Bitte nicht stören! Warum kümmert keinen der UN-Bericht zum Klimawandel?

Bonn · Ein neuer UN-Bericht teilt mit: Das Weltklima wandert wohl endgültig in den Ofen. Und wie bei all den früheren Berichten kümmert das keinen. Warum?

Nochmal ganz langsam. Nochmal zum Mitschreiben. Erstens: Die Klimakrise ist kein Märchen. Sie findet statt. Nicht morgen; jetzt. Zweitens: Die Klimakrise liegt nicht am „natürlichen Lauf der Dinge“, an der Sonne oder an sonstwas. Sie liegt am Menschen. Drittens: Die Klimakrise ist keine Verheißung auf „Super“-Sommer und Rotwein aus dem Siebengebirge. Sie ist gefährlich.

Jetzt plätschern wieder die kleinen Wellen ans Ufer des Weltmeinungsteichs. Den Stein hat am Montag der UN-Weltklimarat IPCC geworfen. Wenn beim Klimaschutz nichts passiert, dann geht die Welt unter, sagt dessen neuester Bericht. Zumindest die Welt, die wir kannten. Die mit flachen Südseeatollen. Mit einem halbwegs verlässlichen Klima für den Menschen. Mit einem, das regelmäßige Ernten ermöglicht und es dort regnen lässt, wo viele Menschen leben.

Kümmert das den Menschen? Kaum. Er mag nicht das laute Schrillen des Weckers. Er sehnt sich danach, dass der Morgen, der Tag, am besten das ganze Restleben störungsfrei verläuft. So wie er weiter raucht, trinkt und fettige Pommes isst – und keine Berichte hören möchte, dass ihn das umbringen kann.

Selbstbetrug statt Klimaschutz

Auch beim Klimaschutz klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander – die Kluft zwischen eigenen Werten und Zielen sowie eigenen Handlungen und Entscheidungen. Das erzeugt quälende Spannungszustände. Die nennen Psychologen „kognitive Dissonanz“. Sie wissen, wie kreativ der Einzelmensch ist, um mit wirren Gedanken aus der Spannung wieder herauszukrabbeln. Das heißt dann „Dissonanzreduktion“ – im Volksmund: Selbstbetrug.

Das Problem ist uralt. Doch in den 1950er-Jahren wollte es Leon Fistinger genauer wissen: Wie gehen Menschen mit ihren Widersprüchen um? Darum wurde der amerikanische Sozialpsychologe 1954 zum Schein Mitglied einer Ufo-Sekte in Wisconsin. Am 21. Dezember 1954 erwartete diese den Weltuntergang – und ihre Rettung durch Außerirdische. Geschah eines von beidem? Nö. Gerieten die Gläubigen ins Grübeln? Gaben sie zu, sich geirrt zu haben? Nö. Sie dengelten sich den entfallenen Weltuntergang gedanklich als „Prüfung durch Gott“ zurecht. Aber für Fistinger war es die Basisbeobachtung für seine Theorie von der kognitiven Dissonanz, wie sie nicht nur Sekten praktizieren.

Immer wieder findet der Mensch pseudoplausible Auswege aus Sackgassen, teilweise instinktiv schon vorbeugend. Der Gänseblümchen-Typ etwa will die Zusammenhänge beim Klimawandel gar nicht so genau wissen, damit er später sagen kann, von nichts gewusst zu haben. Die Krisenleugner-Szene (zuweilen von fossilen Industrien gesponsert) wirft auf allen Kanälen Fake-News ins Publikum („Die Sonne ist schuld“) und spinnt eifrig Verschwörungstheorien. Die weltweite Plapperindustrie macht eifrig mit, unter dem Deckmäntelchen vermeintlicher „Neutralität“.

Der Internet-Aktivist Sascha Lobo brachte es im Spiegel auf den Punkt: Falls Donald Trump morgen behauptete, der Mond sei aus Käse – dann würden die Schlagzeilen nicht lauten „Jetzt spinnt er endgültig“, sondern „Diskussion über Trumps umstrittene Käse-These – Warum nimmt die Nasa nicht Stellung?“

Leben wird nie wieder sein wie zuvor

Beim Klima ist die Lage ungleich ernster. Warnung ist so deutlich wie selten; hören will sie kaum einer. Wie reagierte die Welt auf den IPCC-Steinwurf? Die niederländische Wissenschaftlerin Heleen de Coninck verriet der BBC: „Egal ob wir Konsequenzen ziehen oder eine Erwärmung um 1,5 oder 2,0 Grad zulassen: Das Leben der Menschen wird nie wieder so sein wie zuvor, so oder so.“ Aber was heißt das schon, fragt sich der taubblinde Mensch, der für das Nichts-mehr-wie-zuvor keine Fantasie hat.

