Abgasskandal von VW Bonner Diesel-Prozesse gehen zugunsten der Kunden aus

Bonn · Vor deutschen Gerichten sind derzeit überall Verfahren von Diesel-Kunden anhängig. Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Köln enden oft mit einer außergerichtlichen Einigung. In Bonn gibt es eine andere Tendenz.

Für Stefan Bellin, Vorsitzender Richter der 1. Zivilkammer am Landgericht Bonn, ist es ein Vormittag, wie er ihn derzeit öfter erlebt. Zunächst stehen vier Verhandlungen im Zusammenhang mit dem VW-Diesel-Skandal an. Der Fahrer eines Porsche Cayenne Diesel V6 TDI 3.0 hat das Porsche Zentrum Bonn verklagt. In seinem Auto steckt ein Motor mit der Typenbezeichnung EA 897evo, bei dem der Eigentümer davon ausgeht, dass die Motorsteuerung über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt.

Danach ruft Bellin drei weitere Verfahren auf, in denen Autobesitzer den Volkswagen-Konzern verklagt haben. Diese Verfahren sind aus verschiedenen Gründen noch nicht entscheidungsreif. Bellin rät jeweils dem Rechtsanwalt der beklagten Partei, über ein Vergleichsangebot nachzudenken. Und setzt Verkündungstermine für den 27. März an. Später am Vormittag wird er einen weiteren VW-Eigentümer, der gegen den Konzern geklagt hat, wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung Schadensersatz nach Paragraf 826 BGB zusprechen.

Vor deutschen Gerichten sind derzeit überall Verfahren von Diesel-Kunden anhängig. Beim VW-Konzern ist von 40.000 Verfahren die Rede. Und sie gehen durchaus unterschiedlich aus.

449 Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Köln

In Bonn gibt es allerdings eine einheitliche Tendenz der Urteile am Landgericht. Es gehen derzeit alle Verfahren, die Eigentümer von Diesel-Fahrzeugen mit EA 189 Motor, in dem die unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, gegen den VW-Konzern anstrengen, zugunsten der Kunden aus, hat Gerichtssprecher Tobias Gülich nach einer Abfrage bei allen zuständigen Kammern ermittelt. Begründung: Der Konzern habe sich einer sittenwidrigen Schädigung nach Paragraf 826 BGB schuldig gemacht. Uneinheitlicher ist am Bonner Landgericht das Bild, wenn Diesel-Kunden den Händler, der ihnen das Fahrzeug verkauft hat, verklagen.

In der Regel geht Volkswagen in Berufung, wenn ein Urteil am Landgericht gegen den Konzern gefallen ist. Dann landen die Bonner Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Köln. Dort sind in den Jahren 2016 bis 2018 insgesamt 449 Berufungszivilverfahren eingegangen, an denen die Volkswagen AG beteiligt ist, berichtet Ingo Werner, Sprecher des OLG. Ob es sich ausschließlich um Dieselklagen im Abgasskandal handelt, kann er nicht mit Sicherheit sagen. Auch lässt sich für das OLG nicht ermitteln, wie viele weitere Dieselklagen sich gegen VW-Händler richten. Von den 449 Verfahren seien 190 beendet. Und sie enden überwiegend ohne Urteil. VW bietet vielen klagenden Kunden Vergleiche an.

„Ich kann bestätigen, dass nur in einem kleinen Bruchteil dieser Verfahren tatsächlich instanzabschließende Entscheidungen getroffen worden sind“, sagt Richter Werner. Von den beendeten Verfahren seien beim OLG 79 Verfahren unter „Rücknahme der Berufung“ und bei 84 unter „Zurücknahme der Klage oder des Antrags“ notiert. Damit haben die Kölner OLG-Richter keinen Überblick mehr, welchen Inhalt die außergerichtlichen Einigungen haben. Für andere klagende Kunden führt das dazu, dass es wenig Gerichtsurteile gibt, auf die sie sich berufen können.

Volkswagen weist darauf hin, dass in den Abgas-Verfahren rund 12.400 Urteile ergangen seien, die überwiegend zugunsten von VW oder der verklagten Händler ausgegangen seien.

Große Kanzleien, die viele Kläger in Diesel-Verfahren vertreten, sehen allerdings den Verfahrensstand auf ihrer Seite: „Bisher waren alle abgeschlossenen Verfahren – durch Urteil oder Vergleich – erfolgreich“, heißt bei der Düsseldorfer Kanzlei Rogert und Ulbrich, die mehrere tausend Klagen betreut. Es suchen in Zukunft noch weitaus mehr Besitzer von Volkswagen-Autos mit manipulierter Abgassteuerung ihr Recht: Mehr als 300.000 haben sich der im vergangenen Jahr geschaffenen Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen. Sie müssen erst anschließend individuell ihr Recht einklagen.

Andere Autofahrer, die ihr Fahrzeug auf Kredit gekauft oder geleast haben, versuchen, durch den Widerruf eines Kfz-Darlehens die Rückabwicklung des Autokaufs zu erwirken. „In den allermeisten Kreditverträgen sind die Widerrufsbelehrungen fehlerhaft“, sagt Roland Klaus, Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf. Aufgrund dieser Fehler beginne die Widerrufsfrist für das Darlehen nicht zu laufen. Die Kredite können Jahre nach Abschluss noch vom Kunden widerrufen werden.

Wie Klaus erläutert, nutzen Verbraucher diesen „Widerrufsjoker“ schon seit Jahren, um aus laufenden Baufinanzierungen auszusteigen. Wegen einer privaten Baufinanzierung habe er auch die Interessengemeinschaft gegründet. Durch beauftragte Rechtsanwälte seien mehr als 10.000 Finanzierungsverträge geprüft worden, rund die Hälfte in Sachen Diesel-Verfahren.

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