Interview Theo Waigel glaubt an den Euro

Theo Waigel hält nichts von einer Rückkehr zur D-Mark: "Das würde einen Wachstumsverlust von zehn bis 15 Prozent in den nächsten Jahren bedeuten", sagt er im General-Anzeiger-Interview.

 "Wir Deutsche waren auch mal Griechen", sagt Theo Waigel mit Blick auf das Londoner Schuldenabkommen 1953.

"Wir Deutsche waren auch mal Griechen", sagt Theo Waigel mit Blick auf das Londoner Schuldenabkommen 1953.

Foto: Frank Homann

Wenn es den Euro nicht gäbe . . .
Waigel: . . . müsste er erfunden werden. Weil wir nicht nur in Deutschland Währungsturbulenzen morgens, mittags und abends hätten, wenn es in Europa 20 oder 30 andere Währungen gäbe. Bei einer Aufwertung wären wir immer die Leidtragenden, weil die Arbeitslosigkeit zunehmen und das Wachstum in den Keller gehen würde.

Aber viele Menschen in Deutschland wünschen sich die D-Mark zurück. Warum wäre das so gefährlich?
Waigel: Weil wir eine Aufwertung von 20 bis 30 Prozent hätten. Das würde einen Wachstumsverlust von zehn bis 15 Prozent in den nächsten Jahren bedeuten. Und das würde uns Rekorddefizite im Bundeshaushalt und in den Länderhaushalten eintragen. Das kann sich niemand wünschen. Nur: Das müsste man den Menschen klipp und klar sagen.

Sie sprechen davon, dass es heute, anders als vor zehn Jahren, ein europäisches Stabilitätsbewusstsein gebe. Stimmt das wirklich?Waigel: Wir hatten 1997/98 ein beachtliches Stabilitätsbewusstsein. Da wusste jeder: Wenn er sich nicht ordentlich verhält, kommt er nicht in den Genuss des Euro. Dann hat man leider Griechenland aufgenommen, was nie hätte passieren dürfen. Und dann hat man ausgerechnet durch Deutschland und Frankreich, unterstützt von Italien, den Stabilitätspakt aufgeweicht. Damit war das Stabilitätsbewusstsein, das es schon gab, erschüttert. Jetzt muss es wieder aufgebaut werden: durch den Fiskalpakt, durch die Schuldenbremse.

Sehen Sie in einzelnen Staaten schon Licht am Ende des Tunnels?
Waigel: Ja, ich sehe zum Beispiel in Irland sehr gute Fortschritte. Die können sich schon wieder am Kapitalmarkt finanzieren. Auch Portugal macht es gut. Spanien hat am Arbeitsmarkt beachtliche Fortschritte gemacht, aber leider die Probleme bei den Banken verdrängt und zu spät gelöst.

Italien?
Waigel: Italien steht nicht so schlecht da, wie das immer dargestellt wird, mit einem Defizit von zwei Prozent. Wenn ich das in den 90er Jahren gehabt hätte, wäre das sensationell gewesen. Es ist noch eine Menge zu tun in Italien, gewiss. Da kann man nur wünschen, dass Mario Monti noch eine Weile bleibt und Silvio Berlusconi nicht zurückkommt.

Müssen die Sanktionen in Euro-Europa verschärft werden?
Waigel: Ja, wir brauchen stärkere Sanktionen. Und wir brauchen nicht nur ein Überwachungsverfahren im Haushalt, sondern auch eine Überwachung zum Beispiel der Produktivität oder der Tragfähigkeit der Sozialsysteme. Das alles muss auf den Prüfstand, miteinander diskutiert und gegebenenfalls korrigiert werden.

War es ein Fehler, den Euro ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik in der EU einzuführen?
Waigel: Wir haben eine gemeinsame Finanzpolitik vereinbart, aber in der Eigenverantwortung des einzelnen Staates. Solange die Nationen souverän sind, gibt es keinen anderen Weg. Auch in Zukunft müssen die Staaten selber für ihre Stabilität sorgen. Wer soll das denn sonst tun? Glaubt denn jemand, ein europäischer Finanzminister, wie ihn Wolfgang Schäuble oder Jean-Claude Juncker vorschlagen, würde mit einer Rede auf der Akropolis das griechische Volk begeistern? Ich mach mir da keine Illusionen. Die nationale Politik muss unter europäischen Gegebenheiten ihre Hausaufgaben machen.

Sie sprechen von Griechenland als dem blinden Euro-Passagier. Warum ist es trotzdem richtig, den Griechen jetzt zu helfen?Waigel: Wenn sich die Griechen jede erdenkliche Mühe geben, um den Konsolidierungsplan zu verwirklichen, dann soll man ihnen dabei helfen. Denn jede andere Lösung wäre nicht nur für die vielen Griechen, die unschuldig sind an der Misere, eine Katastrophe, sie wäre auch für uns nicht gut.

