Deutschland-Chef im GA-Interview So hat sich das Geschäft bei Haribo in den letzten 100 Jahren verändert

Interview · Haribo wird 100 Jahre alt. Deutschland-Chef Andreas Patz spricht im Interview über die Folgen der Corona-Krise, den Standort Grafschaft und warum Chinesen blaues Fruchtgummi mögen.

 Im Foyer der Grafschafter Haribo-Zentrale: Noch arbeitet etwa jeder vierte Verwaltungsmitarbeiter von zu Hause aus.

Im Foyer der Grafschafter Haribo-Zentrale: Noch arbeitet etwa jeder vierte Verwaltungsmitarbeiter von zu Hause aus.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Die neue Haribo-Zentrale in der rheinland-pfälzischen  Gemeinde Grafschaft thront auf einem Hügel inmitten von Feldern und Obstplantagen. Von außen wirken die Gebäude puristisch mit viel Glas und anthrazitgrauen Fassaden. Doch schon im Foyer beginnt die Bärchen-Welt. Die Sofas sind grün, gelb, rot und orange. An den Glaswänden zwischen den Büros kleben überdimensionale Abziehbilder von  Fruchtgummischnecken und dem Bären mit der roten Schleife. In den Regalen und auf den Schreibtischen liegen Beutel mit Süßigkeiten –  zum Teil auch von der Konkurrenz.

„Die Mitarbeiter können so viel essen wie sie möchten“, sagt Haribo-Geschäftsführer Andreas Patz. Er ist für Vertrieb und  Strategie in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Auch wenn der ehemals Bonner Familienkonzern, wie Patz sagt, „gerne unter dem Radar fliegt“, gibt er einen Einblick in das Gummibärchen-Geschäft in Corona-Zeiten und sagt, welche Grundsätze sich 100 Jahre nach Firmengründung bewährt haben und was unternehmerische Fehler waren. Mit Patz sprach Delphine Sachsenröder.

Haben die Menschen sich im Corona-Lockdown mit Süßigkeiten getröstet?

Patz: Laut Marktforschern wurden während der Corona-Krise im Lebensmitteleinzelhandel mehr Süßwaren verkauft. Gleichzeitig ist jedoch das Außer-Haus-Geschäft, etwa an Kiosken, Bahnhöfen oder Flughäfen, eingebrochen. In manchen Warengruppen besonders stark: Unter einer Maske lutscht kaum jemand Pfefferminzpastillen.

Wie sieht es bei Haribo aus?

Patz: Wir sind generell gut durch die Krise gekommen. Auch bei uns gibt es Bereiche die besser und andere, die schlechter laufen. Für 2020 sind die Einflüsse so kurzfristig, dass wir aktuell keine realistische Prognose treffen können. Aber ich sehe, dass wir von der Öffnung des Lockdowns gerade profitieren. Das Geschäft ist anders geworden. Lose Ware wird zum Beispiel weniger nachgefragt, etwa in Büros oder an Kiosken. Gefragt sind eher klein verpackte Süßigkeiten.

Besuch bei Haribo in der Grafschaft: Deutschland-Geschäftsführer Andrea Patz.

Besuch bei Haribo in der Grafschaft: Deutschland-Geschäftsführer Andrea Patz.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Wie geht Haribo intern mit der Pandemie um?

Patz: Wir haben den Vorteil als Lebensmittel-Unternehmen, dass wir es gewohnt sind, unter extrem hohen Hygienestandards zu arbeiten. Außerdem haben wir schnell reagiert und schon im Februar ein Präventionsteam gegründet, das erst einmal die technische Infrastruktur für die Mitarbeiter im Homeoffice vorbereitet hat.  Von den rund 530  Beschäftigten aus der Grafschafter Verwaltung arbeitet derzeit noch jeder vierte von zu Hause aus. Die etwa 170 Mitarbeiter in der Produktion arbeiten unter besonderen Hygienemaßnahmen natürlich vor Ort.

Solche Maßnahmen kosten Geld. Werden die Gummibärchen teurer?

Patz: Natürlich verursacht die Corona-Krise zusätzliche Kosten. Und wie alle anderen Unternehmen müssen auch wir schauen, wie wir diese Kosten letztendlich in der Kalkulation abbilden können.

Haribo: Sammler tauschen Kastanien gegen Süßigkeiten
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Sammler tauschen Kastanien gegen Süßigkeiten

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Foto: Matin Gausmann/Martin Gausmann

Schon vor der Pandemie hatte Haribo zu kämpfen. 2018 ist der Umsatz deutlich eingebrochen. Hat sich das Unternehmen von diesem Jahr erholt?

