An der Grenze der USA mit Mexiko Wo Trump die Mauer bauen will

Arivaca/Arizona · Selbst ernannte Samariter legen Wasservorräte für Migranten an und hoffen, dass diese nicht verdursten. Mitglieder einer Bürgerwehr machen Jagd auf Menschen, die sie für Drogenschmuggler halten. Eine Reportage aus Arizona.

Durch die Stahlstäbe sieht man noch den alten Grenzstein. Ein grauer Obelisk, verwitterter Granit. Der Stein in der Nähe des verschlafenen Grenzübergangs Sasabe, wo Arizona endet und Mexiko beginnt, wird seit zehn Jahren von einem Zaun überragt. Rostbrauner Stahl, jede Stange so dick wie ein Oberarm, dazwischen so viel Platz, dass gerade mal eine Hand hindurchpasst. Und nun, seit ein paar Wochen, hängen an der sechs Meter hohen Barriere zwei Stacheldrahtrollen. Nur: Am Fuße eines Hügels endet der Zaun im Nichts.

Hier, wenige Kilometer von Sasabe entfernt, geht die Wüste Sonora in die Ausläufer der San Luis Mountains über, einer kahlen, zerklüfteten Gebirgskette. Bislang hat man dort auf den Zaun verzichtet, in der Annahme, das schwierige Terrain sei Hindernis genug, um illegale Einwanderer abzuschrecken. Donald Trump will die Lücken dennoch schließen. Im Januar rückten Soldaten der Nationalgarde an, um auf Weisung des Präsidenten Stacheldraht an den Stahlzaun zu binden. An einen Zaun, um den man herumlaufen kann. „Trump wollte wohl zeigen, was für eine Gefahr da aus Mexiko droht“, vermutet Jerry Hamel. „Stacheldraht an der Grenze, das wirkt, als wäre Krieg. Es war Krisentheater, nur darum ging es.“

Jerry Hamel ist oft am Zaun. Mindestens einmal pro Woche fährt er in die Wüste, um Vorräte aufzufrischen. Er bringt Quellwasserflaschen, je eine Gallone, das sind knapp vier Liter. Er stellt sie an Plätzen ab, die vermuten lassen, dass Migranten dort Rast machen.

Hamel will nicht, dass Menschen verdursten, die aus Mexiko kommend die trostlosen Trockentäler am Rande der Wüste Sonora durchqueren, in der Hoffnung, es unentdeckt bis Tucson zu schaffen, in die nächste größere Stadt, etwa 110 Kilometer von der Grenze entfernt. Deshalb macht er mit bei den „Tucson Samaritans“, einer Hilfsorganisation, deren Freiwillige entlang der Trampelpfade Flaschen ablegen.

Wer schwächelt, wird schnell im Stich gelassen

Manche Migranten laufen sich die Füße wund und können das Tempo ihrer Gruppe nicht halten. Andere werden von Skorpionen gestochen oder von Klapperschlangen gebissen. Wer schwächelt, wird schnell im Stich gelassen von den Kojoten, den Schleppern, die wissen, welchen Pfad man nehmen muss, um ans Ziel zu gelangen. Manchmal soll Hamel nach Knochen suchen. Oder nach Jacken, Amuletten, Armbändern. Nach irgendetwas, was hilft, Vermisste zu identifizieren.

Jerry Hamel, 66, stammt aus Seattle, ein Zimmermann im Ruhestand. Nach Trumps Amtseinführung beschloss er, sich zu engagieren, was bedeutet, am Lenkrad eines Geländewagens stundenlang auf holprigen Wegen durch abgelegene Karsttäler zu fahren. „Ich weiß nicht, was ich bewirke, ich kann es nicht sehen. Aber wenn ich nur einem Menschen das Leben rette, hat es sich schon gelohnt.“

Der erste Halt auf der Fahrt an die Grenze. Zwei Kreuze am Rande einer Ranch, helles Rot, eines mit einer Plastikperlenkette behängt, einer Kette, die Helfer in der Wüste aufgelesen haben. An der Stelle wurden zwei Leichen geborgen.

Alvaro Enciso, der aus Kolumbien stammende Künstler, der an die Toten erinnert, nennt jedes seiner Kreuze: das Ende eines amerikanischen Traums. Zweiter Stopp, mitten im Altar Valley, einem breiten Tal. Der Blick geht auf den Baboquivari, einen Felszacken, der aus einer Gebirgskette herausragt, heiliges Terrain für den Indianerstamm der Tohono O’odham. Zwischen Sträuchern liegen schwarze Plastikflaschen, hergestellt in Mexiko. Ein paar Kilometer weiter steigt Carli Flores zu, bis vor einem Jahr Germanistik-Studentin, eine Frau Anfang zwanzig, die sagt, sie fühle sich gut, wenn sie deutsche Rockmusik höre, die Ärzte, Rammstein, die Toten Hosen. In Tucson aufgewachsen, kennt sie hier jede Senke, jede Schneise zwischen den Felsen.

