„Wie Phönix aus der Asche“ Ökonomen sprechen neuer Bundesregierung gute Konjunktur-Prognosen aus
Berlin · Die Konjunktur schwächelt zum Start der neuen Regierung – aber nächstes Jahr soll sie laut aktueller Prognosen stark anziehen: Ökonomen erwarten in der deutschen Wirtschaft im kommenden Jahr Wachstumsraten zwischen vier und fünf Prozent.
Große wirtschafts- und klimapolitische Herausforderungen, aber auch ein hervorragendes konjunkturelles Umfeld – darauf kann sich die nächste Bundesregierung nach allen gängigen Prognosen der Ökonomen einstellen. Der seit Langem erwartete kräftige Aufschwung verschiebe sich wegen der aktuellen Lieferengpässe nur um einige Wochen nach hinten, im kommenden Jahr aber werde die deutsche Wirtschaft nach der Corona-Krise wie ein Phönix aus der Asche kommen mit Wachstumsraten zwischen vier und fünf Prozent. So lautet der Tenor der Konjunkturprognosen. Mitte Oktober dürften die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute diese optimistische Vorausschau in ihrer Gemeinschaftsdiagnose untermauern. Für die neue Regierung denkbar günstige Voraussetzungen.
Lieferengpässe haben die Industrie zurückgeworfen, vor allem in der Automobilproduktion stottert der Motor. Opel Eisenach musste sein Werk wegen fehlender Halbleiter-Lieferungen bis zum Jahresende sogar schließen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der wichtigste Frühindikator der Konjunktur, ging im September zum dritten Mal in Folge zurück. Oft war das bereits ein erstes Rezessionszeichen. Doch Konjunkturexperten sind überzeugt, dass die Lieferprobleme verfliegen, sobald die Pandemie zu Ende geht. Auch die Zurückhaltung der Verbraucher, die sich von den aktuell hohen Inflationsraten beeindrucken lassen, werde einer starken Kauflaune weichen: 200 Milliarden Euro Nachfrage hätten sich bei den Konsumenten angestaut, die müssten bald unter die Leute gebracht werden.
Konjunkturellen Vorzeichen stehen nach wie vor sehr gut
„Wir erleben derzeit nur eine Konjunkturdelle, mehr nicht. Zum Einen belasten die Lieferengpässe die Industrieproduktion, zum Anderen könnten die Verbraucher etwas zurückhaltender werden wegen der etwas höheren Inflation“, sagt etwa Andreas Scheuerle, Konjunkturexperte der Dekabank. „Aber im nächsten Jahr wird es wieder kräftiger bergauf gehen: Dann lassen die Inflationssignale wieder nach, und die Industrie wird die aufgestaute hohe Nachfrage befriedigen können, wenn sich die Lieferengpässe allmählich auflösen.“ Die konjunkturellen Vorzeichen für 2022 stünden nach wie vor sehr gut – wenn nicht die Corona-Infektionen wieder stark zunähmen. „Wir sehen im nächsten Jahr beim Wachstum eine Vier vor dem Komma, das wäre dann das höchste Wirtschaftswachstum seit der Wiedervereinigung.“
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hielt in seiner jüngsten Prognose Ende September sogar eine Fünf vor dem Komma im kommenden Jahr für möglich. Wegen der aktuellen Lieferengpässe werde das Vorkrisenniveau von 2019 nun aber erst im ersten Quartal 2022 wieder erreicht. Ungeachtet der konjunkturellen Erholung im nächsten Jahr sieht das Institut wegen der Demografie aber steigende finanzielle Herausforderungen in der Sozialversicherung. Die Kieler warnen vor einer zunehmenden Abgabenlast. Vor allem Renten- und Krankenversicherungsbeiträge müssten bald deutlich steigen, wenn die Regierung untätig bleibe.
„Die neue Bundesregierung kann den konjunkturellen Aufschwung im nächsten Jahr nicht durch falsche Entscheidungen kaputt machen. Aber sie könnte das langfristige Wachstumspotenzial verringern, wenn sie jetzt die wirtschaftspolitischen Weichen falsch stellt“, warnt auch Scheuerle von der Dekabank. Die Zahl der Erwerbstätigen werde sinken, die der Rentner zunehmen. „Die spannende Frage wird sein, wie die Politik mit den dadurch wachsenden Defiziten in der Sozialversicherung umgeht. Stopft sie die Löcher einfach weiter mit Zuschüssen, müssten die Steuern steigen, und das würde wiederum das Wachstum bremsen. Mutige Sozialreformen sind daher eigentlich unerlässlich“, sagt Scheuerle.
Hinzu kommt ein hoher öffentlicher Investitionsbedarf bei Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und beim Klimaschutz. Wie die zu finanzieren sind, ist eine zentrale Frage in den aktuellen Sondierungsrunden und bald anstehenden Koalitionsverhandlungen der Parteien: Während SPD und Grüne zusätzliche Schulden machen wollen, bremsen FDP und Union.