Interview mit Matthias Wissmann "In schwierigem Fahrwasser auf Erfolgskurs"

BERLIN · Obwohl in einigen Märkten auch Rückgänge zu verzeichnen sind, spricht der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie Matthias Wissmann von einem insgesamt "guten Autojahr". Weltweit wurden über 74 Millionen Autos verkauft, darunter 15 Millionen deutsche. Mit ihm sprach Markus Grabitz.

 Deutsche Hersteller haben in diesem Jahr stark in Produktionsstätten weltweit investiert.

Deutsche Hersteller haben in diesem Jahr stark in Produktionsstätten weltweit investiert.

Foto: dpa

Herr Wissmann, wie zufrieden sind Sie mit dem Autojahr 2014?
Matthias Wissmann: In einem weltpolitisch schwierigen Fahrwasser ist die deutsche Automobilindustrie 2014 auf Erfolgskurs geblieben. Export, Produktion und Beschäftigung haben zugelegt. Obwohl in einigen Märkten wie Russland und Südamerika Rückgänge zu verzeichnen sind, haben uns die Stabilisierung in Westeuropa und die Dynamik in den USA und in China ein insgesamt gutes Autojahr beschert. Weltweit werden dieses Jahr etwa nach unseren Prognosen 74,7 Millionen Neuwagen verkauft, das ist ein Plus von zwei Prozent. Bemerkenswert ist: Die deutschen Marken haben daran einen Anteil von 20 Prozent, das entspricht fast 15 Millionen Autos.

Wie macht sich der Autostandort Baden-Württemberg?
Wissmann: Der Südwesten ist ein starker Anker: Mehr als 200.000 Beschäftigte produzieren in Baden-Württemberg jährlich über eine Million Pkw. 38 Prozent der Gesamtausfuhr Baden-Württembergs kommen von unseren Herstellern und Zulieferern. Ohne die Automobilindustrie hätte Baden-Württemberg nicht diese wirtschaftliche Blüte.

Wachsen die deutschen Marken vor allem im Ausland?
Wissmann: Die deutschen Hersteller haben besonders stark in Produktionsstätten weltweit investiert, etwa in China, Südamerika, USA oder Mexiko. Diese globale Präsenz hat unsere Position in Deutschland gestärkt. Wir produzieren 2014 hierzulande über 5,5 Millionen Neufahrzeuge. Vor 20 Jahren waren es noch rund vier Millionen Fahrzeuge. Dazu kommt eine Auslandproduktion von knapp 9,2 Millionen Pkw in diesem Jahr. ´Wir haben also die Chancen der Globalisierung aktiv genutzt, das hilft uns zu Hause: Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland ist im Oktober 2014 gegenüber dem Vorjahr um 24 700 Mitarbeiter in der Stammbelegschaft von Herstellern und Zulieferern gestiegen auf rund 785 600 Mitarbeiter.

Wie schauen Sie ins neue Jahr?
Wissmann: 2015 bietet gute Wachstumschancen. Die US-Nachfrage ist groß. Die Dynamik in China wird zwar etwas nachlassen, aber immer noch stark sein. Wir schätzen, dass im deutschen Markt 2015 - wie in diesem Jahr - gut drei Millionen Fahrzeuge verkauft werden. Wenn keine externen Schocks kommen, dürfte das neue Jahr ein weiteres leichtes Anziehen des Pkw-Weltmarktes insgesamt bringen.

Was ist mit den Krisenländern in Europa?
Wissmann: Wir beobachten, dass Länder mit dem Mut zu unpopulären Reformen wie Spanien, Irland und Portugal erste Erfolge verzeichnen. In diesen Ländern gab es in diesem Jahr erfreuliche Zuwächse auch beim Automobilabsatz, freilich noch von einem niedrigen Niveau aus. Länder hingegen ohne diesen Mut - vor allem Frankreich, zum Teil auch Italien - haben ein wesentlich geringeres Wachstum.

