Interview mit Dietmar Schütz "Das System muss reformiert werden"

BONN · Mit Dietmar Schütz, dem Präsidenten des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, sprach Julian Stech.

Die Strompreise steigen und steigen. Und Sie sind schuld daran.
Dietmar Schütz: Die Umlage für die erneuerbaren Energien ist sicher einer der Kostentreiber. Das liegt aber auch daran, dass die stromintensiven Betriebe davon befreit sind. Auf sie entfällt immerhin ein Viertel des gesamten Stromverbrauchs. Wir sind ja dafür, dass Firmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, entlastet werden. Aber es werden zu viele entlastet. Sogar regionale Molkereien und Schlachtbetriebe sind dabei. Von den fünf Milliarden Euro, die die Wirtschaft derzeit jährlich bei der EEG-Umlage einspart, im nächsten Jahr sind es sieben Milliarden, könnte man eine Milliarde zurückholen.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir insgesamt immer mehr für Strom bezahlen sollen. Mit zweistelligen Zuwachsraten.
Schütz: Wenn man die Ausnahmen für die Industrie beschränkt, würde das zumindest die Privathaushalte entlasten.

Unterm Strich ist das aber keine Entlastung, wenn die Industrie mehr zahlt.
Schütz: Wir müssen aus dem jetzigen System raus, keine Frage. So wie das derzeit gesetzlich geregelt ist, sinkt der Strompreis an der Börse und die Privathaushalte müssen gerade deshalb immer mehr bezahlen, weil sich der Aufschlag aus der Differenz zu den Erneuerbaren berechnet.

Sind diese Subventionen denn überhaupt noch zeitgemäß?
Schütz: Wie bekommen Sie erneuerbare Energien sonst in den Markt hinein? Wenn sie gegen abgeschriebene Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke antreten sollen, haben sie keine Chance. Wir sind doch schon gewaltig vorangekommen bei den Preisen. Überlegen Sie einmal, wie stark die gesunken sind. Viel stärker als erhofft. Allerdings hätten wir bei Fotovoltaik die Vergütungen noch früher stärker absenken müssen, das war ein Fehler, der uns jetzt einholt.

Hinzu kommen die Netzprobleme, die die erneuerbaren Energien verursachen.
Schütz: Also das würde ich niedriger hängen. Die erneuerbaren Energien leisten schon heute einen wesentlichen Beitrag zur Netzstabilität.

Und die Befürchtungen zu Stromausfällen, wenn die Atomkraftwerke 2022 abgeschaltet werden?
Schütz: Dazu wird es nicht kommen. Die Erneuerbaren können die Systemaufgaben größtenteils erfüllen.

Was passiert mit den konventionellen Kraftwerken?
Schütz: Die sind nicht mehr finanzierbar. Wir brauchen aber auch immer weniger konventionelle Kraftwerke, allerdings einige als Reserve.

Das heißt, das kostet noch einmal viel Geld?
Schütz: Die Reservekraftwerke müssen in irgendeiner Form finanziert werden, auch wenn sie nur wenige Tage im Jahr benötigt werden. Der Strom, den sie dann liefern, kostet dann in kurzen Spitzenphasen bis zu einen Euro pro Kilowattstunde.

Wer bezahlt?
Schütz: Der Stromkunde. Der Stromkunde bezahlt alles. Bei den Erneuerbaren ist bereits alles drin, auch die externen Kosten, das Kohlendioxid, das bei uns gar nicht anfällt. Kohlekraftwerke werden dagegen künstlich entlastet, weil der CO2-Preis für die Emissionszertifikate niedrig gehalten wird. Der Preis liegt unter fünf Euro pro Tonne, die EU hatte mit 25 Euro gerechnet. Wenn Sie Marktpreise vergleichen, müssen Sie auch externe Kosten vergleichen, zum Beispiel auch der Atomkraft, die keine Haftungs- und Entsorgungskosten trägt.

Die Chinesen und US-Amerikaner lachen darüber, wie wir unsere Energie ohne Not verteuern.
Schütz: Wir haben uns in Europa entschieden, CO2 einzupreisen. Die Amerikaner machen nicht mit. Wir Deutsche haben uns auch entschieden, aus der Atomkraft auszusteigen. Das kostet natürlich Geld. Aber wir sind mit den erneuerbaren Energien schon deutlich wirtschaftlicher als noch vor Jahren. Die Lernkurve ist enorm.

