Interview zur Deutschen Post Andrea Kocsis: "Die Post ist kein Sanierungsfall"

Bonn · Andrea Kocsis, stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates, spricht im GA-Interview über die jüngsten Entwicklungen in dem Bonner Konzern und die Gewinnwarnung im Paketbereich.

 Ein Paketzusteller scannt im Frachtzentrum der Deutschen Post Sendungen für seinen Zustellbezirk ein, um sie anschließend einzuladen. FOTO: DPA

Ein Paketzusteller scannt im Frachtzentrum der Deutschen Post Sendungen für seinen Zustellbezirk ein, um sie anschließend einzuladen. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Daniel Karman

Erst eine Gewinnwarnung, dann muss ein Vorstandsmitglied gehen: Was ist bei der Post los?

Andrea Kocsis: Wir hören von unterschiedlichen Einzelmaßnahmen wie dem Vorruhestand für Beamte. Es wird gesagt, dass es Umstrukturierungen im Unternehmensbereich für Briefe, Pakete und E-Commerce geben soll, um die Produktivität zu erhöhen. Deswegen soll es zu Veränderungen kommen. Konkrete Pläne liegen uns noch nicht vor.

Wer hat denn nicht aufgepasst, so dass es in der Kernsparte PeP (Post, E-Commerce, Pakete) zu massiven Problemen kommen konnte?

Kocsis: Ich glaube nicht, dass es massive Probleme gibt. Die Post ist kein Sanierungsfall. Es gibt keine Krise des Unternehmens. Die Gewinnsteigerungen fallen nicht so umfangreich aus wie vom Vorstand prognostiziert. In diesem Zuge will das Unternehmen auch Geld verwenden, um in Umstrukturierungsprozesse investieren zu können. Es wurde nichts versäumt. Es sollen jetzt größere Veränderungsschritte unternommen werden.

Wie stufen Sie die Rolle von Konzernchef Frank Appel rund um die Abberufung von Jürgen Gerdes im Vorstand ein? Noch im April hatte er Gerdes als Erfolgsmanager und Innovator gelobt. Dann kreidete er ihm den Gewinneinbruch von fast einer Milliarde Euro an.

Kocsis: Herr Dr. Appel hat sich intensiver mit dem PeP-Bereich befasst, nachdem er nach dem Wechsel von Jürgen Gerdes direkt dafür zuständig war. Vermutlich hat er dabei wahrgenommen, dass dort mehr angepackt werden muss, als bisher geplant war. Dass die Kosten im PeP-Bereich steigen, ist aus meiner Sicht absehbar gewesen, weil mehr Aufwendungen für Transport und Personal erforderlich werden. Die Infrastruktur muss bei Wachstum immer wieder angepasst werden.

Hätte der Aufsichtsrat die Probleme früher erkennen können?

Kocsis: Wenn ein Unternehmen wie die Post Gewinnziele formuliert, dann macht das der Vorstand. Der Aufsichtsrat hat eine Kontrollfunktion und führt nicht das operative Geschäft. Der Aufsichtsrat ist also auch auf die Information des Vorstandes angewiesen. Daran hatten wir keinen Grund zu zweifeln. Ich kann deshalb nicht sagen, dass etwas früher zu erkennen war.

Als wesentliche Verursacher der Misere des Paketgeschäfts gelten Amazon und Zalando. Zum einen der Preisdruck, den Großkunden entfachen, zum anderen der Aufbau des eigenen Zustellservices durch Amazon. Für wie gefährlich halten Sie die Entwicklung?

Kocsis: Es gibt eine Entwicklung in der Branche, die auf alle Unternehmen Auswirkung hat: Alle Firmen finden zu wenig Personal, das dauerhaft motiviert bei ihnen bleibt. Deshalb müssen alle Paketdienstleister investieren und gute Arbeitsbedingungen bieten. Besonders die Firmen ohne fest angestellte Mitarbeiter haben Probleme. Ich erinnere an Hermes, wo bei Kontrollen Schwarzarbeit entdeckt wurde. Es gab dort auch Auslieferungsfahrzeuge, die gar nicht in Deutschland zugelassen waren. Amazon wird diese Personalfindungsprobleme genauso haben.

Das Maßnahmenpaket der Post umfasst eine weitere Automatisierung und Digitalisierung des Brief- und Paketgeschäfts. Vor allem die Haustürzustellung will Appel professioneller organisieren. Hilfe oder Gefahr für die Mitarbeiter?

Kocsis: Es ist für alle Postdienstleister wichtig, dass eine Zustellung beim ersten Versuch klappt. Alles andere wird für sie teurer. Deshalb arbeiten auch alle daran, dass der erste Zustellversuch besser klappt, beispielsweise über digitale Benachrichtigungen mit der voraussichtlichen Zustellzeit.

Müssen Kunden, die sich eine Bestellung an die Haustür schicken lassen, bald mehr bezahlen als Paketempfänger, die die Sendung in einem Paketshop abholen?

Kocsis: Die Post ist über die Universaldienstverordnung verpflichtet, an der Haustür zuzustellen. Andere Paketdienstleister könnten sich natürlich neue Geschäftsmodelle einfallen lassen. Ich bin aber überzeugt, dass das hohe Paketwachstum damit zusammenhängt, dass die Pakete an die Haustür geliefert werden. Das ist einfach sehr praktisch. Wenn ich es irgendwo weiter entfernt abholen soll, kann ich ja gleich in ein Geschäft gehen, um die Sachen direkt zu kaufen.

