Bei Eiseskälte Schon zehn Obdachlose in Deutschland gestorben

BERLIN · Eiskalte Nächte im Freien können für Obdachlose lebensgefährlich sein. Trotz eines guten Hilfesystems erfrieren auch in Deutschland in jedem Winter Menschen auf der Straße.

Ein Obdachloser hat sein Nachtlager errichtet.

Ein Obdachloser hat sein Nachtlager errichtet.

Foto: dpa

Die Eiseskälte in Deutschland wird für obdachlose Menschen zur tödlichen Bedrohung: Bereits zehn von ihnen sind in diesem Winter nach Recherchen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe auf der Straße gestorben. Dazu komme ein weiterer Verdachtsfall, sagte Geschäftsführerin Werena Rosenke. Obdachlose seien unter anderem in Berlin, Hamburg, Köln und Düsseldorf erfroren.

In der Hauptstadt wurden seit Mitte Januar drei Menschen ohne festen Wohnsitz tot aufgefunden. Allein in den eiskalten Nächten der vergangenen Tage entdeckten Passanten zwei Leichen - einen Mann auf einer Parkbank, einen weiteren auf dem Gelände eines ehemaligen Schwimmbads. Einer der Männer starb in der Nacht zum vorigen Freitag und ist in der Zählung der Arbeitsgemeinschaft noch nicht erfasst. Die Todesursache sei bei diesen Männern noch unklar, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntag.

Da von Bund, Ländern und Kommunen keine offiziellen Statistiken zu Kältetoten geführt würden, sei die Definition nicht immer einfach, sagte Rosenke. Die Arbeitsgemeinschaft stütze sich bei ihrer bundesweiten Zählung auf Medienberichte. „Es geht dabei um Menschen, die auf der Straße durch die Einwirkung von Kälte gestorben sind“, erläuterte sie. „Auch Herzversagen kann dabei mit Unterkühlung zusammenhängen.“ Oft würden Obduktionsberichte aber gar nicht öffentlich - oder keine Untersuchungen zu Todesursachen veranlasst.

In Berlin wird die Zahl der Obdachlosen auf mehrere tausend geschätzt, viele von ihnen stammen aus Osteuropa. In diesem Winter gibt es rund 1200 Notschlafplätze. Die Zahl war im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal erhöht worden, die Kältehilfe startete erstmals bereits im Oktober und reicht bis April. Darüber hinaus bleiben zwei U-Bahnhöfe nachts geöffnet. Kältebusse fahren frierende Obdachlose in Quartiere. Obdachlosen-Camps im Freien lässt der Berliner Bezirk Mitte manchmal räumen.

Viele Obdachlose suchen trotz Eiseskälte kein Notquartier auf

Die Arbeitsgemeinschaft zählt Kältetote in Deutschland seit dem Beginn der 1990er Jahre. 314 Fälle seien seitdem dokumentiert, berichtete Rosenke. Bei 38 weiteren Menschen bestehe der Verdacht, dass Unterkühlung mit zur Todesursache gehörte. Früher seien pro Jahr 20 bis 30 Fälle bekannt geworden. „Es hat etwas gebracht, dass es in vielen Großstädten jetzt Kältebusse oder Kältepatrouillen gibt“, sagt Rosenke. Auch Kältetelefone, über die Bürger Hilfe rufen können, wenn sie Obdachlose nachts draußen sehen, seien eine Hilfe.

Dass Obdachlose trotz eisiger Nächte keines der bereitstehenden Notquartiere aufsuchten, habe manchmal auch etwas mit Restriktionen beim Einlass zu tun. Wer alkoholisiert, mit Hund oder großen psychischen Problemen vor der Tür stehe, dürfe nicht bei jeder Einrichtung ins Warme.

„Da muss man schauen, ob sich solche Restriktionen lockern lassen“, ergänzte die Geschäftsführerin. Dennoch sei die Situation nicht zu vergleichen mit der im Nachbarland Polen. Dort erfrören jeden Winter Dutzende Obdachlose, weil sie bei generell streng geführten Unterkünften abgewiesen würden.

Viele Berliner Hilfseinrichtungen wie die Stadtmission gehen großzügig mit dem Einlass um und weisen bei bitterer Kälte keine Menschen ab. Allerdings sei auch das Gewaltpotenzial unter den Menschen von der Straße gestiegen, heißt es. Wer andere Gäste oder Mitarbeiter bedroht, kann manchmal nicht bleiben und muss sich ein neues Quartier suchen.

Körper kühlt nach und nach aus

Die größte Herausforderung für deutsche Kommunen sieht die Arbeitsgemeinschaft im Umgang mit obdachlosen EU-Bürgern. So wachse die Zahl perspektivloser Menschen, die nicht selten bei der Arbeit in Deutschland um ihren Lohn geprellt wurden und dann auf der Straße landen.

„Da müssen die Städte ran. Und zwar nicht nur im Winter“, sagte Rosenke. „Auch diese Menschen haben Rechte, und ihre Ansprüche an das Sozialsystem müssen individuell geprüft werden.“ Migration innerhalb der EU werde eher noch zunehmen, da sich die Armutsschere zwischen den Staaten mittelfristig nicht schließe, sondern eher größer werde.

Kälte kann für Menschen lebensgefährlich werden, weil der Körper nach und nach auskühlt und wichtige innere Organe versagen. Bei weniger als 20 Grad Körpertemperatur gilt die tödliche Schwelle nach Angaben von Ärzten in der Regel als überschritten. Meist kommt es dann zu Herzversagen. Doch bereits bei weniger als 26 Grad Körpertemperatur ist ein Mensch oft nicht mehr ansprechbar. Normal sind um die 37 Grad.

Wie viel Kälte ein einzelner Mensch aushält, hängt von vielen Faktoren ab. Dabei spielen nicht nur Temperatur, Wind, Feuchtigkeit und Kleidung eine Rolle, sondern auch Körperbau und Muskelarbeit.

Dass Alkohol gegen Kälte hilft, ist ein Irrtum: Er beschleunigt die Unterkühlung. Stark betrunkene Menschen bemerken die Lebensgefahr zudem oft nicht. Sie fühlen sich warm, obwohl ihre inneren Organe vor dem Kollaps stehen.

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