Bankensystem EU will Kontrollen für Schattenbanken anpassen

BRÜSSEL · Streit um schärfere Kontrollen für Geldmarktfonds - Knickte EU-Kommissar Barnier vor den heimischen Banken ein?

 Banken im Schatten: Die Skyline der Stadt Frankfurt am Main mit den Hochhäusern der Banken unter grau bewölktem Himmel.

Banken im Schatten: Die Skyline der Stadt Frankfurt am Main mit den Hochhäusern der Banken unter grau bewölktem Himmel.

Foto: dpa

Ihre Umsätze liegen bei astronomischen 51 Billionen Euro im Jahr. Das entspricht 30 Prozent der Summe, die das gesamte weltweite Finanzsystem erreicht - und der Hälfte aller Bankaktiva. Aber sie haben keine Banklizenz und werden deshalb nicht oder nach völlig uneinheitlichen Maßstäben kontrolliert. Bis jetzt. "Das Schattenbankenwesen ist für den europäischen Finanzmarkt systemrelevant", sagte EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier gestern, als er seinen Entwurf für eine künftige Überwachung dieser Institutionen vorlegte.

Doch das Papier enttäuschte Beobachter auf der ganzen Linie. Noch zu Wochenanfang hatten die beiden Finanzminister von Deutschland und Frankreich, Wolfgang Schäuble und Pierre Moscovici, in einem Brief an Barnier gefordert, vor allem solche Fonds zu verbieten, die ihren Kunden stabile Rückkaufswerte versprechen - unabhängig vom Kursverlauf. Der Kommissar aber hat einen solchen Eingriff nicht vorgesehen. Stattdessen sollen die umstrittenen Geldmarktfonds neben umfassender Offenlegung ihres Kapitalstocks und der Portfolios künftig drei Prozent Eigenkapitalbasis aufbauen.

"Das reicht bei Weitem nicht aus, um Notverkäufe abzufangen", kommentierte der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold gestern. Sein SPD-Kollege Udo Bullmann meinte, "es ist fraglich, ob ein Kapitalpuffer in dieser geringen Höhe ausreicht". Der Bundesfinanzminister ist sich dagegen bereits sicher, dass Barniers Vorschlag nicht ausreicht. Sein Sprecher Martin Kotthaus betonte unmittelbar nach der Vorlage, dass der vorgeschlagene Kapitalpuffer zu niedrig sei. Außerdem sollten die Fonds feste Anteile in variable umwandeln, "um im Falle einer Krise nicht leergesaugt zu werden".

Die umstrittenen Geldmarktfonds werden von vielen institutionellen Anlegern wie Unternehmen, Geldhäusern und sogar Regierungen genutzt, um kurzfristig Kapital zu parken. Auf den ersten Blick, so heißt es im Papier der Kommission, böten diese Fonds die gleichen Leistungen wie ein Bankkonto - also "unmittelbaren Zugang zu Liquidität und relative Wertestabilität". In Wirklichkeit aber seien sie kaum mehr als "klassische Investment-Fonds, mit eigenen Marktrisiken". Gerieten solche Fonds in eine Krise, könnten sie ihre Versprechungen, "Anteile zurückzukaufen und ihren Wert zu halten", nicht sicherstellen.

Das könnte dazu führen, dass verängstigte Investoren massenweise ihr Geld wieder abziehen wollen - mit dramatischen Erschütterungen, die sich auf das gesamte Finanzsystem auswirken würden. Vor diesem Hintergrund hatten bereits der Finanzstabilitätsrat (FSB), ein internationales Beratergremium zur Lage auf den Märkten, ebenso wie der Europäische Systemrisikorat (ESRB), ein bei der Europäischen Zentralbank angesiedeltes Frühwarnsystem, dazu geraten, die Tätigkeit der Fonds nicht nur einzuschränken, sondern zu untersagen.

Dass Barnier sich von solchen Forderungen distanzierte, hat einen Grund. 95 Prozent der in Europa vertretenen Geldmarktfonds konzentrieren sich auf drei Länder: Irland, Luxemburg und Frankreich, die Heimat des Kommissars. Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken und Co-Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, begrüßte die Vorlage Barniers als "wichtigen Baustein für mehr Stabilität im Finanzsektor". Zwar habe die Kommission bereits einige Verordnungen erlassen, mit denen die Tätigkeiten der Schattenbanken ebenso wie die der Geldmarktfonds reguliert würden.

"Aber ohne Transparenz und eine ausreichende statistische Datenbasis läuft das alles in Leere." Mit anderen Worten: Brüssel soll sich erst einmal sachkundig machen, ehe man neue Gesetze vorschlägt.

Schattenbanken

Auch wenn der Begriff Schattenbanken den Eindruck erweckt, man begebe sich sozusagen in die Unterwelt des seriösen Finanzmarktes, geht es doch um wenig geheimnisvolle Geldinstrumente. Mit diesem Begriff werden Unternehmen zusammengefasst, die innerhalb des gesetzlichen Rahmens Finanzgeschäfte betreiben - wie beispielsweise Hedge- oder Hochrisiko-Fonds. Dazu zählen auch Tochterunternehmen von Geldinstituten, die außerhalb der Banklizenz tätig werden. Auch einige Zweckgesellschaften der Häuser zählt man dazu. Tatsächlich bewegen diese privaten Firmen unvorstellbare Summen. Der Finanzstabilisierungsrat (FSB) schätzt den Umsatz für 2012 auf rund 51 Billionen Euro weltweit, was gut einem Viertel der Gesamtumsätze auf dem globalen Kapitalmarkt entsprechen würde. Allein in der EU sind es diesen Angaben zufolge rund 4,7 Billionen Dollar (etwa 3,6 Billionen Euro). Die Verteilung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ist sehr unterschiedlich. Während Schattenbanken in Deutschland nur rund fünf Prozent des gesamten Umsatzes der Finanzbranche erreichen, sind es in Großbritannien 13 Prozent, in den USA aber zwischen 35 und 40 Prozent. Deshalb warnte der frühere Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Jochen Sanio, schon vor einigen Jahren: "Bis zu einem Drittel der Aktiva des gesamten Finanzsystems werden in einer zwielichtigen Schattenwelt bewegt, die nur schwach oder gar nicht reguliert ist. Und das Volumen steigt weiter. Welche Risiken sich bei welchen der beteiligten Spielern aufbauen, können wir nicht erkennen. Schlimmstenfalls kann es zu großen Unfällen kommen, auf die dann niemand vorbereitet wäre. In einem Umfeld, in dem es an jeder (Ein-)Sicht fehlt, werden daraus schnell Massenkarambolagen."

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