber ich glaube, der Beitrittsprozess ist unser wirksamstes Instrument, die Reformagenda in der Türkei zu beeinflussen."

Die Verhandlungen über einen Beitritt haben schon 2005 begonnen, kommen aber seit drei Jahren nicht mehr voran. Hauptgrund dafür ist der Dauerstreit um die geteilte Insel Zypern. Auf Drängen einer Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sollen die Gespräche jetzt wieder in Gang gebracht werden: Für den heutigen Mittwoch war der offizielle Einstieg in ein weiteres politisches Sachgebiet, nämlich die Regionalpolitik, geplant. Diese "Eröffnung des Kapitels 22" soll nun erst stattfinden, wenn die EU-Kommission Anfang Oktober ihr nächstes Gutachten zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Türkei abgegeben hat.

Das sei "eine gute Entscheidung in einer schwierigen Lage", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle, auf dessen Vorschläge der Kompromiss im wesentlichen zurückgeht. Der Beschluss trage den Ereignissen in der Türkei Rechnung und berücksichtige zugleich die langfristigen Interessen der EU. Westerwelle hatte in mehreren Telefonaten seinen türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu auf die Verschiebung eingestimmt.

Dessen Reaktion fiel denn auch diplomatisch aus: "Was zählt ist die Bestätigung, dass ein neues Kapitel geöffnet wird ... ein Hindernis in den türkischen Beziehungen mit der EU ist überwunden worden", sagte Davutoglu in der türkischen Hauptstadt. Der deutsche Widerstand gegen die Wiederaufnahme der Verhandlungen hatte letzte Woche zu Spannungen zwischen Berlin und Ankara geführt.

Die Türkei hat nun die jüngste Krise mit der EU für beendet erklärt und dringt nun auf rasche Gespräche über europäische Normen in Justiz und Menschenrechten - was nach den brutalen Polizeiaktionen gegen die Protestbewegung auch von EU-Politikern gefordert wird.

Außenminister Davutoglu begrüßte die Einigung der EU auf Eröffnung des ersten Verhandlungskapitels in den Türkei-Beitrittsgesprächen seit drei Jahren. Zugleich spielte er die von der EU als Protest gegen die Polizeigewalt gedachte Vertagung der eigentlichen Gespräche auf den Herbst herunter. Von einer Verschiebung könne keine Rede sein, es gebe lediglich prozedurale Details, die den Beginn der Gespräche über das Kapitel 22 zur Regionalpolitik verzögerten, sagte Davutoglu.

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