Reinhard Selten gestorben Wissenschaftler durch und durch

Bonn · Der Bonner Wirtschafts-Nobelpreisträger Reinhard Selten ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Bis vor kurzem forschte Selten noch zu seinem erklärten Lieblingsthema: der Rationalität des Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen.

 Reinhard Selten FOTO: DPA

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Er war ein „Wissenschaftler durch und durch“, wie die Universität Bonn ihren wohl bekanntesten Professor beschreibt. Er war der bisher einzige deutsche Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften und er war ein „warmherziger und beliebter Mensch“, wie ihn Wegbegleiter schildern: Reinhard Selten ist im Alter von 85 Jahren gestorben.

Bis vor Kurzem forschte Selten noch zu seinem erklärten Lieblingsthema: der Rationalität des Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Der Bonner gehörte zu den Anhängern des in den 1950er Jahren entstandenen Konzeptes der sogenannten eingeschränkten Rationalität.

Während die neoklassische Theorie davon ausgeht, dass der Marktteilnehmer seine Entscheidungen rein rational und vor dem Hintergrund vollständiger Information fällt, interessierte sich Selten für die menschlichere Seite der Ökonomie: Welche Rolle spielt etwa das Unterbewusstsein beim Geldausgeben? Warum handeln Menschen manchmal gegen ihre eigentlichen wirtschaftlichen Interessen? Welche Rolle spielen ethische und soziale Motive bei Finanztransaktionen? Selten interessierte sich für die wirtschaftlichen Mechanismen auch jenseits der mathematischen Formeln.

Um die komplizierte Beziehung zwischen Mensch und Geld zu erforschen, setzte Selten die experimentelle Wirtschaftsforschung ein. Dabei werden Zusammenhänge mit Probanden in Experimenten nachgestellt, die echtes Geld erhalten, das sie mit ihren Entscheidungen verlieren oder vermehren können. „Menschen optimieren nicht, sie haben mehrere Ziele, die nicht miteinander verrechnet werden“, sagte Selten in einem Interview mit dem "Handelsblatt". „Sie bilden Ansprüche an diese Ziele und passen sie nach oben an, wenn eine Verbesserung nach oben möglich erscheint, und nach unten, wenn es erforderlich ist.“

Der einst bei den Wirtschaftswissenschaftlern so beliebte „Homo Oeconomicus“, der rein rational entscheidende Mensch – Reinhard Selten hat dieses theoretische Modell mit ins Wanken gebracht. Seine Beiträge zur sogenannten Spieltheorie, die wirtschaftliche Entscheidungen differenzierter betrachten will, wurden 1994 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

An der Universität Bonn gründete der Wirtschaftswissenschaftler 1984 das Laboratorium für experimentelle Wirtschaftsforschung – BonnEconLab. Die Forschungseinrichtung profitiert heute davon, dass Seltens ökonomisches Menschenbild immer mehr Anhänger findet. In dem Labor werden unter anderem das Verhalten von Menschen an den Finanzmärkten, aber auch interkulturelle Verhandlungsstrategien untersucht. „Reinhard Selten war einer der bedeutendsten deutschen Wissenschaftler mit höchster internationaler Reputation. Sein Tod macht uns sehr betroffen“, teilte der Bonner Unirektor Michael Hoch gestern mit. 2007 hatte die Hochschule Selten für seine Verdienste zum Ehrensenator ernannt.

Trotz seiner wissenschaftlichen Erfolge trat Selten bescheiden auf: „Ökonomen wissen weniger, als man denkt“, räumte er in einem Interview ein. Der in Breslau geborene Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler, der in Königswinter-Ittenbach lebte, interessierte sich demnach auch für Themen weit über die Fachgrenzen hinaus: Der Nobelpreisträger verriet dem GA, dass er auch über Fragen grübele wie „Warum sind manche Pflanzen prächtig, andere aber unscheinbar?“ Selten setzte sich für die internationale Sprache Esperanto ein und kandidierte deshalb für das EU-Parlament.

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