Friedrich Bohlen im Interview "Der Impfstoff wird kommen"

Tübingen · Das Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac arbeitet seit Januar an einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Geschäftsführer Friedrich Bohlen spricht im Interview darüber, wie die Tests laufen und wann mit einem Impfstoff zu rechnen ist.

 Das Tübinger Unternehmen CureVac arbeitet derzeit an der Entwicklung eines Impfstoffs.

Das Tübinger Unternehmen CureVac arbeitet derzeit an der Entwicklung eines Impfstoffs.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Hoffnung von Millionen Menschen liegen auf dem Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac, das die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs vorantreibt. Wir sprachen mit Friedrich von Bohlen, Geschäftsführer von Dietmar Hopps Beteiligungsgesellschaft Dievini, die 82 Prozent an Curevac hält. Bohlen ist zudem Aufsichtsrat bei Curevac.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklung des Impfstoffs?

Bohlen Wir kommen gut voran. Schon bald können wir in präklinische Tests gehen und den Impfstoff an Tieren testen. Im Sommer können wir die klinischen Tests am Menschen starten. Dabei müssen wir vor allem die richtige Dosis finden.

Die wichtigste Frage für die Menschen: Wann könnte der Impfstoff auf den Markt kommen?

Bohlen Das hängt von vielen Faktoren ab und auch davon, wie sich diese Pandemie entwickelt. Verläuft sie dramatisch,werden Beschleunigungen möglich sein. Ich bin mir aber sicher: Der Impfstoff wird kommen.

Wie schnell könnten Sie die Produktion hochfahren?

Bohlen Das hängt davon ab, wie hoch die Dosierung sein muss, um einen Menschen wirksam zu schützen. Bräuchten wir ein Mikrogramm Impfstoff pro Impfung, so wie es Curevac kürzlich bei Tollwut zeigen konnte, könnte man mit einem Kilogramm eine Milliarde Menschen impfen. Muss die Dosis höher liegen, brauchen wir auch deutlich mehr Impfstoff. Curevac wäre heute in der Lage, über 100 Millionen Dosen pro Jahr zu produzieren.

Können Sie Laien erläutern, wie der Impfstoff wirkt?

Bohlen Jede messenger RNA (kurz mRNA) transportiert die Information zur Bildung eines bestimmten Eiweißes. Das Virus hat spezifische Eiweiße auf seiner Oberfläche, die von unserem Immunsystem erkannt werden. mRNA kann diese Information auch ohne Virus dem Immunsystem mitteilen, so dass dieses dann diejenigen Zellen produziert, deren Antikörper die Viren erkennen und vernichten, falls das Virus zu einem späteren Zeitpunkt den Menschen infiziert. So etwas nennt man auch aktive Immunisierung. Neu ist die Substanzklasse, nämlich die mRNA, mit der man so gut wie jede Infektionserkrankung immunisieren kann.

Ihr Erfolg hat offenbar auch US-Präsident Donald Trump angelockt. Was geschah Anfang März im Weißen Haus?

Bohlen Curevac war im März als einziges deutsches Unternehmen bei einem Treffen von Pharmafirmen zur Corona-Krise im Weißen Haus. Danach sind Spekulationen aufgekommen, Trump wolle Curevac übernehmen oder exklusive Lieferkapazitäte n für die USA aufkaufen. Um es klar zu sagen: Ein solches Angebot der US-Regierung hat es nicht gegeben. Ich will aber nicht ausschließen, dass eine Anfrage nach Impfstoff auch aus den USA, auch aus anderen Regionen, einmal kommen wird.

Und dann?

Bohlen Es bleibt bei der Linie, die auch Dietmar Hopp vertritt und deutlich gemacht hat: Wir sind solidarisch mit den Menschen in der ganzen Welt verbunden. Und wenn die Nachfrage nach dem Impfstoff das Angebot übersteigt, muss es einen fairen Verteilungsmechanismus geben. Zugleich betonen wir: Wir wollen Hochinnovationen in Deutschland halten und ausbauen.

Hat die Kanzlerin oder Gesundheitsminister Spahn mit Herrn Hopp gesprochen?

