Kommentar zur Angst nach dem Anschlag Zutiefst menschlich

Meinung · Es liegt in der Natur des Terrorismus, staatliche und soziale Strukturen durch Panik und Schrecken zu destabilisieren. Gewiss ist Mut nicht der schlechteste Begleiter angesichts der Bilder aus Berlin. Für viele Menschen ist die Furcht dennoch zum ständigen Begleiter geworden.

 Passanten haben in Berlin am Anschlagsort in der Nähe der Gedächtniskirche Blumen und Kerzen abgelegt.

Passanten haben in Berlin am Anschlagsort in der Nähe der Gedächtniskirche Blumen und Kerzen abgelegt.

Foto: dpa

Fürchtet Euch nicht, ruft der Engel den Hirten vor Bethlehem in der biblischen Weihnachtsbotschaft zu. Wenige Tage vor dem Fest der Geburt Jesu Christi sind es nun erst einmal Vertreter von Politik und Medien, die der Öffentlichkeit unter dem Eindruck des verheerenden Berliner Anschlags Courage zuzusprechen suchen. Eine Lokalzeitung in der Hauptstadt hat es am Mittwoch in weißer Schrift auf schwarzem Grund auf ihrer Titelseite bei eben jenen Worten belassen: Fürchtet Euch nicht!

Gewiss ist Mut nicht der schlechteste Begleiter angesichts der Bilder aus Berlin – mit Toten, Verletzten, zerquetschten Marktbuden und dem unheimlichen Heulen der Martinshörner, wo kurz vorher noch besinnliche Weihnachtsmelodien erklungen waren. „Jetzt erst recht“, so lässt sich die Haltung derer zusammenfassen, die unter dem Schock der Bluttat mit dem demonstrativen Besuch eines Weihnachtsmarktes ein bewusstes Zeichen setzen wollen und dabei manche Straßenumfrage der TV-Kanäle dominieren. Als „maximal unbeeindruckt“ würdigen Reporter des „Spiegel“ die nüchterne Stimmung, die sie am Tag nach der Tat in Berlin wahrgenommen haben.

Es liegt in der Natur des Terrorismus, staatliche und soziale Strukturen durch Panik und Schrecken zu destabilisieren. So lässt sich die Trotzreaktion als ehrenwerter Akt des Widerstands einordnen. Doch kann in der Ruhe nicht nur Kraft, sondern auch Fatalismus liegen. Indizien dafür bieten schulterzuckende Aussagen wie jene, wer einen Anschlag plane, sei ohnehin nicht aufzuhalten. Das kann man so sehen, denn natürlich: Absolute Sicherheit gibt es nirgends. Sollte diese Feststellung aber in den Eindruck absoluter Schutzlosigkeit kippen, wäre dies ein Brandsatz am gesellschaftlichen Gesamtgefüge.

Es sind derzeit eher Privatgespräche als die medial begleiteten Ortstermine mit staatlichen Repräsentanten, in denen viel von Angst die Rede ist. Und das nicht erst seit der Ankunft des „Heiligen Krieges“ auf unseren Weihnachtsmärkten. Inzwischen ist auch in Deutschland für viele Menschen die Furcht zum ständigen Begleiter geworden – sei es beim abendlichen Heimweg, im Gedränge der Innenstädte oder beim Gedanken daran, in was für ein Land da eigentlich gerade die eigenen Kinder hineinwachsen. Die Gefühlsregung der Angst ist zutiefst menschlich und muss ernst genommen werden. Es wäre fatal, sie herunterzuspielen, auch wenn Politiker im Vorwahlkampf nichts so schlecht gebrauchen können wie Vertrauensverlust.

Noch ist es nicht lange her, dass Glühwein und Lebkuchen sorglos genossen werden konnten – ohne Maschinenpistolen und ohne Bedenken, von Lastwagen niedergewalzt oder von Zwölfjährigen in die Luft gesprengt zu werden. Auch da war Deutschland ein weltoffenes und international vernetztes Land, sodass es schwerfällt, den Terrorismus als alternativlosen Begleiter der Globalisierung hinzunehmen. Sollte die Politik wie nach den Anschlägen in Paris, Brüssel und Nizza jetzt erneut zu den phrasenhaften Sprechzetteln greifen, wäre dies nicht nur respektlos gegenüber den Angehörigen der Opfer von Berlin, deren Schockstarre weit über ihr trauervolles Weihnachtsfest hinaus andauern wird. Es bestärkte auch die Angst.

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