DGB-Chef Reiner Hoffmann im Interview „Helden des Alltags haben mehr verdient als Applaus“

Interview | Düsseldorf · Der Chef des Gewerkschaftsbundes hat mit unserer Autorin unter anderem über die Autokaufprämie, Laschets Familienbonus, den Corona-Soli und die Senkung des Mindestlohns, der von Unionspolitikern gefordert wird, gesprochen.

     Reiner Hoffmann leitet den DGB seit 2014.

Reiner Hoffmann leitet den DGB seit 2014.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Wie steht es mit der Gerechtigkeit aus Sicht der Arbeitnehmer bei den Coronahilfen? Mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, sprach Antje Hönig.

Um welche Branchen machen Sie sich besonders Sorgen?

Reiner Hoffmann: Die Krise trifft alle Branchen, das ist der Unterschied zur Finanzkrise 2008, als vor allem Banken betroffen waren. Der Shutdown hat Handel, Gastronomie und Dienstleistungen schwer zugesetzt, in der Industrie sind Lieferketten anhaltend gestört. Darum muss es am Dienstag ein kraftvolles Signal der großen Koalition für ein Konjunkturprogramm geben.

Dabei wird es auch um Kaufprämien für Autos gehen. Soll der Staat ernsthaft für neue Verbrenner Zuschüsse zahlen?

Hoffmann: Wir brauchen im Rahmen eines ambitionierten Konjunkturprogramms staatliche Unterstützung für umweltfreundliche Mobilität. Die Corona-Krise bietet uns die Chance, diese Aufgabe anzugehen. Da es bei der Elektromobilität noch Engpässe gibt, etwa bei Ladesäulen, werden wir weiter Verbrenner brauchen. Wenn die Kaufprämie hilft, auf deutlich sparsamere Verbrenner umzusteigen, ist damit der Umwelt und der Industrie geholfen. Genauso bedeutsam ist der öffentliche Personennahverkehr, bei dem die Fahrgasteinnahmen dramatisch eingebrochen sind. Wir brauchen daher zwingend auch einen Rettungsschirm für den ÖPNV.

Der Unmut der Bevölkerung ist aber groß: Wieso sollte der Staat ausgerechnet einer Branche helfen, die mit Dieseln betrogen und den Strukturwandel verschlafen hat?

Hoffmann: Natürlich muss auch die Autoindustrie selbst einen kräftigen Beitrag leisten, zumal es den großen Autoherstellern vergleichsweise gut geht. Schwer in der Krise sind die Zulieferer, vielen steht das Wasser bis zum Hals. An der Rettung ihrer langjährigen Partner müssen sich auch die Autokonzerne beteiligen, um Beschäftigung zu sichern.

Sollte es dann als Gegenleistung für eine Kaufprämie wenigstens Gehaltsdeckelungen geben?

Hoffmann: Wenn der Staat mit Milliarden hilft, kann er erwarten, dass auch Manager und Aktionäre ihren Beitrag leisten – im Übrigen nicht nur bei den Autoherstellern. Die Vorstandsgehälter müssen gedeckelt werden, die weichen Bestimmungen im Corporate-Governance-Kodex reichen nicht aus. Dass ein Vorstand das 70-fache des Durchschnittslohns eines Facharbeiters verdient, ist nicht akzeptabel. Ebenso muss die Kaufprämie mit einem Verzicht der Ausschüttung verbunden werden. Wer Hilfe will, darf keine Dividende zahlen. Auch die Aktionäre der Hersteller müssen ihren Beitrag leisten.

Streit gibt es auch um den Mindestlohn. Einige Unionspolitiker fordern eine Senkung unter die aktuell 9,35 Euro pro Stunde oder den Verzicht auf die geplante Erhöhung 2021.

Hoffmann: Das ist doch absoluter Unfug. Die Helden des Alltags haben mehr verdient als Applaus, eine Lohnsenkung wäre ein Schlag ins Gesicht. Zudem gibt es eine klare Regel: Der Mindestlohn orientiert sich nachlaufend an der Tariflohnentwicklung der vergangenen zwei Jahre. Und es muss dringend mit dem Missstand aufgeräumt werden, dass 2,4 Millionen Beschäftige um den Mindestlohn betrogen werden.

Ein großer Verlierer der Krise sind Azubis. Wie kann man denn ihnen und den Betrieben helfen?

