Tourismus-Barometer der IHK Dem Rheinland fehlen die Besucher und vier Milliarden Euro

Bonn · Die IHK Bonn/Rhein-Sieg präsentierte federführend das neue Tourismus-Barometer Rheinland. Dieses zeigt, dass große Städte in der Region unter den Folgen der Pandemie leiden. Der Umsatz brach im April um 88 Prozent ein.

 Der Drachenfels oberhalb von Königswinter: Der Tourismus in der Region leidet unter den Folgen der Pandemie.

Der Drachenfels oberhalb von Königswinter: Der Tourismus in der Region leidet unter den Folgen der Pandemie.

Foto: Volker Lannert

Beim Neustart für den Tourismus in der Region klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Das wurde gestern überdeutlich, als federführend die IHK Bonn/Rhein-Sieg das dritte Tourismus-Barometer Rheinland statt an einer beliebten Sehenswürdigkeit nur in einer Videokonferenz vorstellte. Angesichts der anhaltenden Unsicherheit, so das Fazit, werden vor allem die großen Städte der Region als touristische Destinationen noch lange unter den Folgen der Pandemie zu leiden haben. Wie viele Betriebe das überleben, ist offen.

Die Ausfälle seien dramatisch, berichtete Markus Seibold von der auf Tourismus spezialisierten Beratungsfirma dwif-Consulting, die das Barometer betreut. Im März und April seien in der Region zwischen Viersen, Aachen und Bonn bei Hotels, Gaststätten, Sehenswürdigkeiten und touristischen Anbietern Umsatzeinbußen in Höhe von 4,1 Milliarden Euro aufgelaufen, alleine drei Milliarden davon aus dem Tagestourismus.

Mehr als ein Viertel des Jahresumsatzes ist weggebrochen

Im März schrumpften die Umsätze gegenüber dem Vorjahr um 60,3 Prozent, im April um 88,2 Prozent. Einen großen Anteil an den Ausfällen haben abgesagte Geschäftsreisen. Mehr als ein Viertel der Jahresumsätze in diesem Bereich ist von März bis Mai praktisch vollständig entfallen.

„Das Gastgewerbe ist mit 230.000 Beschäftigten ein wichtiges Standbein der Wirtschaft im Rheinland. Die gesamte Branche wurde durch die Corona-Pandemie mit am härtesten getroffen“, sage IHK-Geschäftsführer Hubertus Hille. Mehr als jeder zweite Betrieb habe sich von Insolvenz bedroht gesehen. Deshalb sei es wichtig, den Geschäfts- und Freizeittourismus wieder anzukurbeln und auch entsprechend zu vermarkten.

Anschein der Normalität nach den Lockerungen trügt

Zwar dürfen Hotels, Restaurants oder Sehenswürdigkeiten inzwischen wieder unter Auflagen öffnen. Der Anschein von Normalität aber trügt: Die Betriebe können laut Seibold nur mit rund 50 Prozent ihrer normalen Umsätze rechnen. Sie benötigen aber mindestens 70 Prozent, um etwa höhere Hygieneauflagen oder Liquiditätskosten zu decken. Viele müssten sich – abhängig von Standort und Gästestruktur – gut überlegen, ob sie ihre Betriebe überhaupt schon wieder öffneten. „Wir gehen nicht davon aus, dass alle Betriebe überleben werden“, sagte Seibold.

Auch langfristig ist die Prognose sehr verhalten. Zwar hatte sich der Sektor 2019 in der Region noch prächtig entwickelt. Die Zahl der Übernachtungen stieg um eine auf 29,8 Millionen. In Bonn wuchsen die Umsätze um 7,3, im Rhein-Sieg-Kreis sogar um 7,6 Prozent. Bundesweit waren es nur 2,9 Prozent. Trotzdem habe es schon damals wenig Tendenz zu Investitionen gegeben, sagte Seibold. Da diese angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten kaum wachsen dürfte, drohe der Region als touristischer Destination mittelfristig ein Qualitätsproblem. Auch den Tourismus-Organisationen drohten nun knappe Kassen und Qualitätseinbußen, da die Kommunen ihre Beiträge bei sinkenden Gewerbesteuern als freiwillige Leistung infrage stellen dürften. „Daraus könnte sich ein Teufelskreis entwickeln“, warnte der Experte.

Hoffen auf vermehrten innerdeutschen Tourismus

Im Wirtschaftsministerium in Düsseldorf hofft man dagegen offenbar, die vermehrte Nachfrage nach innerdeutschem Tourismus auch vor allem in die ländlichen Regionen zwischen Münsterland und Eifel lenken zu können. So sei in dieser Woche eine Werbekampagne unter dem Titel „rauszeitlust – mach mal NRW“ für 1,2 Millionen Euro gestartet worden, berichtete Staatssekretär Christoph Dammermann. Damit solle jenseits vom klassischen Städtetourismus vor allem der ländliche Raum als Zielort für einen vollwertigen Urlaub beworben werden, um neue Stammgäste zu begeistern. Angesichts der Unsicherheiten bei der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus müsse sich die Branche womöglich auf eine längere Durststrecke einstellen und mit entsprechenden Angeboten positionieren. Das Land wolle zusammen mit dem Bund zeitnah weitere Überbrückungshilfen auf den Weg bringen.

Einen Messetourismus im herkömmlichen Sinn kann Dammermann sich für Herbst und Winter angesichts der drei Risikofaktoren wegen des Coronavirus nur in begrenztem Maße vorstellen. Auch ob Weihnachtsmärkte in bisheriger Form möglich sind, bleibt offen. Erste Veranstalter hätten Märkte für dieses Jahr bereits abgesagt, erklärte Seibold.

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