Patz: Es gab in der Tat einige Probleme, unter anderem mit der Umstellung auf die Software von SAP. Aber wir haben erfolgreich gegengesteuert. Es ging vor allem darum, uns wieder mehr auf unsere klassischen Produkte und Kernkompetenzen zu konzentrieren. Vegetarische Fruchtgummis und Süßigkeiten mit weniger Zucker haben für uns zwar  in der Nische durchaus weiter ihre Berechtigung. Vielleicht haben wir damals jedoch den Fehler gemacht, uns zu stark darauf zu konzentrieren. Die Mehrzahl der Kunden kauft unsere Produkte in dem Wissen, dass es sich um Zucker handelt und will das auch so genießen. Das anzuerkennen, hat unsere Lage deutlich verbessert. 2019 lagen wir sogar über unserem ursprünglichen Ziel von drei Prozent mehr Umsatz.

Wie haben sich die Erträge entwickelt? Die Gemeinde Grafschaft erwartet für das laufende Jahr deutlich weniger Gewerbesteuer, und Haribo ist hier der wichtigste Steuerzahler.

Patz: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu Zahlen grundsätzlich nicht äußern.

Ist am Standort Grafschaft nach dem Produktionsstart 2019 heute die volle Kapazität erreicht?

Patz: Als Familienunternehmen plant man nicht für morgen, sondern für Generationen. Das gilt auch für den Standort Grafschaft. Hier können wir weiter wachsen und haben uns damit auch zu der Produktion in Deutschland bekannt. Heute laufen hier in beachtlichen Mengen unter anderem Goldbären und Colaflaschen vom Band. Alle Maschinen, die installiert wurden, sind ausgelastet.

Wie geht es in Kessenich nach dem Umzug weiter?

Patz: Da die Verwaltung nun in Grafschaft arbeitet, sind die Büros vermietet. Aber die Produktion läuft in Kessenich nach wie vor und das soll auch so bleiben. Bonn ist ein Traditionspunkt unserer Geschichte, dem wir stets verbunden sein werden.

100 Jahre nach der Gründung von Haribo – Was ist die Strategie für das nächste Jahrhundert?

Patz: Die verraten wird nicht. Aber wir fokussieren uns erst einmal weiter auf unsere Produktgruppe Fruchtgummi  und stellen Evolution vor Revolution. Einen Haribo-Schokoriegel sehe ich zum Beispiel  nicht. Aber wir befassen uns in Grafschaft mit einer Forschungsabteilung intensiv mit der Weiterentwicklung unserer Produkte.

Wie kann man sich die Versuchsküche von Haribo vorstellen?

Patz: Es gibt ein Entwicklungs- und Prüflabor sowie einen eigenen Sensorik-Raum. Hier testen wir nicht nur neue Produkte, sondern entwickeln auch bestehende Süßigkeiten weiter. Um die Ergebnisse zu beurteilen, probieren auch unsere Mitarbeiter die Entwicklungen. Die meisten kennen sich sehr gut mit Fruchtgummi aus und wir hören genau auf ihr Urteil. Manche von ihnen sind speziell sensorisch geschult.

Was ist die Rolle der Gründerfamilie? Stimmen Spekulationen, dass Holding-Geschäftsführer Hans-Guido Riegel sich in das Aufsichtsgremium zurückziehen möchte?

Patz: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass Haribo ein klassisches Familienunternehmen ist, auch wenn es wegen seiner Größe nach außen wie ein Konzern wirken mag. Die Familie Riegel ist täglich im Unternehmen präsent und für die Mitarbeiter ansprechbar. So nehme ich die Zusammenarbeit wahr. Hans Guido Riegel ist außerdem maßgeblich mit der Internationalisierung des Unternehmens befasst.

In den USA will Haribo ein großes Werk aufbauen. Ursprünglich sollte die Produktion noch in diesem Jahr starten. Was ist der aktuelle Stand?

Patz: Bei einem Projekt dieser Größe ergeben sich immer wieder Änderungen im Zeitplan. Aber die Baugenehmigung ist nun erteilt und die USA sind für uns ein hochinteressanter Markt, in dem wir bereits Marktführer bei Fruchtgummi sind. Des weiteren sehen wir „white spots“ wie beispielsweise in Asien, auf die wir uns bei der Globalisierung konzentrieren.

Durch das Coronavirus ist die Globalisierung ins Stocken geraten. Auch für Haribo?

Patz: Als Konsumgüterhersteller produzieren wir oft vor Ort. Das ist in dieser Situation ein Vorteil. Aber auch wir hatten gerade zu Anfang der Pandemie Herausforderungen im Alltag etwa mit geschlossenen Grenzen. Grundsätzlich wird sich die Frage stellen, ob sich durch die wirtschaftliche Lage in einigen Ländern auch der Konsum verändern wird.

Mögen die Menschen weltweit die gleichen Süßigkeiten?

Patz: Da gibt es regional klare Unterschiede. Das fängt innerhalb Deutschlands an, wo die Norddeutschen Lakritz lieben und die Süddeutschen andere Produkte bevorzugen. In Europa gilt: Je südlicher, desto süßer. Die Spanier essen etwa gerne kandierte Gummibärchen. In China ist dagegen Fruchtgummi mit Geschmackssorten von blauen Beeren beliebt, da zum Beispiel Johannisbeeren als besonders gesund gelten.

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