Bewährungsprobe in Rheinbacher Aldi-Filiale
Am Abend fällt Sarah Havertz (21) schachmatt ins Bett. Ihr Tagwerk ist geschafft. Während ihre 19-jährige Kollegin Esmac Koc deutlich schlechter einschläft. Denn am nächsten Morgen ist sie dran: Fünf Uhr aufstehen, sechs Uhr Dienstbeginn.
Rheinbach. Am Abend fällt Sarah Havertz (21) schachmatt ins Bett. Ihr Tagwerk ist geschafft. Während ihre 19-jährige Kollegin Esmac Koc deutlich schlechter einschläft. Denn am nächsten Morgen ist sie dran: Fünf Uhr aufstehen, sechs Uhr Dienstbeginn.
Von da an ist sie die Chefin für eine Schicht. Gemeinsam mit ihren vier Azubi-Kollegen leitet sie die Aldi-Filiale in der Meckenheimer Straße in Rheinbach.
"Als Auszubildender arbeitet man alle Aufgaben nacheinander ab, als Filialleiter macht man alles parallel und ist für alles verantwortlich", sagt Sarah Havertz, die wie ihre Kollegen im dritten Lehrjahr beim Handelsriesen Aldi Süd über sechs Wochen mit zwölf Mitstreitern im Wechsel die Rheinbacher Filiale leiten.
"Als Filialleiter gibt man zu den sonst 100 Prozent noch einmal zehn Prozent drauf", schildert Philipp Förster (21) die neue Herausforderung. Mit Warenbestellung, Geldabwicklung und Personaleinsatzplänen ist es nicht getan. Führungskräfte müssen auf viele Details achten, wenn der Laden laufen soll.
Azubis als Chefs: Das gehört in vielen Handelshäusern wie beispielsweise Aldi, Lidl, Rewe und der Drogeriemarktkette dm zur Ausbildung. Und es ist offenbar mehr als nur eine Motivationspille für ambitionierte Lehrlinge und Bewerber. Es dient auch der Rekrutierung künftiger Führungskräfte. Denn der Markt für gutes Personal wird - allein wegen der Bevölkerungs-Entwicklung - enger werden. "Gute Mitarbeiter zu finden, ist jetzt schon schwer", sagt Aldi-Regionalverkaufsleiterin Andrea Dürselen, die die Regie über das Azubi-Projekt führt.
"Der Einsatz von Auszubildenden als Filialleiter kann sehr sinnvoll und motivierend sein", urteilt Ulrich Dalibor, zuständig für den Einzelhandel bei der Gewerkschaft Ver.di. Dies gelte aber nur, "wenn sie die Sicherheit haben, dass sie zu jeder Zeit jemanden fragen und um Hilfe bitten können". Denn, so der Verdi-Experte, "Ausbildung ist immer eine Bringschuld des Ausbilders und nicht eine Holschuld des Auszubildenden".
Michael Theisen, der sonst die Rheinbacher Aldi-Filiale führt, steht den angehenden Kaufleuten im Einzelhandel immer zur Seite, wenn sie es wünschen. Oberste Devise sei allerdings, die Probleme selbst zu lösen. "Als neulich viel Schnee lag und die Auszubildenden vergessen hatten zu streuen, sagte ich nur 'Viel Schnee heute'. Und schon sagte jemand: 'Ach, wir müssen streuen'." Als eine Tür nicht schloss, fragte der 45-jährige erfahrene Filialleiter, was die Nachwuchskräfte an seiner Stelle tun würden. "Und dann findet sich immer eine Lösung."
Für den echten Chef ist die neue Situation in der zweiten Reihe "entspannend". Weil alles nach seinen Vorstellungen klappt: Die Kunden finden, was sie suchen, und die Stammbelegschaft soll, wenn sie zurückkehrt, ihren Arbeitsplatz unversehrt vorfinden. Beides scheint zu gelingen. Theisen lobt die Azubis: "Die treten immer als Team auf. Und nur so geht's." Auch die Kunden reagieren nach seinen Angaben durchweg positiv. Viele erkundigten sich auch nach dem Verbleib des Stammpersonals.
Das kommt Mitte März wieder. Bis dahin zeigen die Azubis, was sie gelernt haben. Auch wenn sie - vor allem die frisch gekürten Chefs - am Abend spürbar müder sind als alle anderen Team-Kollegen.