Migranten weichen auf andere Routen aus

Hamel fährt zu einem „water drop“, wo sie, wollte man es wörtlich übersetzen, Wasser abwerfen. Es folgt eine kurze Wanderung durch Gestrüpp, dessen Dornen sich wie Widerhaken in der Kleidung festkrallen und die Haut zerkratzen, wenn man nicht aufpasst. Carli Flores zählt die Gallonenflaschen. Fünf sind voll, eine halb leer. Dass an diesem „water drop“ kaum etwas angerührt ist, führt sie auf geänderte Schlepperrouten zurück. Da die Überwachungstürme der Grenzpatrouillen, ausgerüstet mit Radar und Kameras, mittlerweile ein dichtes Netz bildeten im Altar Valley, würden die Migranten nach Westen abgedrängt. Ins Reservat der Tohono O’odham, in einen Landstrich, der noch karger, noch unwegsamer sei. Dort dürfen die Samariter nicht patrouillieren, obwohl Hilfe bitter nötig wäre. Eine andere Gruppe, „No More Deaths“, hat westlich des Reservats, in einem Tierschutzgebiet, Wasserkanister deponiert. Dafür landeten einige ihrer Mitglieder vor einem Richter. Begründung: Sie hätten die Landschaft vermüllt.

Einige der Hauptrouten der illegalen Einwanderung führten schon immer durch die Region südlich von Tucson. Laut Statistik des US-Grenzschutzes wurden dort im Jahr 2000 rund 616 346 Menschen gestoppt, fast 40 Prozent aller an der Südgrenze der USA festgenommenen Migranten. 2017 waren es nur noch 38 657, die niedrigste Zahl seit vier Jahrzehnten, allerdings bei 118 registrierten Todesfällen allein im Pima County, dem Verwaltungsbezirk, in dem Tucson liegt. Seitdem geht der Trend wieder leicht nach oben, doch von einer historischen Ausnahmesituation kann keine Rede sein, jedenfalls nicht in Arizona. Dort wirkt es eher bizarr, dass Trump den nationalen Notstand ausrief, um sich am Parlament vorbei die Mittel für den Mauerbau zu sichern.

„Alles Schwindel“, wehrt Tim Foley ab. Staatlichen Statistiken könne man eben nicht trauen, in Wahrheit kämen immer mehr Leute ohne Papiere ins Land. Vor der Baracke, in der er wohnt, hängen zwei Skelette, das eine direkt neben der Eingangstür. Sie sollen ihn schützen. „Die Drogenbanden sind abergläubisch, sie halten sich fern von Skeletten“, glaubt Foley. Am Tor, an einem massiven Holzpfahl, weht das Sternenbanner.

Bürgerwehr-Gründer: "Das Problem löst die Mauer auch nicht"

Foley ist sechzig, ein sehniger Typ, die Haut vom Wetter gegerbt, am Hals ein Tattoo. Zur Begrüßung zeigt er auf eine Narbe an seiner Hand. „Stammt von einem Pitbull, von einem Pitbull wie dem da“, sagt er und zeigt grinsend auf Rocko, den Hund, mit dem er in der Einöde lebt. In seiner Baracke geht der Blick als Erstes auf ein Poster, das für „Cartel Land“ wirbt. Der Dokumentarfilm handelt von zwei Bürgermilizen. Die eine, im mexikanischen Bundesstaat Michoacán, versucht, die Herrschaft der Drogenkartelle zu brechen, wird aber selber bald unterwandert von den Kartellen. Die andere geht auf Foley zurück. Arizona Border Recon hat er sie genannt, als er sie 2010 gründete - Recon steht für Reconaissance, Aufklärung.

An seinem Computer klickt er auf eine Datei und startet ein Video. Mit schnellen Schritten durchquert eine Sechsergruppe junger Männer den Kamerawinkel. Alle tragen gescheckte Uniformen und an den Füßen Überschuhe aus Stoff, mit Teppichstücken als Sohlen, die kaum Spuren im Sand hinterlassen. Ihre Rucksäcke sind prall. „Drogenschmuggler“, kommentiert Foley, „bei denen sind die Rucksäcke immer so militärisch gepackt.“ In Verstecken, die nur er kennt, hat er Bodenkameras mit Bewegungssensoren installiert. Alle zehn Tage fahre er seine Runden, um die Speicherkarten der Kameras auszutauschen. Die Filme stelle er als Erstes dem Ministerium für Heimatschutz zur Verfügung. „Wir reden von der größten Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit. Und wohin wollen die Leute? In die weißen, christlichen Nationen. Wenn man genau hinschaut, wollen sie alle in Nato-Staaten. Wir verlieren alles, unsere Kultur, unsere Souveränität, alles.“

Ein Klick auf das nächste Video: Männer in Tarnfleck, 14 sind es, stellen sich samt Rocko, dem Hund, unter knorrigen Bäumen zum Gruppenbild auf, fast alle bewaffnet mit Schnellfeuergewehren. Foley trommelt sie alle zwei bis drei Monate zusammen, um eine Woche lang im Freien zu campieren – und Ausschau nach „illegal aliens“ zu halten, wie er sagt. Mit seiner Bürgerwehr, so sieht es Foley, sei er das Auge und das Ohr der Border Patrol, der Grenzpatrouille, deren Apparat viel zu bürokratisch sei, als dass sie schnell reagieren könnte.

Und Donald Trumps Mauer? „Wäre ein Anfang“, meint Foley. „Aber das Problem löst die Mauer auch nicht. Über eine Mauer kletterst du drüber, ich schaffe das in zehn Sekunden, obwohl ich jeden Tag eine Packung Zigaretten rauche.“ Man müsse das Land besetzen, so wie er es tue, das sei die Lösung. Sich dort niederlassen, wo die Migrantenpfade seien. Es klingt nach einer Mischung aus Siedlerromantik und menschlichem Wall.

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