Chemiepark in Leverkusen Covestro liefert Komponenten für Matratzen aus Kohlendioxid

Leverkusen · Kunststoffhersteller produzieren auf Basis von Erdöl. Die Bayer-Ausgründung Covestro experimentiert mit alternativen Grundstoffen.

Ein Ausflug in den Chemiepark Leverkusen beginnt mit der Sicherheit. Schutzbrille, Atemmaske und ein chemisches Dosimeter händigt Covestro-Betriebsleiter Ralph Weber der Besucherin aus. Das Dosimeter sieht aus wie ein kleines Stoffquadrat, das an der Kleidung befestigt wird und im Falle des Falles den Arzt darüber informiert, welches giftige Gas ausgetreten ist.

Covestro produziert in Leverkusen HDI, eine Komponente für Autodecklacke, die sie widerstandsfähig gegen Sonne, Kratzer und Schmutz wie ätzenden Vogelkot macht. Kilometerlange Rohrleitungen in knalligem Grün, Gelb und Lila, Zu- und Ableitungen, die sich im Herz der Produktionsanlage zu einem Geflecht aus waage- und senkrecht verlaufenden Rohren verdichten. Mittendrin der Reaktor, eine Art riesiger Kessel, wo die chemischen Baustoffe des HDI so reagieren, dass das gewünschte Produkt am Ende herauskommt.

Die Anlage, die lediglich von einem Stahlgerüst eingefasst wird, wirkt wie ein lebender Organismus, der seine Adern offengelegt hat. Auf Gitterrosten, die nur schwindelfreie Menschen begehen können, geht es über mehrere Etagen und Treppen hinauf bis auf das Oberdeck in 30 Metern Höhe.

125 Jahre Bayer-Geschichte

Unter uns liegen 125 Jahre Bayer-Geschichte, in Sichtweite fließt der Rhein. Das Wuppertaler Chemieunternehmen verlegte einen Teil seiner Produktion Ende des 19. Jahrhunderts nach Leverkusen, das damals noch Wiesdorf hieß. Doch die Zeiten, als der Standort unter dem Namen „Bayerwerk“ firmierte, sind vorbei. Die Chemieindustrie ist im Wandel, die großen Konzerne spalteten sich in den vergangenen Jahren in kleinere Einheiten auf: Neben Bayer, das sich heute auf Agrochemie und Pharmaprodukte konzentriert, gibt es nun auch Lanxess und Covestro, die Bayers Kunststoffsparte fortführen.

Sie tun dies im 2008 eröffneten „Chempark“, der von einer eigenen Betriebsgesellschaft geleitet wird. Zu unseren Füßen, auf elf Quadratkilometern, haben sich in Hunderten alten und neuen Gebäuden über 200 Firmen angesiedelt, die 29.000 Mitarbeiter beschäftigten. Eine der 5000 Chemikalien, die vor Ort produziert werden, ist „Hexamethylendiisocyanat“, der bereits erwähnte Lackrohstoff HDI. Seine Grundkomponenten werden aus Erdöl gewonnen. „HDI ist klar wie Wasser“, erklärt Betriebsleiter Weber. Es unterscheidet sich nur durch seinen stechenden Geruch – und die Hochgiftigkeit.

Bei dem Wort fällt der Blick auf das Geländer, wo etwa alle zwei Ansaugventile ständig die Außenluft aufnehmen. So lässt sich unmittelbar der Austritt giftiger Gase feststellen. Als Vorsichtsmaßnahme muss beim Rundgang auch das Smartphone ausgestellt werden, um zu verhindern, „dass der Akku zur Zündfalle wird“, wie Weber erläutert.

Werden Grenzwerte überschritten, schaltet sich die Anlage ab

Werden Grenzwerte überschritten, schalte sich die Produktionsanlage automatisch ab, versichert er. Neben der Steuerung und Überwachung durch Computer gibt es aber noch eine menschliche Komponente: In der Messwarte sitzen rund um die Uhr Chemikanten vor großen Bildschirmen. Die wesentlichen Teile des Werks sind schematisch dort abgebildet. Sie geben einen Überblick über die Fertigung und den Abtransport des HDI. Die Farbe Magenta signalisiert Alarm. Voralarme tragen andere Farben, „die sind eine Hilfestellung, da kann der Techniker noch korrigierend eingreifen.“ Unterhalb der Decke hängt ein weiterer Bildschirm. Dorthin überträgt eine Live-Kamera, die das Innere einer Rohrleitung filmt. „So kann eine Verstopfung sofort erkannt werden“, sagt Weber.

Aber Covestro produziert nicht nur in Leverkusen, sondern entwickelt auch. Im Chemiepark in einem unscheinbaren Bürogebäude ist in einer riesigen Halle das Technikum untergebracht. Andreas Blachut hält ein rechteckiges Wabengitter aus Papier in der Hand. Covestro stellt daraus die Bodenabdeckung für den Kofferraum her, aber auch als Autodach ist es einsetzbar: „Zuerst kommt eine beidseitige Verstärkung mit Glasfasermatten, darüber eine Polyurethanbeschichtung“, erklärt der Verfahrenstechniker. Das Ergebnis ist federleicht, aber überraschend druck- und stoßfest. Polyurethane (PUR) mit ihren Hauptbestandteilen Polyole und Isocyanate hatte Otto Bayer 1937 entdeckt: PUR sind aus Erdöl gewonnene chemische Verbindungen, die zu so unterschiedlichen Materialien wie Schaumstoffe, Farben, Lacke, Klebstoffe, aber auch Hartkunststoffe verarbeitet werden.

Die Zukunft gehört nachhaltigen Kohlenstoffquellen, sagt Covestro

„Wir entwickeln die Produkte gemeinsam mit unseren Kunden“, erklärt Blachut. „Von der Idee bis zum fertigen Erzeugnis kann das mitunter zehn Jahre dauern.“ Auch Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer- und Max-Planck-Institute sowie Universitäten sind an dem Prozess beteiligt. Die jüngste Entwicklung ist der Einsatz von Kohlendioxid anstelle von Erdöl in der Schaumstoffherstellung. „Die Chemieindustrie braucht langfristig eine breitere Ressourcenbasis, um die begrenzten fossilen Rohstoffe zu schonen“, erklärt Vorstandsmitglied Markus Steilemann. „Die Zukunft gehört nachhaltigen Kohlenstoffquellen wie CO2 und Biomasse. Covestro sieht sich in dieser Hinsicht als Schrittmacher.“

Die Polyole, die nun aus CO2 hergestellt werden, entstehen aber nicht in Leverkusen, sondern werden in einer Anlage in Dormagen produziert, die erst im Sommer 2016 in Betrieb ging. Empfänger ist ein Matratzenhersteller in Schweden, der daraus Weichschaumstoff herstellt. Käuflich sind die Schlafunterlagen noch nicht. Sie seien noch in der Testphase, heißt es.

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