Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger "Wir dürfen den Rechtsstaat jetzt nicht infrage stellen"

Vorratsdatenspeicherung trägt zur Verhinderung von Terroranschlägen nichts bei, sagt die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Politikerin und im Vorstand der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit.

 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Foto: dpa

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sind eine erklärte Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung. Nähren die Ereignisse von Paris bei Ihnen Zweifel an dieser Haltung?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich sehe keine Entwicklungen, die Anlass zu berechtigtem Zweifel geben. Gerade was die Verhinderung von Anschlägen angeht - das zeigt ja auch der Blick in die anderen Länder - leistet die anlasslose Vorratsdatenspeicherung keinen Beitrag. Und ich finde es angesichts der fürchterlichen Anschläge der vergangenen Woche und dessen, was wir in den letzten Tagen in Frankreich, Belgien, aber auch in Deutschland erleben, schon sehr merkwürdig, dass manche nichts anderes im Kopf haben, als eine noch weiter gehende Ausdehnung der Vorratsdatenspeicherung zu fordern. Ich glaube, wir sind in Deutschland wirklich gut aufgestellt, was unsere Sicherheit angeht. Deshalb sehe ich keinen Grund für die FDP, die ja gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung klagen will, eine Kehrtwende vorzunehmen.

Sie haben die Nachbarländer angesprochen. Wie sieht es bei denen aus mit der Datenspeicherung?
Leutheusser-Schnarrenberger: In Frankreich gibt es seit Langem die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in größerem Umfang, als bei uns jetzt beschlossen. Was dort in diesem Jahr geschehen ist, beginnend mit Charlie Hebdo, zeigt, dass zur Verhinderung solch terroristischer Attacken von der Vorratsdatenspeicherung keine größere Sicherheit ausgeht. In Belgien gibt es sie auch, ebenso in Großbritannien. In weiteren europäischen Ländern ist das anders, nachdem der europäische Gerichtshof die europäische Richtlinie zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in vollem Umfang für nicht mit EU-Recht vereinbar erklärt hat.

In jedem Krimi sieht man ja, dass Handy-Daten ausgewertet werden. Was ist heute schon bei uns möglich?
Leutheusser-Schnarrenberger: Was Handys und Computer betrifft, ziemlich viel bis hin zur Durchsuchung von Computern im präventiven Bereich. Dazu kommt das Abhören und Auswerten von Daten. Was die Tätigkeit von Polizei und Bundeskriminalamt angeht, gibt es heute schon weitreichende Eingriffsbefugnisse gerade auch mit Blick auf das Internet.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Ihre Kritik entzündet sich daran, dass die Daten ohne Anlass gespeichert werden sollen...
Leutheusser-Schnarrenberger: Genau darum geht es jetzt schon seit Jahren. Es gibt ja die Alternative, gerade mit Blick auf Dschihadisten, die man in Frankreich auf 5000 schätzt, in Deutschland auf 1000 mit etwa 450 Gefährdern, die man weitgehend kennt, einer geografisch und persönlich begrenzten Datenspeicherung.

Wie kann sich eine freiheitliche Demokratie gegen Terrorismus schützen? Wie stark dürfen oder müssen Bürgerrechte im Interesse der Sicherheit eingeschränkt werden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich ist wichtig, dass wir gut ausgebildete und ausreichend Mitarbeiter bei den Sicherheitsbehörden haben, also bei Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst. Das ist ganz entscheidend. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 in den USA ist auch in Deutschland häufig zulasten der Bürgerrechte eine Sicherheitsarchitektur geschaffen worden, die ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet. Deshalb darf angesichts dieser fürchterlichen Anschläge jetzt nicht der Rechtsstaat bei uns infrage gestellt werden. Wir sind auf einem hohen Sicherheitsniveau, das gut ist und uns wehrhaft macht. Aber absolute Sicherheit kann es nicht geben, schon gar nicht gegen festentschlossene Einzeltäter, die bereit sind, ihr eigenes Leben für "den Weg ins Paradies" zu opfern. Wir müssen wachsam sein, besonnen reagieren und den Feinden unserer Demokratie sagen: Wir lassen uns das, was wir an Freiheitsrechten haben, nicht nehmen.

Geheimdienste stehen seit der NSA-Affäre immer wieder in der Kritik. Ist diese im Licht der aktuellen Ereignisse möglicherweise überzogen? Sie sollen ja mit ihrer Arbeit die Bürger schützen...
Leutheusser-Schnarrenberger: Im Zusammenhang mit dem NSA-Skandal bezog sich die Kritik immer darauf, dass die Geheimdienste sich nicht an geltendes Recht halten. Natürlich ist wichtig, dass Geheimdienste im Rahmen der Rechtsordnung effektiv arbeiten, gute Leute haben und im erlaubten Rahmen Informationen austauschen. Informationen sammeln über mögliche weitere Anschläge, mögliche Terroristen und Gefährder, ist klassische Geheimdienstarbeit, und dafür haben die Geheimdienste auch die Unterstützung der ganzen Gesellschaft. Dafür sind Geheimdienste da. Aber nicht dafür, Bespitzelungen vorzunehmen, die weit über das hinausgehen, was die Rechtsordnung ihnen erlaubt.

Zurück zur Vorratsdatenspeicherung: Der Internet-Nutzer gibt freiwillig doch viel mehr Daten preis, als durch die Speicherung überhaupt gesammelt werden sollen. Warum also die ganze Aufregung?
Leutheusser-Schnarrenberger: Selbst wenn ich Daten freiwillig preisgebe, erteile ich damit ja nicht einen Blankoscheck dafür, dass alle meine Daten zusammengeführt, gespeichert und dann für verschiedene Zwecke verwendet werden können. Gerade bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung geht es um das Vertrauen in eine Kommunikation, die eben nicht permanent der Gefahr unterliegt, daraufhin überprüft zu werden, mit wem ich wann wie lange an welchem Ort telefoniert habe. Genau daran entzündet sich die juristische Auseinandersetzung.

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