„Schwerer und emotionaler Abschied“ Deere kauft Wirtgen Group aus Windhagen

Windhagen · Der Windhagener Weltmarktführer für Straßenbaumaschinen wechselt für 4,4 Milliarden Euro den Besitzer. Die Unternehmerfamilie trennt sich von ihrem Lebenswerk.

Mit dieser Nachricht hatte in Windhagen niemand gerechnet. Für 12.30 Uhr hatten die Geschäftsführer Stefan und Jürgen Wirtgen am Donnerstag Betriebsräte und Gewerkschafter in die Firmenzentrale bestellt. Bis Jahresende soll der Weltmarktführer für Straßenbaumaschinen an den US-Landmaschinenkonzern John Deere verkauft werden. „Erst einmal war die Enttäuschung bei allen groß“, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Das Vertrauen der Belegschaft in die beiden Familienunternehmer sei groß gewesen. „Jetzt fragen sich viele: Wie geht es weier?“

Ab Freitag sollen die Beschäftigten in Betriebsversammlungen dazu mehr Informationen erhalten. In einer Sonderausgabe des Unternehmensmagazins „Forum“ äußerten sich die Brüder Wirtgen schon am Donnerstag ausführlich zu ihrer Motivation. „Wir beschäftigen uns seit längerem mit dem Gedanken, wie die Übergabe an die nächste Generation gestaltet werden kann und wie wird dabei unserer Verpflichtung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nachkommen können“, heißt es in der Hauszeitschrift. Sie seien überzeugt, dass „ein Unternehmen dieser Größe und Marktbedeutung unabhängig von der Eigentümerfamilie in die Zukunft gehen können muss“. Aufgrund des jungen Alters ihrer Kinder sei eine Übergabe an sie schon rechnerisch nicht möglich.

Etwa ein Jahr lang haben die Windhagener nach eigenen Angaben ihre Verkaufsentscheidung überdacht. „Angebote gab es immer wieder.“ Nach sorgfältiger Abwägung habe man sich für den US-Konzern John Deere als Käufer entschieden, heißt es in dem Schreiben der Brüder Wirtgen an ihre weltweit 8000 Mitarbeiter weiter. Mit ihm entstehe ein „neues, größeres und noch stabileres Gebilde, von dem beide Seiten dauerhaft profitieren“.

Die Wirtgen-Brüder sprechen in ihrer Mitteilung von einem „schweren und emotionalen Abschied“. Den Übergang wollen die Unternehmer nach der Vertragsunterzeichnung am Mittwoch noch begleiten. Bis zum für das vierte Quartal erwarteten Abschluss der Übernahme zieht sich die Familie nach ihren Worten Schritt für Schritt zurück. Künftig soll Wirtgen ein Team aus dem bisherigen Management unter neuer Führung leiten – den Chefposten übernimmt Domenic Ruccolo von John Deere. Die Prüfung der Übernahme durch die Kartellbehörden in mehreren Ländern gilt in Branchenkreisen als unbedenklich, da die Produktpaletten der beiden Konzerne sich nicht überschneiden.

Für die Beschäftigten soll sich zunächst wenig ändern: „John Deere plant, die bestehenden Marken, das Management, die Produktionsstandorte, die Mitarbeiter sowie das Vertriebs- und Servicenetz der Wirtgen Group zu erhalten“, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens von Donnerstag.

Bei Gewerkschaft und Betriebsräten stießen die Brüder Wirtgen mit ihrem Schritt auf Verständnis. „Ein strategischer Investor macht Sinn“, sagte Markus Eulenbach, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Neuwied. Wirtgen sei eine sinnvolle Ergänzung zu John Deere. „Dennoch müssen wir in Ruhe schauen, dass die Rechte der Arbeitnehmer auch unter dem neuen Eigentümer gewahrt bleiben.“

Über ihre eigene Zukunft schweigen sich die Brüder Wirtgen bisher aus. Klar ist lediglich: Sie bleiben in der Region, wo sie sich verwurzelt fühlen. Und sie unterstützen weiter ihre Mutter Gisela Wirtgen mit ihrer Hilfsorganisation „Aktionsgruppe Kinder in Not“, deren Verwaltungskosten Wirtgen schon bisher komplett getragen hat.

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