Dass alles so bleibt, wie es war: Diese Hoffnung besteht nicht mehr. Schon jetzt verraten viele Forscher unter der Hand: Das Zwei-Grad-Ziel war schon Illusion, als es beschlossen wurde. Andere, die überzeugt sind, dass die Welt dringend mutmachende Geschichten braucht, um die kollektive Lähmung zu überwinden, schreiben etwa: „Es ist hoffnungslos, den Klimawandel zu stoppen. Lasst es uns tun. Es beginnt damit, wie wir unser Leben jeden Moment eines jeden Tages leben.“ Und dann holen Auden Schendler (Klimaaktivistin) und Andrew P. Jones (Klimamodell-Programmierer) in der New York Times weit aus:

Das Klimaproblem sei „schwieriger, als den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen, Bürgerrechte zu erlangen, Infektionen zu besiegen und einen Mann auf den Mond zu schicken“. Aber der Mensch sei „perfekt für den Job. Wenn sich die menschliche Spezies auf eine Sache spezialisiert hat, dann ist es das Unmögliche.“ Die Methoden: „einzelne Schritte in unserem Leben“ und „echte Fortschritte durch Abstimmungen, Amtsantritt, Protestmarsch, Schreiben von Briefen und unbequeme, aber respektvolle Gespräche mit dem Schwiegervater.“

Im Magazin Time geht es psychologisch zu. „Wenn es in einem Teil der Savanne Löwen gibt, gehen wir in einen anderen. Wenn Krokodile aus dem Fluss kommen, fischen wir woanders. Wenn es also um den Verlust des gesamten Planeten geht, sollten wir handeln. Und doch tun wir es nicht; wir tun es nie“, prophezeit Jeffrey Kluger.

Das Nichtstun psychologisch erklärt

Er zitiert Kernsätze amerikanischer Psychologen. Erstens: Dem Problem fehle „die “me„-Komponente“ – das Es-betrifft-mich. Zweitens: „Wenn wir glauben, dass die Folgen weit in der Zukunft liegen, neigen wir dazu, das Risiko zu ignorieren. Die Leute werden sich einfach nicht selbst belästigen, es sei denn, sie werden dazu gezwungen.“ Drittens: „Wenn es darum geht, bei Problemen zu handeln, wird uns der Reiz unseres derzeitigen Komforts dazu bringen, gegen unsere Werte zu handeln.“

Dieser „Komfort“ liegt auch dort, wo wir ihn selten vermuten. Es sind nicht nur die vielgeschmähten SUVs und Braunkohlekraftwerke. Es ist auch die Festbeleuchtung in den Schaufenstern und an den Straßenrändern. Die Herstellung unserer Myriaden von Coffee-to-Go-Bechern.

Und auch die Online-Welt dreht sich nicht von allein. Computerserver sind Stromfresser. Island zum Beispiel befürchtet von denen für 2018 einen größeren Stromverbrauch als von allen heimischen Haushalten zusammen, und jede Suchanfrage bei Google kostet so viel Strom wie eine Energiesparlampe pro Stunde. Sprich: Selbst der bestwillige junge Mensch muss wissen, dass die Rettung des Weltklimas ihn sein geliebtes Smartphone kosten könnte. Wird er das wollen?

Gedanken, die mutlos machen. Zusammengefasst: Die Menschheit wird das Problem an dem Tage anpacken, an dem Brett Kavanaugh zum Feministen wird, Beatrix von Storch zur Flüchtlingshelferin und der Papst evangelisch.

Politik erfüllt eigene Ansprüche nicht

Zurück ins deutsche Klein-Klein der Widersprüche. Die Realpolitik forderte von Svenja Schulze, Bundesumweltministerin, ein Maximum kognitiver Dissonanz. Am Montag sagte sie (nach dem IPCC-Steinwurf): „Wir dürfen beim Klimawandel keine Zeit mehr verlieren.“ Am Dienstag bremste sie in Luxemburg die anderen EU-Umweltminister aus, die strengere Kohlendioxid-Grenzwerte bei Neuwagen verordnen wollen.