Warum?
Waigel: Wir würden ein Stück Instabilität nach Europa tragen, das sich auf die ganze Region, auf den ganzen Balkan negativ auswirken würde. Niemand kann sich wünschen, dass in griechischen Krankenhäusern die Medikamente nicht mehr bezahlt werden können, um alte Menschen oder Kinder zu behandeln. Selbst wenn die Griechen aus dem Euro ausschieden, stünden wir in der Pflicht, ihnen zu helfen. Aber es gibt eine Grenze: Griechenland darf Europa und uns nicht erpressen.

Ist es richtig, dass Angela Merkel nach Athen fährt? War das überfällig?
Waigel: Ich finde das mutig, in die Höhle des Löwen zu gehen. Ich finde überhaupt: Sie macht eine fabelhafte Figur.

Sie haben mal gesagt: Wir Deutsche waren auch mal Griechenland. Wie haben Sie das gemeint?
Waigel: Ja, 1953. Damals hat Hermann Josef Abs das Londoner Schuldenabkommen für uns verhandelt. Damals haben uns die Alliierten, vor allen Dingen die USA, von den 30 Milliarden D-Mark Schulden, die wir in der Nachkriegszeit hatten, gut die Hälfte erlassen. Wenn man sich überlegt, dass der Haushalt damals etwa 30 Milliarden betrug, dann kann man sich ungefähr vorstellen, was der Erlass bedeutet hat.

Läuft die aktuelle Entwicklung nicht zwangsläufig auf eine Schuldenunion in Europa zu?
Waigel: Nein, die lehne ich weiter ab. Das wäre der falsche Weg. Jeder Staat muss sich selber Rechenschaft geben. Und jeder Staat soll selbst sorgen, dass die Dinge in Ordnung kommen. Wer soll es sonst tun? Das kann letztlich kein europäisches Parlament, keine EU-Kommission.

Die Euro-Krise hat den Ruf Europas wieder beschädigt. Wird Europa ausreichend erklärt?
Waigel: Es wird viel erklärt, aber es kommt zu wenig an. Viele Politiker geben sich redlich Mühe, vor allem die Europa-Abgeordneten. Aber manche Bundestags- oder Landtagsabgeordnete machen es sich zu leicht. Sie schimpfen zunächst eine halbe Stunde auf Europa und schieben alle Probleme, die wir in Deutschland, in Bayern oder in NRW haben, auf Europa, um dann in fünf Minuten zu sagen: Es gibt keine Alternative zu Europa. Dieses Verhältnis ist einfach nicht ausgewogen.

Beschleicht Sie manchmal das Gefühl, dass das europäische Personal, auch das, das wir Deutsche nach Europa schicken, nicht erstklassig ist?
Waigel: Ich glaube, es wird wieder die Zeit kommen, wo die zwei großen Länder, wo Deutschland und Frankreich, etwas mehr Verantwortung übernehmen müssen, auch personell. Ich denke an die Kommissionspräsidenten Jacques Delors oder an Walter Hallstein zurück. Dass Deutschland derzeit überhaupt keine herausgehobene Position besetzt, halte ich nicht für gut. Bescheidenheit ist schön. Und einige Europäer glauben, hinter unserer Bescheidenheit stecke Strategie. Das ist es leider aber nicht. Wir brauchen die kleinen Länder, natürlich, wir müssen sie mitnehmen. Aber Deutschland muss mehr Verantwortung in Europa übernehmen. Das erwarten die anderen von uns, mehr als je zuvor.

Der Kanzlerkandidat der SPD, einer ihrer Nachfolger als Finanzminister, Peer Steinbrück, fordert eine Finanztransaktionssteuer. Sie auch?
Waigel: Ja, ich glaube, dass sie richtig ist. Dass sie in dieses fast nicht mehr überschaubare Finanznetz ein Stück Verlangsamung hineinbrächte. Wenn Amerika oder England da nicht mitmachen, dann unterscheiden wir uns eben. Dann stellen wir ein europäisches Modell, das sozialer, kalkulierbarer und überschaubarer ist, dagegen.

Letzte Frage: Die Union feiert dieser Tage den 30. Jahrestag der Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler. Wäre es nicht an der Zeit, dass die Partei ihren Frieden macht mit ihm, dass die CDU ihm sogar wieder den Ehrenvorsitz anträgt?
Waigel: Helmut Kohl braucht keinen Ehrenvorsitz. Aber der Frieden ist geschlossen worden. In den letzten Tagen und Wochen. Mehr an Zuneigung, mehr an Zustimmung, ja ich würde sogar sagen: mehr an Liebe kann man nicht geben.

Zur Person
Theo Waigel, Jahrgang 1939, war von 1989 bis 1998 Finanzminister und von 1988 bis 1999 Vorsitzender der CSU. Seit 2009 ist er Ehrenvorsitzender. Der promovierte Jurist ist in zweiter Ehe mit der früheren Ski-Rennläuferin Irene Epple verheiratet und hat mit ihr ein Kind. Aus der ersten Ehe mit der Diplom-Volkswirtin Karin Waigel (1966-1993) stammen zwei Kinder.

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