Hoffmann: Wir brauchen einen Schutzschirm für Ausbildung. Ausbildungsplätze müssen unbedingt erhalten bleiben. In den kommenden Wochen und Monaten könnte die Zahl insolventer Betriebe steigen. Die betroffenen Azubis sollten von anderen Betrieben übernommen werden, damit sie ihre Ausbildung beenden können. Hierfür könnten die übernehmenden Betriebe eine Prämie bekommen, so wie es die Allianz für Aus- und Weiterbildung diese Woche vorgeschlagen hat.

Und für künftige Azubis? Soll es einen Ausbildungsbonus geben?

Hoffmann: Tatsächlich drückt die Corona-Krise das Angebot an Lehrstellen. Je nach Branche und Region werden bis zu 20 Prozent weniger Plätze im Vergleich zum Vorjahr gemeldet. Das ist ein Problem für die Schulabgänger und verschärft den künftigen Fachkräftemangel. Von einem Ausbildungsbonus für alle Betriebe halte ich gleichwohl nichts. Hier muss man gezielt helfen, beispielsweise durch eine Verbundausbildung.

Ein anderer Verlierer der Krise sind Frauen: Viele zerreißen sich zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung. Was kann der Staat tun, um diese Arbeit zu honorieren?

Hoffmann: Frauen sind besonders betroffen: Sie bekommen im Schnitt 20 Prozent weniger Lohn und müssen nun noch den Großteil der Kinderbetreuung stemmen. Auch hier ist die Corona-Krise eine Chance, das Thema Equal Pay endlich anzupacken und für eine gleiche Bezahlung zu sorgen.

NRW-Ministerpräsident Laschet will einen bundesweiten Familienbonus in Höhe von einmalig 600 Euro pro Kind zahlen.

Hoffmann: Ein Bonus für Familien, den auch Finanzminister Scholz vorgesch lagen hat, ist aus konjunkturellen Gründen gut: Er hilft, Kaufkraft und Nachfrage zu stabilisieren. Allerdings sollte es den Bonus nur sozial gestaffelt geben: für kleine und mittlere Einkommen, aber nicht für reiche Familien. Wir wollen ja den Konsum erhöhen, nicht die Sparquote. Auch einmalige Konsumschecks, die mit einem Verfallsdatum versehen sind, sind sinnvoll und können zur Stabilisierung der Konjunktur beitragen.

Kommen wir zur Finanzierung: Soll man an der Abschaffung des Soli festhalten oder ihn in einen Corona-Soli umwidmen? Schließlich sind die Ausgaben des Staates gewaltig.

Hoffmann: Die DGB-Gewerkschaften haben sich stets gegen die Abschaffung des Solis ausgesprochen. Niedrige Einkommen belastet er gar nicht und mittlere nur wenig. Der größte Teil des Solis wird von den wohlhabendsten 20 Prozent aufgebracht. Schon vor der Krise haben wir dafür geworben, den Soli als Instrument des Bundes beizu behalten, um strukturschwachen Regionen in Ost und West unter die Arme greifen zu können. Das ist nun noch notwendiger denn je!

SPD-Chefin Saskia Esken fordert zur Finanzierung der Corona-Kosten gar eine einmalige Vermögensabgabe. Die gefällt Ihnen doch bestimmt?

Hoffmann: Über eine Vermögensabgabe, ähnlich der, wie wir sie in Westdeutschland unter Adenauer schon einmal hatten, wird man gewiss auch reden müssen. Zunächst sollte aber die Aussetzung der Vermögensteuer beendet werden. Über die Finanzierung der Corona-Lasten mache ich mir wenig Sorgen.

Nein? Der Staat verteilt Hunderte Milliarden …

Hoffmann: Wir können uns höhere Schulden leisten. Durch die aktuellen Hilfspakete steigt die Staatsverschuldung auf 80 Prozent. Je mehr wir für die Konjunktur tun, desto leichter wachsen wir aus den Schulden wieder heraus. Darum war das Paket, das Kommissions-Präsidentin von der Leyen nun vorgeschlagen hat, auch so wichtig.

Sie hat die Büchse der Pandora geöffnet, nun sind gemeinsame Schulden der EU-Staaten möglich …

Hoffmann: Das wurde auch Zeit! Die deutsche Wirtschaft profitiert wie keine andere von der EU, 60 Prozent unserer Exporte gehen zu den Nachbarn. Nun müssen wir auch zu einer gemeinsamen Fiskalpolitik kommen – mit gemeinsamen Schulden und gemeinsamer Mindestbesteuerung für Unternehmen. Europa ist es wert.

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