Kernelement der von der Post genannten Veränderungen ist ein Vorruhestandsprogramm, das sich an Beamte richtet und zunächst 500 Millionen Euro kostet. Ist das ein sinnvoller Ansatz angesichts des Fachkräftemangels?

Kocsis: Menschen in den Vorruhestand zu schicken, ist sinnvoll, wenn man keine Arbeit mehr für sie hat. Von dieser Frage wird es abhängen. Menschen ohne Arbeit am Fenster sitzen zu lassen, ist keine gute Lösung. Den Vorruhestand wird es nicht in der Paket- und Briefzustellung geben, weil dort Personal gesucht wird. Die Post will die Anforderungen an Stellenbeschreibungen bei Leitungsfunktionen überprüfen und sehen, ob dort Arbeit wegfallen kann. Wir haben noch keine Informationen darüber, was sich genau verändern soll.

Vor einigen Wochen machte die Praxis der Post Schlagzeilen, dass die Leiter von Niederlassungen des Konzerns Verträge für Zusteller nur eigenständig entfristen dürfen, wenn diese in den zwei Jahren davor nicht mehr als 20 Fehltage hatten. Wie geht es nach der breiten Welle der Kritik damit jetzt weiter?

Kocsis: Uns ist mehrfach versichert worden, dass diese Kriterien als Orientierung dienen. Die Niederlassungsleiter haben aber die Freiheit, auch schon nach sechs Monaten über eine Entfristung zu entscheiden. Das ist uns mehrfach zugesichert worden.

Die Post sagt, sie habe in Absprache mit Verdi 2017 rund 9000 Arbeitsverhältnisse entfristet. Wird es 2018 Entfristungen in ähnlicher Größenordnung geben?

Kocsis: Dafür werden wir uns als Verdi weiterhin nachdrücklich einsetzen. Überall aus Deutschland erhalten wir die Signale, dass es Personalrekrutierungsprobleme gibt. Damit sind die Zeiten vorbei, wo man Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen abspeisen konnte. Heute gibt der Arbeitsmarkt auch für Ungelernte eine ganze Reihe anderer Beschäftigungsmöglichkeiten her.

Was ist eigentlich aus den Plänen der Post geworden, einen Gemeinschaftsbetrieb einzuführen, damit die Paketzusteller aus der Muttergesellschaft mit den Delivery-Mitarbeitern zusammenarbeiten?

Kocsis: Die Post arbeitet weiter daran. Der Konzernbetriebsrat ist in ein Beteiligungsverfahren eingebunden, ist aber genauso wie Verdi dagegen, die Gemeinschaftsbetriebe einzuführen. Menschen mit unterschiedlichen Tarifverträgen für dieselbe Tätigkeit unter einheitliche Leitung zu stellen, ist ein Politikum. Das Betriebsverfassungsgesetz wurde 2001 geändert, um betriebsratsfreie Räume zu verhindern. Hier wird das Gesetz ausgenutzt, um Menschen mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen nebeneinander in einem Betrieb arbeiten zu lassen. Verdi ist davon überzeugt, dass eine effektive Integration der Beschäftigten der DHL Delivery Regionalgesellschaften in einen Betrieb der Deutschen Post AG nur über den Weg der Integration der Beschäftigten in die Tarifverträge der Deutschen Post AG erreicht werden kann.

Steht das Thema in der Bundespolitik auf der Tagesordnung?

Kocsis: Nein, es spielt dort bisher keine Rolle. Wir werden es sicherlich ansprechen. Es wurde ja das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert, um Equal Pay – also gleiche Bezahlung – durchzusetzen, damit es nicht unterschiedliche Löhne für die gleiche Tätigkeit gibt. Die Post nutzt das Betriebsverfassungsgesetz jetzt aus, um genau einen solchen Zustand herzustellen. Das ist nicht akzeptabel.

2017 haben Sie kritisiert, dass die Post aus den Delivery-Gesellschaften heraus Aufträge an Dritte fremd vergibt, also nicht nur mit tarifgebundenen Mitarbeitern arbeitet.

Kocsis: Die Post macht das immer noch. Aber es fällt der Post immer schwerer, dort Subunternehmer zu finden, die ihren Qualitätsanforderungen genügen. Auch Subunternehmen aus Osteuropa stehen nicht mehr Schlange, um hier arbeiten zu dürfen.

Die Post will jetzt mehr Zusteller auch ohne Ausbildung fest anstellen. Stößt das auf Interesse?

Kocsis: Die Post hat jedes Jahr die Mehrheit der Zusteller ohne Ausbildung angestellt. Sie hat sich bisher aber verpflichtet, eine bestimmte Zahl an Fachkräften für Kurier-, Express- und Postdienste auszubilden. Das hat sie jetzt zurückgefahren. Wir haben das kritisiert, weil wir Ausbildung für eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe halten, die sich auch für die Ausbildungsunternehmen auszahlt. Wir glauben, dass es eine stärkere Bindung zum Unternehmen gibt, wenn man eine Ausbildung dort macht.

Haben Sie Ergebnisse des Markttests erfahren, den die Post bei der Briefzustellung macht? Kunden konnten wählen, ob sie Briefe als Sammelzustellung an einem Wochentag, an drei Wochentagen oder an fünf Tagen an den Arbeitsplatz geliefert bekommen wollten.

Kocsis: Nein. Wäre der Test zu Ergebnissen gekommen, die der Post gefallen, hätten wir sicherlich davon gehört.

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