Interview mit Guido Westerwelle "Wir dürfen unsere Nachbarn nicht aufgeben"

Bundesaußenminister Guido Westerwelle über das Schmähvideo, die Reaktion in arabischen Staaten und deutsche Rechtsradikale.

 "Die Gewalt ist bestürzend", sagt Guido Westerwelle.

"Die Gewalt ist bestürzend", sagt Guido Westerwelle.

Foto: dpa

Wie besorgt macht Sie die aktuelle Entwicklung in den arabischen Ländern?
Guido Westerwelle: Die Gewalt ist bestürzend und auch besorgniserregend. Aber wir dürfen die Fundamentalisten, Extremisten und Gewalttäter nicht mit der großen Mehrheit ihrer Völker verwechseln. Die große Mehrheit ist zwar gegen dieses unsägliche Video, möchte aber ebenso, dass die Demokratie friedlich weiter erarbeitet wird.

Beunruhigt Sie die Entwicklung im arabischen Frühling insgesamt?
Westerwelle: Ich spreche seit einiger Zeit nicht mehr vom arabischen Frühling, sondern von arabischen Jahreszeiten. Denn die Lage ist in den Ländern sehr unterschiedlich. Die Erstürmung unserer Botschaft in Khartum ist in keiner Weise akzeptabel, dennoch brauchen wir einen differenzierten Blick auf das komplexe Gesamtbild in der arabisch-muslimischen Welt.

Kann es sich der Westen leisten, einzelne dieser Staaten aufzugeben?
Westerwelle: Ich rate dazu, die Gewalttäter nicht zu verwechseln mit der Mehrheit der Bevölkerungen. Die Menschen sind millionenfach auf die Straße gegangen, in Kairo, in Tunis, in anderen Städten, um für Demokratie, Freiheit und Frieden zu demonstrieren. Wir haben ein Interesse daran, dass der demokratische Aufbruch, der in diesen Ländern begonnen hat, fortgesetzt wird. Aber es wird auch Rückschläge geben.

Die Fundamentalisten wollen doch gar keine Demokratie...
Westerwelle: Wir dürfen Gewalttätern, Extremisten und Fundamentalisten nicht den Gefallen tun, dass wir ihre Rechnung aufgehen lassen. Sie wollen in der Tat keine Demokratie, sondern ein intolerantes Regime. Das gilt es durch eine Unterstützung der demokratischen und friedlichen Zivilgesellschaft in der Region zu verhindern. Wir reden hier nicht über irgendwo, wir reden über unsere Nachbarschaft. Wir dürfen und wir werden unsere Nachbarn nicht aufgeben.

Sie sprachen gerade vom demokratischen Aufbruch. Zufall, dass das ein Begriff aus unserer deutschen Entwicklung war?Westerwelle: Ich hätte auch von demokratischer Revolution sprechen können. Es liegt nahe, dass jemandem, der die deutsche Einheit und die europäische Wiedervereinigung erlebt hat, manche Parallelen in den Kopf kommen - auch wenn die Lage sehr unterschiedlich und schwer vergleichbar sein dürfte. Ich rate dazu, entschieden gegen die Gewalt, aber doch besonnen zu handeln und auch unser eigenes gesellschaftliches Immunsystem zu wappnen. Ich begrüße, dass jetzt für einen bestimmten Hassprediger ein Einreiseverbot beschlossen wurde.

Noch einmal zu dem Schmähvideo: Halten Sie es für realistisch, die Verbreitung dieses Videos zu untersagen?
Westerwelle: Das müssen die Justizbehörden klären. Auch die Meinungsfreiheit rechtfertigt nicht die Beleidigung und Verunglimpfung anderer Religionen. Es ist nach unserem Strafgesetzbuch verboten, andere Religionen zu beschimpfen und damit den öffentlichen Frieden zu stören. Aber auch ein solches schändliches Video rechtfertigt keine Gewalt.

Geht die Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten möglicherweise zu weit?
Westerwelle: Ich begrüße, dass die amerikanische Außenministerin sich ebenso klar von diesem Video distanziert hat, wie ich es getan habe.

Schaukelt sich der Extremismus gegenseitig hoch?
Westerwelle: Leider gibt es nicht nur Extremisten in diesen Ländern, sondern auch Rechtsradikale bei uns. Sie wollen ihre Saat der Intoleranz blühen sehen. Dem müssen wir ebenfalls entschieden entgegen treten.

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