Textil-Recycling steht vor dem Kollaps Deutsche misten während der Corona-Krise zu viel aus

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Ein aktueller Trend zum Ausmisten sorgt für Schwierigkeiten in der Branche. Textil-Recycler finden keine Abnehmer für ihre Ware. Die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft.

 Textil-Recycler kommen in der Corona-Krise an ihre Grenzen.

Textil-Recycler kommen in der Corona-Krise an ihre Grenzen.

Foto: dpa/Georg Wendt

Der Kleiderschrank sieht bei einigen Menschen seit dem Corona-Lockdown sicherlich etwas aufgeräumter aus: Viele nutzten die Zeit zum „Ausmisten“ und brachten ihre gebrauchten Textilien in Altkleider-Container. Doch Joachim Schölzel, Sprecher der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG), empfiehlt dringend: „Momentan sollte man keine Altkleider entsorgen.“ Denn der Branche gehe es sehr schlecht. Durch die Corona-Pandemie habe sich die ohnehin schon schwierige Situation noch einmal verschlimmert. Martin Wittmann, der im Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) für die Branche spricht, wählt drastische Worte: „Das Textil-Recycling steht vor dem Kollaps.“

Die Zahlen, die der Verband als Teil einer Alttextilstudie veröffentlichte, bilden einen Trend ab, der anhält: Von 2013 bis 2018 hat sich die Sammelmenge in Deutschland um 300.000 Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen Altkleider erhöht. Pro Kopf sammelten die Menschen zuletzt 15,3 Kilo Kleidungsstücke im Jahr.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist in den ersten Wochen der Pandemie mit Altkleider-Spenden geradezu überhäuft worden. Ein Großteil der Bevölkerung habe sicherlich die Zeit zu Hause zum Frühjahrsputz genutzt, sagte eine DRK-Sprecherin. „Wenngleich wir uns über jede Kleiderspende freuen, führt die hohe Spendenbereitschaft zu einer starken Belastung des Systems.“ Laut dem Dachverband Fairwertung, dem rund 130 gemeinnützige Organisationen angehören, wurden in manchen Landkreisen bis zu 35 Prozent mehr Kleidung in Container eingeworfen als üblich.

„Die Preise sind sehr stark gefallen, sodass wir keine Abnehmer mehr finden“, erklärt Schölzel. Das Material müsse gelagert werden, wodurch hohe Kosten entstünden. 2270 Tonnen hat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Zusammenarbeit mit der RSAG im vergangenen Jahr im Rhein-Sieg-Kreis eingesammelt. Fünf Prozent der Waren werden verbrannt, da sie nicht mehr zu gebrauchen sind, weitere fünf Prozent bleiben in Deutschland, 50 Prozent werden nach Osteuropa oder Afrika exportiert und die letzten 40 Prozent werden rohstofflich verwertet. Daraus entstehen beispielsweise Fußmatten für die Automobilindustrie.

Während des Lockdowns kam es allerdings auf allen Ebenen zu Problemen: Geschlossene Grenzen erschwerten den Export der Textilien, Lieferketten lagen brach. Die Automobilindustrie fiel als Abnehmer der Altkleider wochenlang aus. Second-hand-Läden hatten geschlossen und Flohmärkte, auf denen viele Kleidungsstücke in Deutschland verkauft werden, fanden ebenfalls nicht statt. „Durch Corona hat sich die Situation verschärft“, sagt Schölzel. Denn schon vor der Pandemie ging es der Branche nicht gut.

„Im Allgemeinen kann man sagen, dass aufgrund der schlechter werdenden Qualitäten der Rohstoffe, das Recycling zurückgeht, obwohl die Menge an gesammelten Alttextilien steigt“, erläutert Jasmin Mangold, Sachgebietsleitung Vertrieb des Entsorgungsunternehmens Bonn Orange. In den Containern des Unternehmens in Bonn kommen in diesem Jahr etwa 550 Tonnen Alttextilien zusammen. Die Qualität habe in den vergangenen Jahren allerdings zu wünschen übrig gelassen.

Das stellt auch die RSAG fest: „Die wahnsinnigen Billigexporte aus Asien sind schon seit Jahren ein Problem“, so Schölzel. Das „schnelllebige Klamottengeschäft“ führe dazu, dass Textil-Recycler keine Abnehmer für ihre Waren mehr finden. „Die Leute kaufen kein Second-Hand-Material, wenn es teurer ist als ein neues Produkt“, sagt der Sprecher der RSAG. Der Absatz von Alttextilien sei durch die schlechtere Qualität der Rohstoffe weltweit eingebrochen, berichtet Mangold. Corona, in anderen Branchen als „Brennglas“ für Missstände bezeichnet, hat nun auch in der Welt der Textilien gezeigt: Es hakt an allen Ecken und Enden. In Lagerhallen, rollenden Lastwagen und überall, wo Verwertungsfirmen Platz finden, stapeln sich daher die Kleidersäcke zurzeit fast bis zur Decke. Wittmann vom bvse wünscht sich Kampagnen, die erklären, wie man bewusst und nachhaltig mit Textilien umgehen kann. „Letztendlich versuchen alle, sich durch diese Krise zu retten und hoffen, dass es irgendwann wieder aufwärts geht.“

(Mit Material von dpa)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort