Abgas-Affäre soll den Umbau bei VW befördern

Wolfsburg/Berlin · Der Abgas-Skandal zwingt Volkswagen zu einer schnelleren Neuausrichtung des riesigen Autokonzerns. "Wir werden es nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt", sagte Vorstandschef Matthias Müller bei der Vorlage einer ersten Zwischenbilanz.

 VW steckt in der schwersten Krise seiner Geschichte, weltweit drohen milliardenschwere Schadenersatz- und Strafzahlungen. Foto: Peter Steffen/Archiv

VW steckt in der schwersten Krise seiner Geschichte, weltweit drohen milliardenschwere Schadenersatz- und Strafzahlungen. Foto: Peter Steffen/Archiv

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"Wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht." Strukturen und Denkweisen müssten sich ändern, auch damit künftig ähnliche Vorfälle verhindert werden. Die Folgen des Abgas-Skandals sind allerdings immer noch gravierend.

Wenn es Europas größtem Autobauer gelinge, aus den millionenfachen Falschangaben zum Stickoxid-Ausstoß von Dieselwagen Lehren zu ziehen, könne es wieder bergauf gehen, betonte Müller. "So ernst die aktuelle Situation auch ist: Dieses Unternehmen wird nicht daran zerbrechen."

Das Top-Management werde VW künftig weniger zentralistisch führen. "Diese Neuausrichtung wäre früher oder später ohnehin nötig gewesen", meinte der Vorstandschef. Einen Absatzeinbruch gebe es bisher nicht.

Bei der Suche nach Verantwortlichen für den Diesel-Skandal hat die VW-Spitze nur einen relativ kleinen Kreis von Verdächtigen im Visier. "Wir halten es für wahrscheinlich, dass nur eine überschaubare Zahl an Mitarbeitern aktiv zu den Manipulationen beigetragen hat", sagte Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Erstmals seit dem Ausbruch der Krise stand die VW-Führung der Öffentlichkeit Rede und Antwort.

Inzwischen habe man über 1500 elektronische Datenträger eingesammelt, um Hinweise auf den Ursprung der Affäre zu finden. Es seien zudem 87 Interviews im Rahmen der Ermittlungen geführt worden. "Viele weitere werden noch folgen", kündigte Pötsch an. Rund 450 Experten arbeiteten an der Aufklärung. Ziel sei es, bis zur Hauptversammlung am 21. April 2016 einen vollständigen Überblick über die Ergebnisse zu liefern.

VW hatte Mitte September zugegeben, in elf Millionen Dieselmotoren weltweit eine Software eingesetzt zu haben, die Daten zum Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxid-Abgase schönte. Für die Bewältigung der Krise wurden bisher Rücklagen von 6,7 Milliarden Euro gebildet.

Man achte nun auch in der Entwicklung strenger auf die Einhaltung von Regeln. So werde bei der Software-Entwicklung für Motorsteuergeräte auf das Vier-Augen-Prinzip gesetzt, um Manipulationen zu erschweren. Zudem sollen Emissionstests grundsätzlich extern untersucht werden.

Pötsch sagte, der Abgas-Skandal sei eine der größten Bewährungsproben in der Volkswagen-Geschichte. "Die Krisenfolgen werden vermutlich beträchtlich sein", meinte er mit Blick auf die finanziellen Folgen.

Es gehe darum, das Vertrauen von Kunden, Investoren, Mitarbeitern und Öffentlichkeit zurück zu gewinnen. VW werde "schonungslos" aufklären: "Alles kommt auf den Tisch, nichts wird unter den Teppich gekehrt." Müller sagte in den ARD-"Tagesthemen", die Abgas-Täuschungen müsse man letztendlich als kriminelles Delikt werten: "Und insofern waren wir alle einfach schockiert über diesen Vorgang." Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Fall wegen Betrugsverdachts.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer kritisierte, das bloße Ausrufen einer neuen Kultur reiche nicht aus. "Vertrauen baut man anders auf", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Die Kultur müsste man dadurch ändern, dass man die Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsrat ändert."

Anfang Januar soll der Rückruf der betroffenen Dieselautos starten. Die Autofahrer erwarteten, "dass VW endlich aufklärt, wie der Rückruf abgewickelt und wie der Konzern weitere Ansprüche entschädigen wird", sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller. "Insbesondere ein möglicher Wertverlust des Autos oder Mehrverbrauch nach Umrüstung darf nicht zulasten der Verbraucher gehen."

Nach Angaben Pötschs kommt die Aufklärung der Affäre voran. Der Ursprung der "Stickoxid-Thematik" habe weitgehend nachvollzogen werden können: "Sie stellt sich nicht als einmaliger Fehler, sondern als Fehlerkette dar, die nicht durchbrochen wurde." Ausgangspunkt sei die groß angelegte Diesel-Offensive von VW im Jahr 2005 gewesen.

Der Konzern steckte damals in den USA in einem Absatz-Tief. Man habe keinen Weg gefunden, strengere Stickoxid-Normen im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen zu erfüllen. So sei es zum Software-Einbau gekommen. Die Führung habe nichts vom Betrug gewusst. "Wir haben keine Erkenntnisse über die Involvierung von Aufsichtsrat oder Vorstand vorliegen", so Pötsch. Müller unterstrich in den "Tagesthemen", das Ganze habe sich "im mittleren Management und darunter abgespielt".

VW hatte bereits eine Neuausrichtung auf den Weg gebracht. Die Marken und Regionen bekommen mehr Verantwortung. Der "Kulturwandel" zielt darauf, enger zusammenzuarbeiten und offene Diskussionen über Fehler zuzulassen. Müller: "Wir brauchen keine Ja-Sager, sondern Manager und Techniker, die mit guten Argumenten für ihre Überzeugungen und ihre Projekte kämpfen - die unternehmerisch denken und agieren."

Dieses veränderte Unternehmensklima sieht Müller - neben Integrität und Nachhaltigkeit - als zentrale Säule beim Umbau an. Hinzu kommen die Digitalisierung und der Ausbau der bisher schleppend angelaufenen Elektromobilität. "Unser Anspruch ist es, diesen Entwicklungen nicht hinterherzulaufen, sondern sie maßgeblich mitzugestalten."

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