Bohlen Nicht mit Herrn Hopp, aber mit dem Unternehmen gab und gibt es Gespräche. Auch mit der Europäischen Union.

Sie sprechen von Verteilungsm echanismus. Bekommt das Land am meisten, das am meisten bezahlt?

Bohlen Sicherlich nicht. Man wird gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation priorisieren müssen. Und da sind unangenehme Szenarien denkbar. Man wird entscheiden müssen, ob man bestimmte Patienten oder Regionen bevorzugt beliefert oder ob man auf Quoten setzt, also eine bestimmte Menge Impfstoff pro Land.

Was kann die Politik tun, um Curevac weiter zu unterstützen?

Bohlen Wir sind sehr froh, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 80 Millionen Euro an Unterstützung zugesagt hat, um die Produktionskapazitäten zügig auszubauen und so die notwendigen Mengen an Impfmaterial sicherzustellen. Darüber hinaus ist aber auch Unterstützung für den eigentlichen Betrieb wichtig. Wir brauchen hochqualifizierte Mitarbeiter, Ausstattung, Material, Qualitäts-geprüfte Prozesse. Behörden wie die EMA sind ge fragt für die Zulassung. Wie schnell das geht, hängt davon ab, welche Fragen in welcher Reihenfolge und welcher Tiefe zu beantworten sind.

Wer hatte die Idee für den Impfstoff?

Bohlen Curevac wurde im Jahr 2000 von Ingmar Hoerr und zwei weiteren Forschern in Tübingen gegründet. Als ich Ingmar 2004 kennenlernte und er mir sein Konzept erklärte, war mir klar: zu gut um wahr zu sein, oder hochinnovative Transformation für die ganze Medizin. Heute sieht es so aus, dass mRNA die ganze Medizin verbessern kann. Nicht nur gegen quasi alle Infektionserkrankungen, auch bei Krebs oder bei Erkrankungen, die auf molekularen Defekten beruhen. Wir, dievini, die Beteiligungsgesellschaft von Herrn Hopp, sind seit 2006 in Curevac investiert und haben das Unternehmen seitdem aktiv unterstützt und begleitet. Ingmar hatte als Doktorand herausgefunden, dass mRNA bei direkter Verabreichung ins Gewebe als therapeutischer Impf- oder Wirkstoff eingesetzt werden kann, wenn sie zuvor optimiert wird. Mit Hilfe dieser bahnbrechenden Entdeckung können wir das unglaublich breite Potenzial dieses Bio-Moleküls auf vielfältige Weise nutzen.

Ist Ingmar Hoerr weiter dabei?

Bohlen Leider musste er sich wegen einer Erkrankung – es ist aber nicht Corona – vor kurzem als Vorstandsvorsitzender von Curevac zurückziehen. Wir hoffen, dass er bald wieder zurück ist.

Curevac ist nicht der einzige Konzern, der nach einem Impfstoff sucht. Wie weit ist die Konkurrenz?

Bohlen Es gibt zwei andere Unternehmen, die auf mRNA setzen: Moderna aus Boston und Biontech aus Mainz. Moderna hat angekündigt, jetzt schon am Menschen zu testen. Beide Unternehmen nutzen modifizierte Nukleotide, Curevac nutzt die natürlichen Bausteine, für die das Unternehmen viele Patente besitzt.

Wie geht es weiter mit der Corona-Epidemie?

Bohlen Das kann man nicht sagen. Es war gut, dass die Politik nun reagiert. Wenn der Erreger schnell mutiert, wird er womöglich zu einem dauerhaften Problem. Dann werden wir immer wieder gegen Corona impfen müssen, wie es jetzt schon bei der Influenza üblich ist. Ich bin aber zuversichtlich: Corona wird beherrschbar.

Wie schützen Sie sich selbst?

Bohlen Soziale Kontakte vermeiden und immer wieder Hände waschen. Und gelassen bleiben. Ich finde zwar richtig, dass wir derzeit mit allen Mitteln versuchen, die Ausbreitung zu verhindern. Aber ich sehe keinen Anlass zu Hysterie.

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