Flüchtlinge in Bonn und der Region Ausgebildet für ein neues Leben

Bonn · Ein Praktikum oder eine Ausbildung zu machen, ist für junge Flüchtlinge wie Zardar Rustami, der in einem Bornheimer Supermarkt ein Praktikum macht, oft eine große Chance. Doch die bürokratischen Hürden dafür sind noch zu hoch, wie die Industrie- und Handelskammern NRW kritisieren.

 Arbeitsbeginn um 6.30 Uhr: Ali Najimi hilft morgens dabei, Briefe zu sortieren.

Arbeitsbeginn um 6.30 Uhr: Ali Najimi hilft morgens dabei, Briefe zu sortieren.

Foto: Kristina Wollseifen

Morgens um zehn beginnt sein Arbeitstag: Zardar Rustami räumt Waren in die Regale, nimmt Leergut an und füllt Obst und Gemüse in der Auslage auf. „Suchen Sie etwas? Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragt der 20-Jährige die Supermarktkunden. Markus Breuer, Betreiber des Edeka-Marktes in Bornheim, ist stolz, wenn er sieht, mit wie viel Elan Zardar an die Arbeit geht. Der junge Mann freut sich über die Chance, ein Jahrespraktikum bei ihm zu machen. Denn vor nicht allzu langer Zeit sah sein Leben noch ganz anders aus: Zardar hat vor acht Jahren seine afghanische Heimat verlassen, zunächst im Iran gearbeitet, dann ist er über Griechenland nach Deutschland geflohen. Seit über zwei Jahren lebt der 20-Jährige nun im Rhein-Sieg-Kreis, mittlerweile in einer Zweier-WG in Bornheim.

Zardar Rustami ist einer von Tausenden Flüchtlingen, die in den vergangenen Jahren in Deutschland angekommen sind. 2015 sind allein 250 000 Menschen nach Nordrhein-Westfalen gekommen, wie die Industrie- und Handelskammern (IHK) in NRW mitteilen. Ein Großteil von ihnen werde in Deutschland bleiben und sich eine neue Existenz aufbauen. Damit das gelingt, fordert die IHK in einem Positionspapier den Ausbau des Sprachunterrichts sowie eine bessere Eingliederung in das deutsche (Aus-)Bildungssystem.

Zardar könnte als Musterbeispiel gelten: Dreimal pro Woche steht er im Supermarkt, an den anderen beiden Tagen drückt er die Schulbank. Christoph Scheele, der am Friedrich-List-Berufskolleg in Bad Godesberg für die Internationalen Förderklassen zuständig ist, hat ihm bei der Praktikumsvermittlung geholfen. „Ich freue mich so, dass ich hier arbeiten kann und meine Zeit nicht mit Nichtstun vergeude“, erklärt der junge Mann. Deshalb kommt er auch samstags in den Supermarkt, um sich noch etwas dazu zu verdienen. Aber einfach war es nicht gerade, all die bürokratischen Hürden zu nehmen, erinnert sich Marktleiter Breuer. Aber das habe er gerne in Kauf genommen, um den jungen Mann, der bisher den Duldungsstatus hat, zu unterstützen: „Er ist eine Bereicherung für das ganze Team“, sagt Breuer.

Seine einzige Bedingung war, dass Zardar nach dem Praktikum eine Ausbildung zum Verkäufer bei ihm machen soll – damit er eine Perspektive hat. „Ich muss aber im Deutsch schreiben und lesen noch besser werden“, sagt Zardar. Deutsch zu sprechen ist kaum ein Problem, neben dem afghanischen Paschtunisch spricht er auch Persisch, Griechisch und Englisch.

Die deutsche Sprache gilt als Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. Vor allem Praktika seien eine gute Chance, um erste Erfahrungen in verschiedenen Berufsfeldern zu sammeln, erklärt die IHK NRW. Doch engagierte Unternehmer scheiterten oft an bürokratischen Hürden. Die IHK möchte das ändern.

Halbierte Sozialversicherungsbeiträge für gering Qualifizierte, ein zeitweiser Ausschluss vom Mindestlohn oder Lohnkostenzuschüsse sollen die Einstellung von Flüchtlingen attraktiver machen. Zudem soll Unternehmen, die Flüchtlinge ausbilden, garantiert werden, dass deren Aufenthaltstitel während der Ausbildungszeit und zwei Jahre danach Bestand hat.

Ali Najimi muss sich darum keine Sorgen mehr machen. Der Afghane, der in der iranischen Hauptstadt Teheran aufgewachsen ist, hat eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Seit August 2015 macht er eine Ausbildung zum Briefträger bei der Deutschen Post in Bonn. Morgens um 5 Uhr steht er auf, um seinen Arbeitstag um 6.30 Uhr in Bonn-Buschdorf zu beginnen. Briefe sortieren, in den Wagen räumen, sich aufs Rad schwingen, und die Post in Tannenbusch austragen – dass das ein Beruf ist, der ihm Spaß machen könnte, haben ihm damals seine Lehrer schon gesagt. „Kaltes Wetter macht mir nichts aus, ich hatte genug warmes“, erklärt der 22-Jährige. „Ich bin sehr gerne draußen unterwegs.“ So trifft er auch immer wieder neue Menschen und lernt ihre Geschichten kennen.

Da Ali noch in der Ausbildung ist, darf er die Briefe und Pakete nicht alleine austragen. Er ist froh, dass ihm ein erfahrener Kollege hilft, gerade beim Ausfüllen der Postzustellungsurkunden ist er manchmal unsicher. Ab und an ist es auch die Sprache, die ihm noch im Wege steht, aber seine Mitschüler am Friedrich-List-Berufskolleg helfen ihm dann.

„Ali setzt die Anforderungen genauso um wie alle anderen Auszubildenden“, sagt sein Ausbilder Günter Reingen. „Ich versuche ihn wie alle anderen durch die Ausbildung zu bringen.“ Das manchmal aber auch mit etwas mehr Nachsicht, wenn es etwa Verständnisprobleme gibt. Nach seiner Ausbildung möchte Ali weiter für die Post arbeiten. „Ich will in Deutschland bleiben und eine Familie gründen“, fasst der 22-Jährige seine Zukunftswünsche zusammen.

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