GA-Interview mit Zurich-Deutschland-Chef Marcus Nagel „Das verändert unseren Wohlstand“

Bonn · Niedrigzins, Digitalisierungsdruck, Preiskampf – die deutschen Versicherer müssen sich in einem bewegten Umfeld behaupten. Das spürt auch der Chef der in Bonn ansässigen Zurich Deutschland, Marcus Nagel.

Wann immer derzeit ein Unternehmen in der Finanzbranche in Schwierigkeiten gerät oder Produkte für die Kunden teurer werden, zeigen alle Finger auf den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, und seine Zinspolitik. Ihr Finger auch?

Marcus Nagel: Ein Null-Zins-Szenario, wie wir es in Deutschland seit einiger Zeit haben, ist natürlich kein Modell für die Zukunft. Je länger das andauert, umso problematischer wird es. Wir steuern auf ein japanisches Szenario zu. Dort dauert die Niedrigzinsphase seit 20 Jahren an. Bei uns sind es jetzt etwa acht Jahre, je nach Startpunkt. Und die Folgen werden nach und nach spürbar.

Welches Problem sehen Sie?

Nagel: Der Preis für Geld muss auch ein Preis sein – nicht null. Wenn Geld nichts kostet und die sicheren Anlagen nichts mehr einbringen, dann verändert das langfristig auch die Wirtschaft und unseren Wohlstand.

Wie ist der Versicherer Zurich betroffen?

Nagel: Versicherer sind große Kapitalsammelstellen. Und die haben eine echte Herausforderung zu bestehen. Wir dürfen das Geld der Kunden per Gesetz nur konservativ und sicher anlegen. Wir investieren also stärker in Immobilien und verteilen das Portfolio breiter auf Anleihen. Es gibt da durchaus noch Möglichkeiten – es wird aber zunehmend zum Problem.

Ihre Prognose: Wann hebt Mario Draghi die Zinsen an?

Nagel: Ich hoffe, wir werden in den nächsten zwei Jahren eine kleine Zinswende sehen.

Banken reagieren in ihrer Not mit Gebühren und Preissteigerungen. Werden auch die Versicherer am Ende die Kunden zur Kasse bitten?

Nagel: Preissteigerungen werden bei uns schwierig sein. Wir sind da in den letzten Jahren schon an Obergrenzen angekommen und stehen in einem harten Preiswettbewerb. Aber auch Unternehmen wie Zurich werden schauen müssen, wo die Erträge herkommen.

An ihre Erträge denkt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles nicht, die offenbar weg will von der privaten Altersvorsorge. Da ginge den Versicherern ein großes Geschäft verloren.

Nagel: Ein rein umlagefinanziertes Rentensystem wird nicht funktionieren. Wir brauchen die private Altersvorsorge – vor allem wegen der nicht wegzudiskutierenden Demografieentwicklung. Sicher gibt es Fehler im bestehenden System, darüber kann man reden. Aber wir sollten aufhören, die Menschen bei diesem Thema weiter zu verwirren.

Im vergangenen Jahr musste Zurich Deutschland deutliche Ergebnisverluste von 25 Prozent hinnehmen. Läuft es jetzt besser?

Nagel: Beim Ergebnis sind wir auf Kurs für dieses Jahr. Es müsste uns gelingen, unseren Gewinnplan zu erreichen. Wobei gerade der Bereich Sachversicherungen immer auch von unvorhersehbaren Schäden abhängig ist, die noch bis zum 31. Dezember eintreten können.

Ein Schadensfall ist ja gewissermaßen auch die Deutsche Bank, einer Ihrer wichtigsten Vertriebspartner. Machen Sie sich Sorgen, wenn Sie derzeit nach Frankfurt gucken?

Nagel: Wir denken, dass das aktuelle Team bei der Deutschen Bank jetzt die richtigen Schritte macht. Es ist natürlich eine schwierige Situation, im Übrigen für alle Banken. Aber wir stehen zu unserem Partner und unterstützen ihn, wo wir nur können.

Es gibt Experten, die glauben, diesmal wird es eng für die Deutsche Bank.

Nagel: Ich glaube, die Bank wird wieder auf Kurs kommen.

Bei Zurich Deutschland läuft seit diesem Jahr ein Sparkurs, den Sie mit Amtsantritt im März noch einmal verschärft haben. Bis 2018 sollen 859 Stellen eingespart werden. Wie weit sind Sie mit der Umsetzung?

