Motorschutz-Software Gericht bremst Autohersteller aus
Schleswig · Motorschutz-Software zulasten der Umwelt ist unzulässig. Betroffene Diesel-Autos können aber weiter genutzt werden.
Für die Deutsche Umwelthilfe ist das Urteil ein Triumph. Das Verwaltungsgericht Schleswig hält bestimmte Software für unzulässig, die die Abgasreinigung bei Dieselautos abschaltet. Das Kraftfahrtbundesamt hätte sie so nicht genehmigen dürfen, entschieden die Richter am Montagabend. Jetzt sind Autofahrer verunsichert: Muss der Golf Diesel mit Euro-5-Norm in der Garage bleiben? Und was ist mit Audi-, BMW-, Mercedes-Fahrzeugen?
Dass Autos sofort stillgelegt werden, ist nicht zu erwarten. Üblicherweise werden Mängel im Zuge eines Rückrufs oder bei einem Werkstattbesuch behoben. Erst wenn das nicht möglich ist, würden Fahrzeuge möglicherweise aus dem Verkehr gezogen, wie es die Umwelthilfe jetzt fordert. Dazu dürfte es lange nicht kommen. Denn das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht rechtskräftig, Berufung beim Oberverwaltungsgericht Schleswig ist zugelassen, auch eine sogenannte Sprungrevision bei der höchsten Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht. Letzteres ist üblich, wenn es um sehr grundsätzliche Fragen geht.
In dem Verfahren (Az. 3 A 113/18) ging es um einen Golf Plus TDI mit der 2,0-Liter-Version des Motors EA189. Das Fahrzeug gehörte zu denen, die im Zuge des Dieselabgasskandals bei VW nachgerüstet werden mussten. Der Autobauer hatte jahrelang eine Schummelsoftware in Dieselmotoren des Typs EA189 eingebaut, die im Teststand saubere Abgaswerte lieferte, auf der Straße aber ein Vielfaches der erlaubten Stickoxide in die Luft blies. Nachdem der Skandal im September 2015 aufgeflogen war, musste VW die Software der meisten Motoren aktualisieren und die Schummelsoftware beseitigen.
Auch bei anderen Herstellern als VW fanden die Umweltschützer Thermofenster
Die Umwelthilfe testete einige der Fahrzeuge nach den Updates mit eigener Technik im Straßenbetrieb und stellte fest, dass einige Fahrzeuge immer noch mehr Stickoxide ausstießen, als erlaubt war. Grund waren sogenannte Thermofenster, die die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen praktisch ausschalten. Auch bei anderen Herstellern als VW fanden die Umweltschützer solche Thermofenster. Autohersteller halten sie für einen sicheren Betrieb für nötig.
„Die temperaturabhängige Abgasrückführung schützt vor unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigungen oder Unfall“, heißt es bei VW. „Diese wiegen so schwer, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen können.“ Aus Sicht des Konzerns wäre es „unverantwortlich gewesen, Fahrzeuge mit solchen Risiken auf den Markt zu bringen“. Das Kraftfahrtbundesamt erklärt, man habe verschiedene Hersteller, auch VW, aufgefordert, die Thermofenster anzupassen. Die von VW verwendeten „erfüllen die gesetzlichen Anforderungen“.
Weil das Kraftfahrtbundesamt die Thermofenster im Zuge der VW-Updates 2016 genehmigt hatte, klagte die Umwelthilfe gegen die Behörde. VW war in diesem Fall beigeladen. Beide können in die Berufung gehen. Das Kraftfahrtbundesamt will die schriftliche Begründung des Urteils abwarten, prüfen und über weitere Maßnahmen entscheiden. Der Autohersteller formuliert, man werde die Urteilsgründe „sorgfältig prüfen und dann über weitere Schritte entscheiden“.
Umwelthilfe sieht die jetzt gewonnene Klage als Musterentscheidung
Das Verfahren läuft bereits seit 2018. Das Verwaltungsgericht Schleswig hatte beim Europäischen Gerichtshof klären lassen, ob die Umwelthilfe überhaupt klagen darf, was die Luxemburger Richter bestätigten. Sie entschieden zudem, wie schon in zwei anderen ähnlichen Fällen, dass Thermofenster nur in sehr engen Grenzen zulässig sind. Auf dieses Urteil stützte sich auch die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig.
Die Umwelthilfe sieht die jetzt gewonnene Klage als Musterentscheidung. Sie forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf, das ihm unterstellte Kraftfahrtbundesamt anzuweisen, das Urteil zu akzeptieren und betroffene Autos zurückzurufen. Insgesamt sehen die Umweltschützer direkt etwa fünf Millionen Pkw, mittelbar sogar bis zu zehn Millionen Fahrzeuge betroffen. Von VW heißt es, dass das Software-Update, in dem es im Verfahren ging, damals für eine bestimmte Gruppe von ähnlichen Fahrzeugen genehmigt worden sei. „Betroffen sind also circa 88 000 produzierte Fahrzeuge. Wie viele davon noch tatsächlich im Verkehr sind, ist offen.“
Aus Sicht von VW bietet das Urteil des Schleswiger Verwaltungsgerichts keine Chancen, Schadenersatz vom Konzern zu fordern. „Ebenso bleiben zivilrechtliche Klagen, die einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch auf das Vorhandensein eines Thermofensters stützen, wie bisher erfolglos“, erklärt das Unternehmen.