Ganz wie üblich für alle Bundesregierungen einst und jetzt, die inzwischen nicht mehr nur dem geplagten Dieselfahrer als Unterabteilung der Autoindustrie erscheinen. Eine „erschreckende Kluft zwischen Reden und Handeln“ konstatiert Professor Hans-Joachim Schellnhuber, Deutschlands Klimaforscher Nummer eins und (einst) Klimaberater Angela Merkels. Er fordert „ehrgeizige Maßnahmen, jetzt!“

Was bislang noch keiner sagt: Ein Weltproblem wie die Klimakrise überfordert die Politik. Sie ist auf nationalen Egoismus geeicht, nicht auf globales Zusammenstehen. Weltweite Steuer auf Kohlenstoff? Gleiche Umweltregeln für alle? Wer soll das beschließen? Wer soll es umsetzen? Wer soll anfangen?

„Warum sollten ausgerechnet wir etwas tun? Alle anderen tun ja auch nichts“, lautet ein oft gehörtes „Argument“. So spottet die FAZ über den Grünen-Politiker Anton Hofreiter: „(Er) glaubt ernsthaft, das Weltklima werde im rheinischen Revier gerettet.“ Stimmt: Der Hambacher Rodungsstopp richtet kaum etwas aus. Nur: Zu wissen, dass es den syrischen Bürgerkrieg nicht beendet, wenn ich meinen Nachbarn leben lasse – ist das dann etwa eine Rechtfertigung, ihn zu erschießen? Und hat der Moralismusweltmeister Deutschland ein Recht, die Restwelt zur Moral aufzufordern, wenn er sich selbst um die Restwelt nicht kümmert?

AfD: Verdrängung statt Wissenschaft

Würde eine Regierung wiedergewählt, wenn sie beim Klimaschutz ernst macht? Steuergeschenke bringen Stimmen, Anstrengungen kosten sie. Ihre Forderung „Fünf Mark pro Liter Sprit“ hätte die Grünen 1998 fast aus dem Bundestag gekegelt. Doch einen extrem eleganten Ausweg aus dieser Politiker-Wähler-Zwangsjacke (und der kognitiven Dissonanz) bieten die konsequente Verdrängung und die absichtliche Verwechslung von Wissenschaft mit Wolkenkuckucksheim: Wenn es gar kein Problem gibt, müssen wir es auch nicht lösen. In drei Buchstaben: AfD.

Alles nicht so schlimm, sagt die Partei – und bietet dafür „Argumente“ auf, die sich gegenüber echtem Klimawissen ausnehmen wie der Sieg im Papierfliegerfaltwettbewerb gegen das Steuern eines Airbus 380. „Kohlendioxid ist kein Schadstoff, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens“, schreibt sie zum Beispiel auf Seite 79 ihres Grundsatzprogramms. Im Fernsehen dürfen die AfD-„Experten“ das immer wieder neu breittreten – unter dem Mantel der „Meinungsfreiheit“, mit dem die Medien es sich so leicht machen. Kein Anchorman stellt die einfache Gegenfrage: „Auch Wasser ist “Bestandteil des Lebens„. Aber was hilft das, wenn die Sintflut beginnt?“

„Der Regen, der in ihren Heimatländern fällt, macht sie nicht nass“, schrieb Alexander Gauland kürzlich in der FAZ und meinte damit die Leistungs-Eliten, deren Weltveränderertum die ärmeren Schichten leiden lasse: „Die Globalisierung sieht im Penthouse viel freundlicher aus als in der Sozialwohnung“.

Man kann diesen Gedanken auch umdrehen. In Richtung auf jene echten Unwetter, die auf uns zukommen, obwohl die Parteigenossen des Herrn Gauland es ableugnen. Wenn wir gegrillt werden oder vom Starkregen weggespült oder beides; und wenn alle, die nicht gegrillt und weggespült werden wollen, bei uns an den Grenzen stehen werden – dann wird das auch die AfD und ihre Wähler ganz schön anfassen. Auch in der migrationsfernsten Waldhütte macht das Leben keinen Spaß mehr, wenn ringsum die Bäume vertrocknet sind.

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