Nagel: Wir machen Fortschritte, was die Zahlen angeht. In diesem Jahr erreichen wir das Ziel, das wir uns gesetzt haben. Zusammen mit dem Betriebsrat sind faire Wege für die betroffenen Mitarbeiter gefunden worden.

Betriebsbedingte Kündigungen sind weiterhin nicht geplant?

Nagel: Wir versuchen, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen. Und ich denke, dass wir das auch schaffen.

Das Sparziel wird nicht noch einmal erhöht?

Nagel: Derzeit nicht.

Die Zurich setzt neuerdings Roboter ein, um Arbeiten zu erledigen. Bleibt da noch Platz für menschliche Arbeitskräfte?

Nagel: Gerade im Bereich der Finanzdienstleistungen drehen wir uns gerade weg von traditionellen Arbeitsweisen. Da darf Zurich nicht stehen bleiben. Bestimmte wiederkehrende Abläufe, die heute noch per Hand erledigt werden, bekommt man mit sogenannten Software-Robotern inzwischen besser hin. Unter dem Strich gibt es bei der Digitalisierung natürlich die Gefahr, dass wir eine Menge Arbeitsplätze verlieren. Dafür gibt es aber auch viele neue Tätigkeiten, die für die Menschen entstehen.

Sie treiben die Digitalisierung mit Macht voran, geben dafür dreistellige Millionensummen aus. Wo stehen Sie da im Wettbewerb?

Nagel: Der ein oder andere Konkurrent ist vielleicht ein bisschen besser aufgestellt. Aber alle stehen am Anfang dieser digitalen Revolution. Innerhalb der nächsten zwölf Monate müssen wir so weit sein und eine größere Palette von Produkten auch digital anbieten.

Da stehen viele Abläufe im Unternehmen in Frage?

Nagel: Der Kunde informiert sich immer mehr online. Aber im Versicherungsbereich, davon bin ich überzeugt, wird auch die Beratung wichtig bleiben. Wir müssen die Kombination auf die Reihe kriegen, ähnlich wie bei einer Bank. Wer geht heute noch in eine Bankfiliale? Es gibt neue Wege zum Kunden, auf die wir uns einstellen müssen.

Also das Ende des klassischen Versicherungsvertreters?

Nagel: Das glaube ich nicht. Das Kerngeschäft geht weiter über die Vermittler und persönlichen Kontakt. Das Direktgeschäft, also über Onlinekanäle, ist noch gering. Aber mit steigender Tendenz.

Sorgen die Veränderungen für Unruhe im Unternehmen?

Nagel: Um die Digitalisierung hinzubekommen, brauche ich Mitarbeiter, die dazu in der Lage sind. Die meisten wollen mitziehen. Und wir bieten auch Qualifizierungswege an. Viele sind Feuer und Flamme. Aber natürlich ist nicht jeder offen für Neuerungen – das ist ganz normal bei 5000 Mitarbeitern.

Veränderungen gibt es nicht nur durch Digitalisierung, sondern auch durch den bevorstehenden Umzug der Zurich-Zentrale nach Köln. Gerade war erster Spatenstich für die neuen Gebäude am Deutzer Bahnhof. Liegt alles im Zeitplan?

Nagel: Wir wollen im Jahr 2019 unsere Koffer packen. Ich rechne aber damit, dass sich der Umzug bis 2020 hinziehen wird. So lange sind wir noch in den inzwischen verkauften Gebäuden in Bonn und Köln präsent.

Neben Haribo gehört Zurich zu den großen Arbeitgebern, die Bonn in den nächsten Jahren den Rücken kehren. Warum ist die Entscheidung für Köln gefallen?

Nagel: Es ist vielleicht schöner, in Bonn zu leben und in Köln zu arbeiten? (lacht) Aber im Ernst: Beide Standorte hatten Vor- und Nachteile. Am Ende ist die ICE-Verbindung zwischen Köln und unserem großen Standort Frankfurt ein bestechendes Argument gewesen. Die Verbindung ist aus Bonn, hier hatten wir Grundstücke im Bereich der B 9 im Auge, unterm Strich komplizierter.

Dafür müssen die 1600 Bonner Mitarbeiter demnächst täglich über die ohnehin schon überfüllte A59 nach Köln, sofern sie nicht umziehen wollen.

Nagel: Der neue Standort ist hervorragend an den Schienenverkehr angebunden. Das war uns wichtig. Köln und Bonn haben inzwischen nicht zu übersehende Probleme bei der Verkehrsinfrastruktur. Hier ist großer Handlungsbedarf für die Politik. Südtangente und Ennertaufstieg wären für die überlastete Region ein großer Fortschritt gewesen.

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