Nach russischem Angriffskrieg Lieferketten: Deutsche Wirtschaft will Neuausrichtung der EU-Politik

Brüssel · Die deutsche Wirtschaft hat die EU-Kommission aufgefordert, die geplanten Lieferkettenregelungen zu überarbeiten. Der russische Angriffskrieg und die damit verbundene Neuausrichtung der meisten Handelsbeziehungen mache dies nach Überzeugung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages nötig.

 Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben.

Foto: DPA

Die deutsche Wirtschaft hat die EU-Kommission aufgefordert, die geplanten Lieferkettenregelungen zu überarbeiten. „Wir müssen für unsere Wertvorstellungen smarter werben und können keine Bedingungen mehr stellen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, in Brüssel. Angesichts des russischen Angriffskrieges und der sich abzeichnenden Energiekrise empfahl er der EU, sich auf die wichtigsten Prioritäten zu konzentrieren. Das seien die vom DIHK unterstützen Anstrengungen für den Klimaschutz und die Versuche, Abhängig keiten von einzelnen Ländern zu verringern.

Mit dem im Entstehen befindlichen Lieferkettengesetz will die EU Firmen zwingen, die Einhaltung von Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards entlang der gesamten Lieferkette vom Rohstoffabbau über die Verarbeitung, die Veredelung und den Transport in die EU zu garantieren und Verstöße dagegen scharf sanktionieren. Dieses Vorhaben werde nun von neuen Weichenstellungen überlagert, wofür symbolisch der Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Katar stehe. Um von russischen Energielieferungen unabhängiger zu werden, war der Grünen-Minister auf Energie-Einkaufstour in dem autokratischen arabischen Land.

Die Rolle der EU in der Pandemie sei sehr gut gewesen, sagte Wansleben. „In der Krise ist Zusammenarbeit besser als alleine zu agieren“. Jetzt stelle sich aber die Frage, wie die EU angesichts der neuen Herausforderungen Teil der Lösung werden könne und nicht Teil des Problems bleiben müsse. Am Vortag hatte die EU-Kommission die Wachstumsprognose für die EU von 4 auf 2,7 Prozent heruntergesetzt, die erwartete Inflation von 3,5 auf 6,1 Prozent korrigiert. Krieg und Energiepreisentwicklung gelten als die wichtigsten Faktoren. „Krieg zerstört alles, auch das Vertrauen in die Stabilität der Wirtschaftsbeziehungen“, erklärte Wansleben. Überall müssten nun neue Absatz- und Beschaffungsmärkte entstehen.

Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, dass Deutschland das EU-Kanada-Handelsabkommen Ceta immer noch nicht ratifiziert habe. „Mir fallen nicht mehr viele Länder für neue Handelsbeziehungen ein, wenn wir uns schon mit Kanada schwertun“, erklärte Wansleben. Dringend müssten die Kontakte mit Indien, mit Australien, mit den Mercosur-Staaten Südamerikas intensiviert werden.

„Europa hat an Attraktivität und Marktmacht eingebüßt“

Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz verabschiedet, das am 1. Januar 2023 seine Wirkung entfaltet. Der DIHK habe der Regierungskoalition angeboten, den Test vor Ort zu machen und zurückzumelden, wie es konkret funktioniere. Wenn es angesichts der veränderten Bedingungen nicht oder kaum handhabbar sei, müsse es nachjustiert werden. Auch mit Blick auf noch energischere Pläne der EU verwies Wansleben darauf, dass die Stellung europäischer Firmen in den rohstoffreichen Ländern eine andere geworden sei: „Wir haben an Attraktivität und Marktmacht eingebüßt.“

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