Fachgeschäfte in Bonn "Beratungsdiebstahl" ärgert Händler

BONN · Viele Händler in Deutschland klagen seit Jahren über "Beratungsdiebstahl". Gemeint ist: Der Kunde lässt sich im Fachgeschäft ausführlich über Kameras, Fernseher oder Outdoor-Textilien beraten und verlangt dann die gleichen Konditionen wie im Netz - oder kauft lieber gleich online. Wie am besten damit umzugehen ist, darüber rätselt die Branche.

"Wenn ich von einem Kunden gefragt werde, ob zum Beispiel ein bestimmter Schlafsack das Richtige für ihn ist, ich den aber nicht führe - dann muss ich das Modell aber trotzdem kennen. Das verstehe ich unter Beratungsqualität, und nur so kann ich den Kunden optimal beraten."

Diane Frese, Inhaberin des Outdoor-Spezialisten Steppenwolf in der Bonner Friedrichstraße, erläutert ihre Sicht auf das Verhältnis von Online- und stationärem Handel. Das Problem: Viele Kunden nutzen das Knowhow des stationären Handels als Gratis-Informationsangebot, um dann im Internet günstiger zu bestellen.

Christine Kesper, Inhaberin von Fahrrad Hübel in Oberkassel: "Natürlich ist das ein Problem. Aber unsere Existenz ist deshalb nicht gefährdet, weil wir in einem beratungs- und serviceintensiven Markt unterwegs sind. Auch bei uns ist es schon vorgekommen, dass sich ein Kunde über eine Stunde beraten lässt und sich dann mit den Worten ?Super, jetzt weiß ich ja, was ich mir im Internet bestellen muss' ganz herzlich für die exzellente Beratung bedankt. Das ist aber eher die Ausnahme. Manchen Kunden ist einfach nicht klar, dass wir nur so gut beraten können, weil wir gut ausgebildetes Personal haben und sie die Beratung über den Preis mitbezahlen."

Das sieht Roland Tros, Inhaber des Tauchladens Dive Buddy in der Beueler Rathausstraße, ähnlich: "Der Umsatz, den wir mit dem Verkauf von Equipment machen, ist dank des Onlinehandels von 70 auf 30 Prozent gefallen. Das kann man nur auffangen, indem man sein Geld vermehrt mit Dienstleistung verdient. Die Kunden machen bei uns einen Tauchkurs oder buchen Events und Reisen." Auch Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) kennt die Problematik. Doch er weist auch auf Veränderungen hin. "Das Problem des Beratungsklaus hat sich in den vergangenen Jahren erheblich reduziert", meint er.

Hatten sich 2011 die Verbraucher noch bei mehr als einem Viertel der Internet-Einkäufe im stationären Handel Informationen beschafft, so sei dies inzwischen nur noch bei gut jedem zehnten Internet-Einkauf der Fall. Doch ein Grund für Entwarnung sei das nicht - im Gegenteil. "Der Rückgang ist letztlich darauf zurückzuführen, dass die Verbraucher heute mehr Vertrauen zu den Online-Händlern haben", meint er. Früher hätten die Kunden die Produkte erst noch sehen und anfassen wollen, bevor sie online bestellten. "

Internet ist aber nicht nur Fluch...

Aber inzwischen haben Zalando, Amazon und Co. gezeigt, dass das gar nicht nötig ist. Denn man kann die bestellte Ware ja einfach zurückschicken, wenn sie nicht gefällt." Das aber sei für die Ladengeschäfte auf Dauer eigentlich noch schlimmer als der Beratungsklau. "Viele Kunden kommen gar nicht mehr in den Laden - nicht einmal zum Schauen", beschreibt Hudetz die Gefahr. In den USA habe sich in den vergangenen vier Jahren die Besucherfrequenz vieler Geschäfte im Vorweihnachtsgeschäft halbiert.

Und auch in Deutschland klagten inzwischen immer mehr Geschäfte über sinkende Kundenzahlen. Doch das Internet ist für den stationären Handel nicht nur Fluch, sondern auch Segen. Etwa ein Drittel der Käufer in den Läden hätten ihre Einkaufstouren zuvor im Internet vorbereitet, betont Kai Falk vom Handelsverband Deutschland (HDE). Und Hudetz schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er sagt: "Jede Menge Leute informieren sich im Amazon-Shop und kaufen dann doch im Laden." Für die betroffenen Fachgeschäfte ist dies allerdings kaum ein Trost, wenn wieder einmal ein Kunde von ihrem Know-how profitieren, dafür aber nicht zahlen will.

Münchner Fotohändler lässt sich Beratung bezahlen

Einen ganz eigenen Weg im Umgang mit den unberechenbaren Kunden geht deshalb der Münchner Fotohändler Stefan Wilhelm. In seinem Geschäft am Münchner Marienplatz verlangt er inzwischen für die Beratung bares Geld von den Kunden, um den Schnäppchenjägern nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Je nach Umfang kostet eine Beratung zwischen fünf und 25 Euro. Wer bei Wilhelm dann etwas kauft, bekommt das Geld zurück. Der Schritt sei riskant. Und er sei wohl nicht unbedingt ein Patentrezept für andere Händler, meint Wilhelm. Doch am Marienplatz habe er sich ausgezahlt: "Die Leute kommen und zahlen freiwillig ohne Muh und Mäh."

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