Wirtschaftszahlen Brüssel für höhere deutsche Löhne

BRÜSSEL · Lange wurde Deutschland als Wachstumslokomotive und Konjunkturmotor Europas gelobt. Doch nun gerät der europäische Musterschüler genau wegen seiner ökonomischen Stärke in die Kritik. Zuerst waren es nur die US-Regierung und der Internationale Währungsfonds, die Maßhalte-Appelle nach Berlin schickten. Am Mittwoch kündigte nun auch die Brüsseler Kommission an, die Wirtschaftszahlen zu "prüfen".

"Wir werden untersuchen, ob der hohe Exportüberschuss Auswirkungen auf ganz Europa hat", sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Ein förmliches Verfahren könnte allerdings frühestens im kommenden Jahr eröffnet werden und im schlechtesten Fall mit einer Strafe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr enden.

"Wir wollen wissen, ob das hohe Plus im Export schlecht für die Währungsunion ist", erklärte Barroso weiter. Die nahezu unangefochtene Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik sei "gut". Andere seien von diesem Niveau noch weit entfernt. Und da Deutschland eine "besondere Verantwortung für Europa" habe, müsse das Land möglicherweise mehr für die EU tun.

2012 exportierte die deutsche Wirtschaft Waren im Wert von 1096 Milliarden Euro ins Ausland, vor allem in die Schwellenländer Lateinamerikas, Asiens und die USA. Dagegen wurde nur für etwa 906 Milliarden Euro eingeführt. Daraus errechnet sich ein Leistungsbilanzüberschuss von mehr als sechs Prozent. Zum sechsten Mal in Folge.

Vehement bestritt der Kommissionschef, dass Brüssel die ökonomische Stärke der Bundesrepublik attackieren wolle. Deutschland solle nicht weniger exportieren, aber mehr einführen. Dazu brauche es innenpolitische Reformen, um die Binnennachfrage anzukurbeln. So sollten bestehende Hürden für ausländische Dienstleister konsequenter abgebaut und die Löhne vor allem im unteren Bereich angehoben werden. Auch das Sozialversicherungswesen müsse reformiert werden, um Niedriglohn-Bezieher zu integrieren.

Das Konzept ist massiv umstritten. Der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber lehnte die Forderungen der Kommission strikt ab: "Denn das wäre in etwa so, als müssten der FC Bayern München und Borussia Dortmund schlechteren Fußball spielen, nur damit kleinere Vereine bessere Chancen auf die oberen Plätze in der Tabelle haben." Der CDU-Parlamentarier Werner Langen sprach gar von einem Griff in die "sozialistische Mottenkiste" und warf Barroso "mangelndes Verständnis für die Funktionsweise der sozialen Marktwirtschaft" vor.

Die fünf Wirtschaftsweisen, die gestern Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Gutachten übergaben, lehnten Eingriffe in die Exportstärke Deutschlands ab. Der Leistungsbilanzüberschuss sei ein Marktergebnis, sagte der Ökonom Volker Wieland. Es solle anerkannt werden, dass deutsche Produkte in Schwellenländern oder den USA so gefragt seien. Der gewerkschaftsnahe "Weise" Peter Bofinger betonte dagegen: "Ich glaube, die amerikanische Kritik an Deutschland ist richtig." Der hohe Leistungsbilanzüberschuss sei problematisch, weil sehr viel Geldvermögen angehäuft und zu wenig öffentlich und privat investiert werde. "Wir sparen sehr viel und das Ersparte wird in ausländischen Geldanlagen angelegt", sagte Bofinger.

Innerhalb der EU gerät Berlin unter Druck. Gerade die Schuldenstaaten werfen der Bundesrepublik vor, mit ihrer Exportschwemme keinen Platz für die eigenen Unternehmen zu lassen. Stattdessen drohe ein riskanter Wettlauf, wer billiger produzieren könne. Wachsender Wohlstand sei da kaum möglich. Die Kommission bemühte sich gestern jedenfalls den Eindruck zu vermeiden, man wolle ein schwächeres Deutschland. "Darum geht es nicht", betonte Währungskommissar Olli Rehn. Berlin müsse nur dafür sorgen, dass der wirtschaftliche Erfolg der deutschen Konzerne im Export durch eine deutlich höhere Binnennachfrage zusätzlich gestützt werde. Also eigentlich gehe es sogar um eine "weitere und verlässlichere Stärkung" Deutschlands.

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