Energie im Wandel: Das Stromnetz Der Ausbau dauert länger und wird teurer als geplant

Bonn · Das deutsche Stromnetz muss durch den Umstieg auf erneuerbare Energien völlig umgestaltet werden.

453 Euro zahlt jeder Nordrhein-Westfale pro Jahr im Durchschnitt für seinen Strom, hat das Vergleichsportal Verivox ermittelt. NRW liegt damit im Bundesschnitt. Die Preise für Strom in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren um über 50 Prozent gestiegen. Und es ist kein Ende absehbar: Denn das deutsche Stromnetz wird kräftig umgebaut. Über die Netzentgelte, die derzeit schon fast ein Viertel der Stromkosten ausmachen, zahlen die Kunden für den Umbau.

Wie das deutsche Stromnetz verlaufen muss, verändert sich stark: Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien verschieben sich die Schwerpunkte der Stromerzeugung von Süd nach Nord. Es fehlen Stromautobahnen, um Ökostrom aus dem windreichen Norden und Osten in den Süden zu transportieren. Nun sind viele Kilometer Neubau im so genannten Übertragungsnetz notwendig. Dem Bundesbedarfsplangesetz zufolge sind 6200 Kilometer an Leitungen nötig – nach dem ersten Quartal 2016 waren 65 Kilometer gebaut und 350 Kilometer genehmigt.

Bis 2022 sollen alle Kernkraftwerke vom Netz gehen. Diese stehen jedoch häufig dort, wo auch viel Energie benötigt wird – etwa in den süddeutschen Ballungsräumen. Große Windparks entstehen hingegen vor allem in Ost- und Norddeutschland oder auf See. „Damit der auf See erzeugte Strom auch dahin kommt, wo er gebraucht wird, muss der Netzausbau an Land künftig Schritt halten mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagte Geschäftsführer Lex Hartmann vom Übertragungsnetzbetreiber Tennet.

Das bestehende Netz gerät „bereits jetzt an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit“, heißt es bei der Bundesnetzagentur. Die Bonner Behörde beziffert die Kosten allein für die neuen Leitungen an Land – ohne Offshore-Netze – bisher auf 18 Milliarden Euro an Land und etwa 15 Milliarden Euro für den Offshore-Netzausbau. Nach starken Protesten in Süddeutschland hat der Bund ein Gesetz beschlossen, nach dem künftig mehr Leitungen mit Erdkabeln statt als Freileitung gebaut werden können. Deshalb werden sich die Ausbaukosten nach Aussage von Netzagentur-Präsident Jochen Homann noch um etwa sechs bis neun Milliarden Euro erhöhen. Ursprünglich sollte der Strom über Strommasten aus dem Norden der Republik in den Süden gelangen. Doch das sorgte vielerorts für lautstarke Bürgerproteste.

„Die Alternative zum Erdkabel ist oft nicht die Überlandleitung, sondern gar keine Stromleitung“, so Homann. Seit beschlossen worden sei, die neuen Stromleitungen vorrangig unter die Erde zu legen, werde der Netzausbau beispielsweise in Bürgerversammlungen viel mehr akzeptiert.

Der nur schleppend vorangehende Netzausbau wird für die Stromverbraucher allerdings jedes Jahr teurer. 295 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr beispielsweise als Entschädigungszahlungen für Strom aus Schleswig-Holstein fällig, der von den Netzbetreibern nicht abgenommen werden konnte. Das geht aus einem Bericht des Energiewendeministeriums in Kiel sowie des Netzbetreibers Tennet und der Schleswig-Holstein Netz AG hervor. Zum Vergleich: 2014 waren es noch 109 Millionen Euro.

Einige Wissenschaftler halten die Dimension des Stromnetzausbaus für übertrieben. Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nennt die Diskussion über den Stromnetzausbau eine „Gespensterdebatte“: „Vergleichbar ist das mit dem Versuch, alle Straßen in Deutschland so lange auszubauen, bis es keinen Stau mehr gibt – mit der Begründung, die vielen neuen Autos mit grünen Antrieben würden die Straßen verstopfen.“ Die Energiewende könne auch weitergehen, ohne sofort die Stromnetze weiter auszubauen. Modellrechnungen zeigten, dass mit dem derzeitigen Stromnetz auch ohne Netzerweiterung eine sichere Stromversorgung in ganz Deutschland möglich sei. Voraussetzung sei allerdings, dass die Kohleverstromung deutlich reduziert werde Vor allem die umstrittene Leitung von Sachsen-Anhalt nach Bayern sei nämlich in erster Linie für Kohlestrom aus Ostdeutschland konzipiert.

Bis neue Stromautobahnen in Betrieb genommen werden können, werden noch einige Jahre in Land gehen. Laut Bundesnetzagentur soll die sogenannte SüdLink-Trasse von Norddeutschland nach Bayern und weiter nach Baden-Württemberg erst 2025 fertig werden. Ursprünglich war die Fertigstellung der 620 Kilometer langen Stromautobahn für 2022 geplant, wenn die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Grund für die Verzögerung sind laut Bundesnetzagentur die erforderlichen Neuplanungen. Auch der sogenannte Korridor A, eine Leitung von Emden ins nordrhein-westfälische Meerbusch-Osterath, wird demnach nicht 2022, sondern erst 2025 fertig. Die geplante Leitung von Osterath ins baden-württembergische Philippsburg braucht zwei Jahre mehr, bis 2021.

Der Übertragungsnetzbetreibers Tennet bezeichnet auch das neue Zieldatum als „ehrgeizig“. Wenn der Zeitplan bis 2025 eingehalten werden solle, müssten die nötigen Genehmigungsverfahren zügig ablaufen, so eine Sprecherin. Gemeinsam mit dem baden-württembergischen Netzbetreiber TransnetBW verantwortet Tennet den Ausbau der Gleichstromleitung.

Deutschlandweit mit am reibungslosesten steht es um den Netzausbau wohl im Rheinland. Für das Stromleitungsprojekt „Ultranet“ von Osterath bei Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen nach Philippsburg in Baden-Württemberg ist die Netzagentur am weitesten: Da die Leitungen auf existierenden Trassen verlegt werden sollen, ist die Bereitschaft, sich zu wehren, gering“, sagte Homann. Neue Masten oder Ergänzungen am Mastgestänge sind nicht nötig. Die Leitung führt durch den Rhein-Erft-Kreis, Köln und den Rhein-Sieg-Kreis Richtung Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ultranet ist ein Gemeinschaftsprojekt der Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TransnetBW.

Zwischen Bornheim und Weißenthurm bei Koblenz ist die neue Leitung bereits in Betrieb. Der nördliche Abschnitt zwischen Osterath und Bornheim-Sechtem befindet sich immerhin schon im Genehmigungsverfahren.

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