Zur Elektromobilität: Inzwischen haben die deutschen Hersteller viele Modelle, wann kommt der Durchbruch beim Absatz in Deutschland?
Wissmann: 2014 erreicht der deutsche Markt für Elektromobile zum ersten Mal ein fünfstelliges Verkaufsvolumen. Bis November wurden 11 500 Einheiten neu zugelassen, das ist ein Plus von rund 63 Prozent. Am stärksten ist der Zuwachs bei Plug-in Hybriden, also Elektroautos, die zusätzlich noch einen Verbrennungsmotor haben. Wir hoffen, dass sich 2015 noch mehr Kunden für ein E-Auto entscheiden. Die Auswahl ist gut - allein die deutschen Hersteller werden Ende des nächsten Jahres 29 Modelle im Angebot haben. Der Gesetzgeber sollte zusätzliche Impulse geben, wenn das Ziel von einer Million E-Mobile in 2020 erreichbar bleiben soll. Wir halten etwa bessere Abschreibungsbedingungen für Firmenwagen und ein Beschaffungsprogramm der öffentlichen Hand für erforderlich.

Die Industrie hat viel Geld investiert, wann brauchen die Hersteller wirtschaftlich den Durchbruch, damit sie nicht das Interesse verlieren?
Wissmann: Wir bleiben am Ball. Die Hersteller planen mittel- und langfristig, denn selbst wenn vorübergehend die Ölpreise niedrig sind, müssen wir uns von fossilen Kraftstoffen unabhängiger machen. Auch, um die anspruchsvollen CO²-Ziele zu erreichen. Klar ist: Die deutsche Industrie hat inzwischen 17 Milliarden Euro in Elektromobilität investiert. Noch wird die Entwicklung von alternativen Antrieben zum Teil quersubventioniert durch das Geschäft mit klassischen Antrieben. Das kann man natürlich nicht unendlich lange so machen. Auch Elektroautos müssen sich für den Hersteller eines Tages rechnen.

Braucht Deutschland eine eigene Fabrik für die Batteriezelle von E-Mobilen?
Wissmann: Bei der aktuellen Batteriezellen-Generation haben die Asiaten einen technischen Vorsprung etwa aus dem Mobilfunkbereich, den wir vermutlich nicht aufholen werden. Man darf aber das Thema nicht verkürzen auf die Batteriezelle. Bei Batteriesystemen, also etwa beim Thermomanagement, der Steuerung der Batterie oder der Zyklenfestigkeit, haben wir eine internationale Spitzenposition. Für die nachfolgenden Batteriegenerationen gilt es, sorgfältig zu prüfen, ob eine Entwicklungskooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Staat sinnvoll ist, damit Europa nicht abgehängt wird.

Nordrhein-Westfalen verweigert den längeren Lastwagen die Einfahrt.
Wissmann: Wir würden es sehr begrüßen, wenn die nordrhein-westfälische Landesregierung dem Feldversuch eine Chance geben würde. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass Lang-Lkw genauso viel Fracht befördern können wie vorher drei Fahrzeuge - und der Spritverbrauch um bis zu 30 Prozent sinkt. Damit ist der Lang-Lkw ein echter Öko-Laster. Mit über 2000 Kilometern ist NRW das Flächenbundesland mit dem dichtesten Autobahnnetz und ein Standort mit vielen wichtigen Industrie- und Logistikunternehmen. Daher ist es wichtig, dass die Lang-Lkw dort erprobt werden können. Gerade bei der hohen Verkehrsdichte in NRW gilt es, alle Potenziale zu nutzen, um den Straßengüterverkehr noch effizienter zu machen.

Zur Person

Matthias Wissmann ist seit 2007 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), dem mehr als 600 Mitgliederunternehmen angehören. Vorher war er 31 Jahre Mitglied des deutschen Bundestags. Der ehemalige CDU-Politiker war 1993 Bundesminister für Forschung und Technologie und bis 1998 Bundesminister für Verkehr. Sein Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und der Politik absolvierte er in Tübingen und Bonn.

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