Beim Bürger ist davon noch nichts angekommen.
Schütz: Dazu muss das System reformiert werden. Wenn die Preise für die CO2-Zertifikate steigen, wie wir das fordern und wie auch die EU das will, werden die Erneuerbaren wirtschaftlicher sein ...

... und wer bezahlt die teureren Zertifikate?
Schütz: Die Betreiber der fossilen Kraftwerke ...

... und am Ende doch wieder die Stromkunden.
Schütz: Die Frage ist wirklich, ob das alles die Stromverbraucher bezahlen müssen. Früher wurden solche Infrastrukturmaßnahmen auch aus allgemeinen Steuermitteln bestritten.

Sind Sie dafür?
Schütz: Nur sehr begrenzt. Die Beteiligung der Stromkunden am Risiko des Ausbaus der Offshore-Windenergie wäre für mich aber so ein Beispiel. Das darf eigentlich nicht sein, dass das der Stromkunde bezahlt. Dort liegen enorme Kostenrisiken, wenn der Ausbau zu schnell geht und deshalb die Lernkurve für einen Großteil der Anlagen nicht mehr wirksam werden kann.

Der Windpark Riffgat, der bisher nur mit Diesel läuft?
Schütz: Das ist völliger Wahnsinn.

Manche sind inzwischen der Ansicht, die ganze Energiewende sei völliger Wahnsinn. Planwirtschaftlicher Wahnsinn.
Schütz: Zu glauben, man könne die Energieversorgung nur am Markt organisieren, ist doch auch nicht richtig. Wir hatten in Deutschland bisher immer eine starke staatliche Daseinsvorsorge in der Stromwirtschaft. Bei der Atomenergie wurde massiv staatlicherseits geplant und Geld hineingesteckt. Der Kohlepfennig ist auch so ein Beispiel.

Jetzt sind die Atomkraftwerke endlich abgeschrieben, könnten billig Strom produzieren, da werden sie abgeschaltet.
Schütz: Die Risiken sind sehr hoch, die Entsorgungskosten nicht eingerechnet. Im internationalen Wettbewerb ist das allerdings ein Nachteil, das ist wahr.

Und jetzt rentieren sich auch Kohle- und Gaskraftwerke kaum noch, selbst ganz moderne Anlagen werden abgeschaltet. Wieder werden Milliardenwerte vernichtet ...
Schütz: Politisches Ziel ist, dass die erneuerbaren Energien Vorrang haben, und dann werden die fossilen Kraftwerke nach und nach überflüssig. Das ist das System, was unter den politischen Parteien in Deutschland ziemlich unangefochten steht.

Was uns laut Bundesumweltminister Altmaier eine Billion Euro kostet. Tausend Milliarden.
Schütz: Wobei man fairerweise auch die Alternative ausrechnen müsste: Was würde es uns denn kosten, wenn wir die erneuerbaren Energien nicht fördern würden? Was wäre allein an Ersatzinvestitionen in fossile Kraftwerke, in Brennstoffe, Entsorgung und so weiter nötig?

Wo liegt die Zukunft der Erneuerbaren?
Schütz: Für Strom ist Haupttreiber der Wind und der wird es auch bleiben. Aber Strom ist nur ein Teil des Energiemarktes. Auf dem Wärmemarkt gibt es ein riesiges Potenzial. Nur etwa 15 Prozent der Heizungen sind hierzulande auf dem aktuellen Stand der Technik. Wärmedämmung, moderne Heizungen mit erneuerbaren Energien, intelligente Steuerung - da ist noch enorm viel zu holen. Wir gehen davon aus, dass wir Ende 2020 beim Strom etwa die Hälfte und insgesamt zwischen 20 und 25 Prozent erneuerbare Energien haben. Bis 2050 sollten dann fast 90 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energien kommen.

Zur Person

Dietmar Schütz (69) war für die SPD von 2001 bis 2006 Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Oldenburg. Er studierte in Göttingen Geschichte, Politik und Jura. Seit Februar 2008 ist er Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE). Dietmar Schütz ist verheiratet und hat einen Sohn.

Der BEE ist der Dachverband der Erneuerbare-Energien-Branche in Deutschland mit Sitz in Berlin. Er wurde 1991 gegründet und vertritt die Interessen der Branche gegenüber Öffentlichkeit und Politik. Derzeit sind 25 Verbände mit mehr als 30 000 Einzelunternehmen angeschlossen. Sein langfristiges Ziel ist es, die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien in Deutschland zu erreichen.

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